„Ich bin noch da“, singt er mit seiner kräftigen Tenorstimme, um hinzuzufügen: „Vielleicht nicht mehr ganz so frisch und etwas mehr außer Atem, aber immer noch genauso neugierig.“ Und wie Herman van Veen mit achztig Jahren und nach sechs Jahrzehnten auf den Bühnen der Welt noch da ist. Vom ersten Ton an zog er die 1.500 Zuhörenden im ausverkauften wunderschönen Linzer Konzertsaal mit dem herrlichen Donaublick in den Bann. Die niederländische Legende sprudelte nur so vor Energie, Clownereien und Tiefsinn, als ob das Beste seiner erfüllten Karriere noch auf ihn warten würde.
Text Erik Prochnow; Fotos: Michaela Markovicova
„Achtzig“ heißt van Veens aktuelles Jubiläumsprogramm, das er nach drei Konzerten in Deutschland nun in Österreich präsentierte. Wie der Titel bereits ahnen lässt, nahm van Veen dabei vor allem sein Alter – wie gewohnt feinsinnig – auf die Schippe. „Auf Wiedersehen, Adieu, Goodbye“, begann er gleich mit dem ersten Lied. Denn: „Man weiß ja nie in meinem Alter, ob man es noch bis zum letzten Lied schafft.“ Nicht nur die vielen treuen Fans, die mit van Veen alt geworden sind, sondern auch das zahlreich vertretene jüngere Publikum tobte sofort vor Lachen.
Herman van Veen ist ein Meister darin, mit seinen Konzerten das Gefühl zu vermitteln, als ob er für jeden einzelnen Anwesenden persönlich sänge. Und diese intime Atmosphäre bestimmte den gesamten Abend. Dabei zeigte das niederländische Multitalent die gesamte Palette seines Könnens rund um die große Kunst des Spiels mit Worten – präsentierte sich als divenhafter Opernsänger, japanischer Samurai, leidender norwegischer Künstler oder als Trompetenspieler ohne Instrument. Und er tanzte Hip-Hop, als ob er mindestens zwanzig Jahre jünger wäre.
Begleitet wurde er meist von vier jungen Tänzerinnen, die gleichzeitig für einen wunderschönen Harmoniegesang und besondere Einlagen sorgten. So sauste etwa bei seinem großen Hit „Anne“ plötzlich ein Elektroroller über die Bühne. Wie immer in van Veens Konzerten sind solche Clownereien mit tiefsinniger Reflexion verbunden. Diesmal drehte es sich dabei um Krieg und die zunehmende Militarisierung in Europa. „Ich bin von nach dem Krieg und hoffe, dass es so bleibt“, kündigte er seinen Antikriegssong „Wiegenlied“ an. Van Veen mahnte, dass kein Unrecht ein neues Unrecht rechtfertige, und warf wichtige Fragen auf, die das Publikum sehr nachdenklich mit nach Hause nahm: „Was ist der Zusammenhang zwischen Öl und Flucht oder zwischen Globalisierung und Einsamkeit? Wer antwortet auf die Frage, was man werden wolle, mit Flüchtling?“
Im Zentrum des rund zweistündigen Konzerts stand aber wie gewohnt das außergewöhnliche, harmonische Spiel mit seiner Band. Neben seinen langjährigen Partnerinnen, der wunderbaren Gitarristin Edith Leerkes (siehe auch Artikel auf folker.world hier) sowie der gefühlvollen Geigerin Jannemien Cnossen zählte diesmal auch der zuverlässige Bassist und Keyboarder Kees Dijkstra dazu. Van Veen unterstützte sie auf der Geige, dem Klavier, der Gitarre, der Mundharmonika oder der Trommel. Gemeinsam ließen sie alte Hits wie „Suzanne“, „Ich lieb dich noch“, „Anders“, „Amsterdam Südviertel“, „Später“ oder „Ich hab ein zärtliches Gefühl“ in neuem Gewand erklingen oder zelebrierten die unerschöpflich scheinende Kreativität des Liedermachers in neuen Stücken wie dem großartigen „Mazzel“. Zudem ließ van Veen seinen Mitstreitern viel Raum, um ihr großes Können zu demonstrieren. Während Cnossen etwa durch ihren ausdrucksstarken Gesang überzeugte, demonstrierte das Exmitglied des legendären Amsterdam Guitar Trios, Leerkes, ihr beispielloses Gitarrenspiel mit Instrumentalkompositionen ihres neuen Albums Twins.
Herman van Veen und seiner Band gelang es erneut, einen Zauber zu entfachen, der zeitlos ist und das Publikum den oft stressigen oder eintönigen Alltag völlig vergessen lässt – und dennoch das eigene Leben zu reflektieren. Das ist das Wesen eines guten Clowns, besonders eines Musikclowns, was van Veen so einzigartig macht. Es ist zu hoffen, dass er noch lange da sein wird.
Zum Anlass seines achtzigsten Geburtstags erscheint in Heft #3.25 des folker Anfang September 2025 ein Interview mit Herman van Veen.
0 Kommentare