Wir Menschen sind ohne Frage die Verursachenden des Großteils unserer Probleme, sei es die Umwelt betreffend oder unser soziales Umfeld. Die schottische Singer/Songwriterin Kim Edgar, ebenfalls Mitglied der Gruppe Cara, nahm diese simple Tatsache zum Anlass, eine gar nicht so simple Liedkollaboration mit zwölf Kolleginnen und Kollegen einzugehen, die ohne digitale Hilfsmittel gar nicht möglich gewesen wäre.
Text: Mike Kamp; Aufmacherfoto: Clear Photography
Das Projekt in einfachen Worten: Kim Edgar schreibt ein Jahr lang jeden Monat einen Song mit wechselnden Partnerinnen und Partnern, deren Arbeit sie in der Vergangenheit beeindruckt hat. Die grobe inhaltliche Richtung: die Konsequenzen des persönlichen, sozialen und umweltpolitischen Verhaltens der Menschen. Daher der Titel Consequences.
„Consequences war auch ein Spiel, das ich als Kind gespielt habe. Man nimmt ein Stück Papier, schreibt etwas darauf, faltet es und gibt es an die nächste Person weiter, die die Geschichte dann fortsetzt. Während des Lockdowns dachte ich, dass die Zusammenarbeit mit anderen Songschreibenden, die ich bewundere, mit denen ich aber noch nie Lieder geschrieben hatte, mir helfen würde, kreativ zu bleiben. Außerdem war mein letztes Album Held ausgesprochen privat. Daher wollte ich meine Inspirationen diesmal außen suchen, um so vielleicht ein paar Lieder zu schreiben, in denen das Persönliche auch politisch ist. So etwas interessiert mich sehr.“
Einen Song pro Monat zu schreiben, ist ein sehr ambitioniertes Ziel, aber Edgar sieht das völlig anders. Im Gegenteil, es geht ihr wie vielen Menschen: Um produktiv und kreativ tätig zu werden, braucht sie einen gewissen Druck. Die Zusammenarbeit mit anderen zwang sie, sich die Zeit für die Lieder zu nehmen, und genau das gefiel ihr, trotz offensichtlichem Koordinationsstress.
Nachdem Kim Edgar den groben thematischen Rahmen für das Projekt vorgegeben hatte, hoffte sie, dass ihr jeweiliges Gegenüber die Führung übernehmen würde, was die genaue Richtung des Songs anging. Und damit lag sie nicht falsch. „Vor der konkreten Zusammenarbeit haben wir uns natürlich ausgetauscht. Mit Ron Sexsmith habe ich über psychische Gesundheit, Cancel Culture und Freundlichkeit gesprochen, mit Horse McDonald darüber, wie sich ein Kindheitstrauma auch als erwachsener Mensch auswirken kann. Mit Boo Hewardine über das enorme und anhaltende Gefühl von Verlust, Trauer und Scham, das unverheiratete Mütter erleiden, deren Babys ihnen in der Vergangenheit von Kirche und Staat weggenommen wurden. Mit Dan Bettridge über die letzte Warnung, die die Umwelt derzeit an die Menschen sendet, und mit Goodnight Louisa über die Auswirkungen von Gier und Glücksspiel auf den Menschen. Mit J-P Piirainen darüber, was es bedeutet, Zeuge von Ungerechtigkeit auf globaler oder persönlicher Ebene zu sein und nicht dagegen aktiv zu werden, mit Sandra Le Couteur über die Klimakrise und mit Stone über die Hauptursachen von Konflikten sowie darüber, was der Taoismus für unsere Suche nach Frieden und Freiheit zu bieten hat. Mit Rachel Sermanni über die Folgen, die Gehörtwerden und Gesehenwerden auf Menschen haben kann, mit Louis Abbott über die Auswirkungen der Abwesenheit von zu Hause auf Menschen sowie mit William Crighton über den Effekt des Krieges auf das menschliche Leben. In einem Fall – und das hat mich wirklich überrascht – hat mir James Grant Musik zur Verfügung gestellt, ohne dass ich ein Thema im Kopf hatte, und dann habe ich eine Melodie gefunden und mir überlegt, was die Musik selbst wohl aussagen könnte. Das führte zu einem Lied darüber, was uns helfen kann, unseren Sinn für Identität zu entwickeln, und wer wir in der Welt sind.“
Kim Edgar
Foto: Alan Graham
Eine ebenso unglaublich diverse Liste an Themen wie an Kooperationen! Dabei hat Edgar noch nicht einmal alle Personen erreicht, mit denen sie zusammenarbeiten wollte. Anaïs Mitchell zum Beispiel musste wegen Zeitmangel absagen.
