Was macht ein Folkfestival unvergesslich? Musik, auch leckeres Essen und Trinken, ein freundliches Publikum und angemessene Campingmöglichkeiten sind die Basis für ein gutes Festival. Doch der Unterschied zwischen einem guten und einem großartigen Festival ist das Gefühl des Nachhausekommens schon beim Eintreffen auf dem Gelände – ein einzigartiges Ambiente, diese gewisse Magie und Erfahrungen, die noch weit über die Musik hinausgehen. Und FolkEast liefert all das, übertrifft dabei alle üblichen Festivalstandards und erfüllt alles, was ein perfektes Festival ausmacht. Dabei ist FolkEast gleichzeitig unglaublich entspannt.
Text und Fotos: Yasmine Moll
Während es in England viele andere und viel bekanntere Folkfestivals gibt, sticht das gerade erst elf Jahre junge FolkEast heraus. Es hat sich den Ruf einer „Must-visit“-Veranstaltung aufgebaut, britische Zeitungen beschrieben es als „eines der am höchsten bewerteten Reiseziele der Folkszene“, und wer einmal dort war, weiß warum und wird wahrscheinlich auch in Zukunft keine Ausgabe mehr verpassen wollen.
FolkEast findet jedes Jahr an einem Wochenende im August (freitags bis sonntags) in der atemberaubenden Parklandschaft der elisabethanischen Glemham Hall bei Woodbridge statt, inmitten der wunderschönen, ländlichen Grafschaft Suffolk an der ostenglischen Küste. Das Festival bringt wirklich alles Wichtige der Folkszene zusammen: natürlich eine tolle Auswahl an Musik – vielfältige traditionelle und moderne Folkmusik auf drei Bühnen –, aber auch neue und traditionelle Folklore und Legenden, Morris Dancers, ein Ceilidh-Tanzzelt, Kunst und Künstler, Strickkunst, Essen, Bier und Cider lokaler Mikrobrauereien.
Die Festivalleiter Becky und John Marshall-Potter sind bemerkenswert in ihrer Begeisterung und ihrem Engagement. Als Gründer und Organisatoren finanzieren sie das Festival komplett aus eigener Hand und nehmen das volle finanzielle Risiko auf sich – ohne jegliche öffentliche Subvention. Sie haben den Coronasturm überstanden (mit einer äußerst beeindruckenden Spendeninitiative, die die Zukunft des Festivals gesichert hat) und im letzten Jahr das zweite Jahrzehnt mit „Erfolk“ gestartet.
Was FolkEast im Vergleich zu anderen Festivals wirklich einzigartig und besonders macht, sind die Atmosphäre und das Gemeinschaftsgefühl. Es ist wie eine große, glückliche Familie – Becky beschreibt FolkEast als „a litte bubble of a place“, weg vom Alltag, wo jeder sich zu kennen scheint und alle zufrieden sind. „Das ist das Herz des Festivals, es ist das Wichtigste.“
Das Festival hat etwas von einem traditionellen englischen Dorffest – im besten Sinne. Es gibt sogar einen „Dorfplatz“, auf dem Morristänzer auftreten, den kleinsten (provisorischen) Pub Großbritanniens in einem Gartenschuppen mit Biergarten im Zentrum des Festivals und einen Feenwald, der in der Nacht einfallsreich beleuchtet wird. Es ist nicht zu groß, das Festivalgelände ist gut überschaubar, aber groß genug, um – sowohl musikalisch, als auch kreativ und kulinarisch – das Publikum rund um die Uhr beschäftigt zu halten. Neben Konzerten gibt es ein beliebtes Ceilidh-Tanzzelt und Treffpunkte für Sessions.
Jedes Jahr gibt es eine beeindruckende Auswahl an Bands und Musikschaffenden, mit Fokus auf englischer, aber auch schottischer Musik, von traditionell bis modern. FolkEast ist stolz darauf, auch lokale und junge Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen – die Verantwortlichen haben hervorragenden, inzwischen wohlbekannten Musikern und Musikerinnen aus Ostengland wie Honey and the Bear, Sam Kelly, Tilly Moses, Kelly Booth (vormals Bayfield) und Finn Collinson frühe Auftrittsmöglichkeiten gegeben.
2023 bot das Musikprogramm wieder eine hervorragende Mischung aus faszinierenden klassischen Folkbands wie Lindisfarne, Capercaillie oder Kathryn Tickell, innovativen Acts wie Ímar, das Sam Kelly Trio oder Joshua Burnell, jungen Talenten wie Ellie Gowers oder das Filkin’s Ensemble sowie einigen internationalen Gästen wie Naragonia, Spooky Men’s Chorale oder die beeindruckende Zusammenarbeit zwischen der Engländerin Tamsin Elliott und Tarek Elazhary aus Kairo. Einer der Höhepunkte war Capercaillie, die geniale schottische Folkband und Headliner am Freitagabend, die nun schon seit vierzig Jahren zeitgenössische Klänge mit traditionellem gälischem Gesang kombiniert und die FolkEast einen von nur zwei Auftritten 2023 bescherte.
Im brillanten Gesangs- und Songwritertrio The Young’uns (siehe auch hier) hat FolkEast seine eigenen musikalischen patrons, Schirmherren, die sich auch jedes Jahr aktiv am Festival beteiligen. 2023 mit einem großartigen Auftritt auf der Hauptbühne sowie in dem sehr beliebten FolkEast-Klassiker The Young’uns Podcast – eine Stunde Slapstick-Humor, Albernheit, ein bisschen Musik, eine Reihe von Festivalgästen und jede Menge Gelächter.
FolkEast ist aber auch und vor allem einzigartig wegen seiner originellen, manchmal skurrilen Ideen und künstlerischen Kreativität. Das Festival hat seine eigenen Charaktere und Legenden geschaffen. Eine davon ist inzwischen zum Symbol der Veranstaltung geworden: der „Jackalope“ – eine hasenähnliche Kreatur mit langen Hörnern. Becky sagt: „Die Idee des Jackalope entstand, als wir uns über Fabelwesen unterhielten; plötzlich entwickelte sich diese Geschichte über einen Jackalope – dass es einst in Suffolk viele Jackalopes gab und sie ziemlich gemein waren. Sie hatten große Hörner, mit denen sie auf Autos losgegangen sind und die Vorderseite der Autos herausgenommen haben … Die Geschichte wurde immer wilder, also dachten wir, wir sollten sie in der Folklore von FolkEast wahrmachen.“ Die riesige Jackalope-Skulptur ist sehr beindruckend und prägt das Festivalgelände.
International ist FolkEast praktisch unbekannt, ist demnach für deutsche Folkfans ein echter Geheimtipp – und ist doch die beste Adresse in England für junge und alte Folkies. Hier hast du womöglich zuerst davon gelesen!
Die nächste Ausgabe von FolkEast findet vom 16. bis 18. August 2024 statt.
Videolinks:
FolkEast 2019 – the spirit of the festival: www.youtube.com/watch?v=mI47e1UDl_s
Der Young’uns-Podcast vom FolkEast-Festival 2016: www.youtube.com/watch?v=91BawOh2Kcc
Der Youtube-Kanal des Festivals: www.youtube.com/@folkeast4394
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