Der Londoner Toningenieur Eliott Glinn bringt es auf den Punkt: „Indiefolk ist kein Genre, es ist eine Emotion.“ In der Tat ist die seit Ende der Neunzigerjahre unter Musikschaffenden und Fans beiderseits populäre Musikrichtung schwer zu fassen. Während es bei zunächst prägenden Künstlerinnen und Künstlern wie Ani DiFranco, Iron & Wine, den Fleet Foxes, Mumford & Sons oder Bon Iver vor allem um eine Verschmelzung von traditionellem Folk mit Alternative Rock ging, zeichnen sich die heutigen Vertreter des Indiefolk durch das Experimentieren mit einer Vielzahl von Stilen aus. Die Palette reicht dabei von Pop, Jazz und Hip-Hop über Elektronik, Sampling, aggressiven Rock bis zu Bluegrass oder klassischen Elementen.
Indiefolk kennt heute keine Grenzen mehr und ist eine Fusion verschiedener Stilrichtungen, die sich permanent weiterentwickelt. Seine eigentlichen Charakteristiken stammen daher zunehmend von der Art, wie die Songs komponiert und gespielt werden. So liegen die Hauptmerkmale auf akustischen Instrumenten und ungeschminktem Gesang, emotionalen und authentischen Texten sowie vielschichtigen Melodien und Harmonien.
Mit dem Schwerpunkt in dieser Ausgabe geben wir einen Einblick in die Vielfalt des Indiefolk, sowohl in künstlerischer Hinsicht als auch kulturell und geografisch. Musikalisch kann das Genre zum Beispiel schon mal futuristisch klingen wie beim bekanntesten Vertreter der Post-Tropicália Brasiliens Lucas Santtana. Textlich wiederum kann es das ganze Spektrum von tiefsinnig-poetisch bis kabarettistisch abdecken wie bei der oberbayerischen Band Pam Pam Ida. Die derzeit angesagte irische Band Lankum um die Brüder Ian und Daragh Lynch experimentiert dagegen auf ihrem aktuellen Album mit dreißig Instrumenten in puncto Aufnahmetechnik, Spielweisen und Klängen.
Während sich die Grammy-Gewinnerin und traditionelle Singer/Songwriterin Sarah Jarosz dem Folkpop widmet, kommt die Berliner Band Mighty Oaks unter den folker-Porträts dem ursprünglichen Verständnis von Indiefolk wohl am nächsten. Ein exzellentes Beispiel für gesangliche Ausdruckskraft ist die klassisch ausgebildete australische Newcomerin Jessie Monk, die ebenfalls in Berlin zu Hause ist. Und die finnische Band Vimma, die eigentlich aus dem Progressive Folk kommt, ist ein Paradebeispiel dafür, dass im Indiefolk auf allen Ebenen nichts undenkbar ist.
Viel experimentiert haben auch Stornoway aus England bei ihrem Comeback nach sechs Jahren und ihren eigenen Stil etwa mit südafrikanischem Chor oder Reggaegroove verziert. Die Düsseldorf Düsterboys schließlich demonstrieren, dass das vielschichtige Genre eine strahlende, belebende und verbindende Musikrichtung ist, die das Potenzial hat, Menschen und Kulturen wirklich zusammenzubringen. Und das hat die Welt gerade wirklich nötig.
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