Jedes Projekt ist ein Kind seiner Zeit, und das gilt ganz besonders für Consequences. Vor 25 Jahren wäre es technisch schlicht unmöglich gewesen, weltweit mit so vielen Partnerinnen und Partnern zusammenzuarbeiten. Wie genau gestaltete sich denn die Arbeit? „Das war während des gesamten Projekts sehr unterschiedlich – insbesondere wegen der wechselnden coronabedingten Einschränkungen, aber auch wegen der Wohnorte der Beteiligten. In den meisten Fällen fand das Treffen an einem Tag statt – allerdings mit dem Austausch erster Ideen im Vorfeld und der anschließenden Bearbeitung von Text und Musik. So gab es Zoom-Konferenzen mit Horse McDonald, Dan Bettridge und J-P Piirainen. Mit Boo Hewerdine, Goodnight Louisa und Rachel Sermanni hatte ich das Glück, persönlich zusammenarbeiten zu können – hier waren die Beschränkungen aufgehoben, da sie geografisch in meiner Nähe leben. Bei den anderen gab es eine sehr interessante Mischung von Ansätzen – mit Ideen, die per E-Mail ausgetauscht wurden, wie im Fall von Sexsmith, Le Couteur, Grant und Stone, und einer Premiere für mich bei den letzten beiden: Mit Louis Abbott kollaborierten wir per WhatsApp und mit William Crighton per Facebook-Messenger, während er auf Europatournee war! Nicht erwartet hätte ich, wie viele Mitwirkende bereit waren, sich an den Aufnahmen zu beteiligen und den jeweiligen Song fertigzustellen – viele von ihnen taten dies aus der Ferne, weil sie technisch dazu in der Lage waren. Es war aber auch ein Vergnügen, mit Horse McDonald und Rachel Sermanni persönlich im Studio zu arbeiten. Ich habe aus diesen Erfahrungen viel gelernt.“
„Vor 25 Jahren wäre es technisch unmöglich gewesen, weltweit mit so vielen Partnerinnen und Partnern zusammenzuarbeiten.“
Apropos Studio, jeder Song bedurfte in der Regel einer Nachbearbeitung beziehungsweise eines Arrangements. Das erledigte Kim Edgar mit dem, was sie ihr „kreatives Team“ nennt, bestehend aus dem Produzenten und Schlagzeuger Mattie Foulds, dem Bassisten Kevin McGuire sowie Mikey Owers, der für Blechbläser, E-Gitarre und zusätzlichen Gesang verantwortlich zeichnete. Bevor jeder Song gemastert wurde, bekamen ihn die Künstlerinnen und Künstler noch einmal zu hören, um entweder ihr Einverständnis zu geben oder Änderungen anzuregen.
Herausgekommen ist ein akustisch bemerkenswert einheitliches Album mit inhaltlicher Intelligenz und Diversität, was ohne die finanzielle Unterstützung von Creative Scotland nicht möglich gewesen wäre, wie Kim Edgar nicht müde wird zu betonen. Ein Album, das ganz gewiss zu den erfreulichsten Resultaten des Lockdowns zählt.
Videolinks:
Ron Sexmsith & Kim Edgar, „Any Wishing Star“: www.youtube.com/watch?v=6FHqs74AIZ0
Horse McDonald & Kim Edgar, „Save Myself (Run Away)“: www.youtube.com/watch?v=7ATBKASR3dQ
James Grant & Kim Edgar, „Cornerstone“: www.youtube.com/watch?v=03dX9pn3AHY
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