Was man hört und was man weiß, liefert oft ja unterschiedliche Ergebnisse in der Einschätzung. Wer ohne weitere Hintergrundinformationen das neue Album der Delines auflegt, hört soft-souligen Sound der Marke Cowboy Junkies aus den Neunzigern, frei von modernistischen Ecken oder genrebrechenden Kanten. Sängerin Amy Boone croont sich durch meist getragene, immer elegische Balladen, die man gern zwischen Diana Krall und Madeleine Peyroux auflegen mag, ein warmes Klavier, eine geschmackvolle Trompete, ein bisschen Cello. Aber natürlich weiß der informierte Hörer, dass Willy Vlautin sich das alles ausgedacht und geschrieben und arrangiert hat. Der als Bandleader (Richmond Fontaine) wie als Romanautor (The Motel Life) gleichermaßen erfolgreiche US-Amerikaner aus Reno, Nevada, ist bekannt für seine düsteren, dem Leben auf der dunklen Seite der Straße abgeschauten Geschichten. So lauern unter der gewohnt erstklassigen Produktion auch diesmal Gefängnisse, Depressionen, Drogen oder Zuhälter. Und wer Vlautins aktuelles Buch, The Horse, gelesen hat, wird einige der fiktiven Lieder darin nun als echte Delines-Songs wiederfinden. Großes Kino also für die Fans, ein schönes Album für Einsteiger.
Martin Wimmer
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