Als Reggae-Afficionado habe ich mich seit Mitte der Siebziger mit dem Sound der lautesten Insel der Welt befasst und eine ganze Reihe von Werken über das Genre gelesen. Gerne liest man Bücher, die die eigene Meinung bestätigen, doch Bücher sollten dem Lesenden eher neue Horizonte eröffnen – Helmut Philipps Buch über 50 Jahre Dub aus Jamaika ist so eines. Seine solide Basis findet das Werk in einer Oral History des Genres. In einer Spanne von sechzehn Jahren interviewte Philipps einundvierzig Musiker, Toningenieure, Produzenten. Diese Interviews verwebt er mit einer fundierten geschichtlichen Rückschau und einer Analyse. Seine Analyse westlicher Hörgewohnheiten tut an manchen Stellen weh, denn sie erschüttert die eigenen Vorurteile. Auch der Autor dieser Zeilen hatte sich bequem in seiner Sicht auf den Dub eingerichtet, hat die jamaikanische Urform – ohne sich besondere Gedanken zu machen – mit den westlichen Neuschöpfungen (Digidub, Dub-Techno, Ambient Dub, Hyperdub, Drum ’n’ Bass, Dubstep) amalgamiert, sich zu wenig mit Geschichte und Brüchen beschäftigt. Es ist zweifellos richtig: Ohne Dub wären viele der aktuellen elektronischen Musikstile undenkbar. Denn bei der Dubversion wurde das Studio zum Instrument und der Song zum Material, das die kreativen Studioköpfe völlig neu interpretierten. Wer waren diese Köpfe, wie sahen ihre Produktionsmittel aus, in welchem ökonomischen Kontext entstand ihre Musik? Wenn man sich vorstellt, dass sie in der Frühphase des Dub mit vier Spuren auskommen mussten, die Effektgeräte sich auf Federhall und Echo begrenzten und es ihnen dabei gelang, völlig neue Klangwelten zu erschaffen, kann man rückblickend nur den Hut ziehen, denn heute stehen Musikschaffenden hundert Spuren und unbegrenzte digitale Möglichkeiten zur Verfügung. Helmut Philipps ist Toningenieur, und so ist es kein Wunder, dass er den Engineer konsequent in das Zentrum seiner Erzählung stellt. Es ist damit das erste Buch, das die Arbeit im Studio genau beschreibt und die Helden feiert, die sonst nur kleingedruckt auf der Rückseite einer LP erscheinen. Was Sie schon immer über Dub wissen wollten, aber nie zu fragen wagten – das neue Standardwerk von Helmut Philipps beantwortet alle offenen Fragen.
Jean Trouillet
HELMUT PHILIPPS: DUB-KONFERENZ : 50 Jahre Dub aus Jamaika. – Köln : Strzelecki Books, 2022. – 284 S.
ISBN 978-3-910298-02-6 – 24,80 EUR
Bezug: www.strzelecki-books.com
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