Konzerte und ihr Drumherum sind große Verursacher von CO2-Emissionen. Doch genau da können Musikschaffende ansetzen, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Was lassen sie sich einfallen, welche Anstrengungen unternehmen sie, um ihren individuellen Beitrag zu leisten? Der folker hat sich drei Herangehensweisen, wie es gehen kann, näher angeschaut.
Text: Erik Prochnow
Bevor Magadelena Kriss und Dan Wall am 2. Juni im schweizerischen Rorbas am Rhein auf die Bühne steigen, wartet ein ungewöhnliches Empfangskomitee auf sie. Etwa dreißig Kilometer vor dem Ziel stößt eine Gruppe Radfahrer zu ihnen und eskortiert die beiden auf ihrem Tandem zum nächsten Konzertstopp. „Dieses gemeinsame Anradeln hatten wir uns schon lange erhofft, und in diesem Jahr klappt es endlich“, sagt Kriss, die eine Hälfte des Folk-Weltmusik-Duos Tante Friedl. Seit 2018 mischt das Paar mit seinem innovativen Stil die Szene auf. Ihre lebendigen, mal sogar punkig klingenden Interpretationen traditioneller Lieder vom Balkan, aus Ost- und Zentraleuropa, Skandinavien oder Nordamerika sowie ihre eigenen Kompositionen brachten ihnen in diesem Jahr zu Recht den renommierten Preis der Freiburger Leiter ein. Vor allem aber machen sie mit ihrem ökologischen Engagement von sich reden. Denn das deutsch-amerikanische Gespann versucht, die Anreise des Großteils ihrer Touren in den wärmeren Monaten konsequent mit dem Fahrrad zu bewältigen. „Das ist unser Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel und eine Möglichkeit, die Diskussion zum Thema Green Touring anzuregen“, sagt der aus Hudson im Bundesstaat New York stammende Wall.
Unter dem Schlagwort „Green Touring“ hat die Popakademie Baden-Württemberg gemeinsam mit der Green Music Initiative und der Organisation kollektif den ersten Leitfaden über ein nachhaltiges Tourneegeschäft veröffentlicht. Für Tante Friedl entstand die Idee allerdings eher aus der Not heraus in der Pandemie. Als alle Projekte gestoppt waren, überlegte sich das Duo, im Sommer 2020 eine Fahrradkonzerttour mit privaten Gartenauftritten zu veranstalten. „Wir haben uns 2019 von unserem Hochzeitsgeld ein gebrauchtes Pino-Hase-Tandem gekauft, bei dem vorne ein Liegesitz ist“, blickt Kriss zurück. Ein klassisches Tandem hatten sie nur für einen Tag ausprobiert und gleich festgestellt, dass das nicht funktioniert. Die Fahrt auf dem klassischen Zweisitzer, bei dem die schwerere Person vorne sitzt und die leichtere hinten, endete immer wieder im Streit. Kriss: „Ich habe rebelliert, weil ich freie Sicht wollte.“ Die Lösung sahen sie schließlich auf einem Campingplatz – und als ihr Vermieter in Berlin, ein Fahrradfreak, ausgerechnet dieses Model im Keller stehen hatte, war ihnen klar, sie mussten es haben. Für 2.300 Euro – mehr hatten sie nicht – kauften sie ihm das gebrauchte Tandem ab, auf dem Magdalena jetzt im Liegesitz vorne in die Pedale treten kann.
Gefunden haben sich die studierte Musik- und Tanzpädagogin Kriss und der gelernte Zimmermann und Straßenmusiker Wall durch die Ethno-Weltmusik-Szene. „Ich habe Dan zum ersten Mal bei einem Festival in Slowenien auf der Bühne gesehen und später auf einer Reise mit vielen anderen Musiker:innen nach Schweden näher kennengelernt“, erinnert sich die aus Bayern stammende Künstlerin. Ihren Duonamen wählten sie, weil beide eine Großtante mit dem Namen Friedl hatten beziehungsweise haben, die in ihrer Jugend auch noch am selben Berg auf der österreichischen und der deutschen Seite lebten.
Mit dem Gefährt müssen die beiden Musikschaffenden nun ihre Touren ganz anders planen als mit dem Zug oder Auto. „Vor einem Konzert können wir nicht mehr als fünfzig Kilometer strampeln, und es dürfen auch nicht zu viele Pausentage sein, an denen wir nichts verdienen“, sagt Kriss. „Auch ist wichtig, sofort unter die Dusche zu springen“, ergänzt Wall grinsend. Nach einer fünfstündigen Fahrradfahrt gehen sie dann allerdings – das hat beide erstaunt – mit viel mehr Energie auf die Bühne als nach fünf Stunden im Zug oder Auto. Das Tandem steht dabei oft direkt neben ihnen. Was Gepäck anbelangt, müssen sie sich deutlich beschränken. „Rund achtzig Kilo transportieren wir auf diese Weise“, erklärt Kriss. Neben Zelt, Campingzeug, Kleidung sind das nur noch ihre Instrumente wie Banjo oder Akkordeon, ein paar Mikrofone und Kabel sowie CDs.
So leicht, wie sie sich die Anreise vorgestellt haben, ist es allerdings nicht. Kriss: „Am Anfang dachte ich noch, wir könnten auf dem Fahrrad neue Lieder schreiben oder in den sozialen Medien aktiv sein, aber Radfahren ist ganz schön anstrengend, vor allem den Berg hinauf – und man will ja auch was von der Aussicht haben.“ Dennoch genießen sie es. „Man kann viel freier atmen“, sagt Wall. Auch sind sie stolz, noch ohne E-Bike unterwegs zu sein.
Ihr Ziel für die nächste Tour sind daher achthundert Kilometer. Dennoch spüren sie die Grenzen des anderen Reisens. Am liebsten würden sie ihr Tandem überall auch in der Bahn mitnehmen. Aber das Fahrrad ist zu groß für die Ständer in den ICEs, die ohnehin meist ausgebucht seien. „Für uns stellt sich zudem schon die Frage, was Zeit wert ist“, zeigt sich Kriss nachdenklich. Wenn es nicht anders geht, sind die beiden daher auch mit dem Auto oder Zug unterwegs und nehmen sich ein Zimmer, wenn sie ihr Zelt nicht im Garten aufstellen können. Dennoch wünschen sie sich, dass die Anreise mit dem Fahrrad viel normaler werden würde und das Publikum zumindest darüber nachdenkt, dem nachzueifern.
Aktuelles Album:
Tandem (Blue Whale Records, 2021)
Videos:
Promovideo 2022: www.youtube.com/watch?v=xWGti6bxGr8
„Little Boxes“ beim Rudolstadt-Festival 2022: www.youtube.com/watch?v=1etNgiVXFKE
„Fisherman’s Blues“ vom Album Tandem: www.youtube.com/watch?v=BZ31RlxS1tY
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