Einem unbekannten, freundlichen Konzertgast hat Dota Kehr die Bekanntschaft mit den Gedichten Mascha Kalékos zu verdanken. Sei klug und halte dich an Wunder lautete der Titel des kleinen Buches, das sie vor Jahren nach einem Auftritt zugesteckt bekam, und diesem Wunder verdanken wir schon die zweite wunderbare Produktion mit Liedern auf Texte der jüdischen Dichterin.
Mascha Kaléko veröffentlichte im Berlin der 1920er-Jahre ihre ersten Gedichte, moderne Großstadtlyrik mit heiter-melancholischem Inhalt, die bis heute nichts von ihrem zeitlosen Charme verloren hat. Sie musste Berlin 1938 verlassen, weshalb sie nicht ganz so bekannt ist, wie zum Beispiel Erich Kästner, mit dem sie oft verglichen wird. Gleichwohl wird sie immer wieder neu entdeckt und Musikschaffende werden von ihrer Poesie des Alltags zu Vertonungen inspiriert. Wie bei ihrem ersten Kaléko-Album 2020 haben die ehemalige Kleingeldprinzessin aus Berlin und ihre Band auch dieses Mal die CD mit Kolleginnen und Kollegen eingespielt. Mit Anna Mateur, Gisbert zu Knyphausen, Funny van Dannen, Rainald Grebe, Götz Widmann, Dirk von Lowtzow, Sarah Lesch, Black Sea Dahu oder Nicola Rost sind wieder illustre Namen vertreten. Sie alle bringen ihre eigene Farbe in die Interpretationen. Das passt gut zu der Vielschichtigkeit der Texte. Lieder von Liebe und vom Verlassen, alte Lieben, Fremdheit und Außenseitertum, Einsamkeit und Alkoholkonsum, Wunder und Scheitern, Zeitkritisches und das pure Vergnügen, Sehnsüchte und Abschied, Großstadt und Dorf, ein Spektrum des Lebens wird bedichtet und besungen. Alle Lieder werden mit einer unaufdringlichen Leichtigkeit, fast beiläufig interpretiert, keine Effekthaschereien, die Sänger und Musikerinnen folgen dem klaren Charakter der Gedichte. Es ist wieder eine sehr stimmige und stimmungsvolle Produktion von Dota Kehr geworden, mit sehr heutigen Liedern und eine Hommage an die Dichterin zugleich. Ein Booklet mit Infos wäre eine würdevolle Ergänzung gewesen, gerade für ein (junges) Publikum, dem Mascha Kaléko vielleicht nicht so geläufig ist.
Rainer Katlewski
Foto oben: Annika Weinthal
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