FEMUA 14

Das Festival der urbanen Musik in Abidjan

9. Juni 2022

Lesezeit: 4 Minute(n)

„Magic In The Air“. Die Show findet auf der Bühne statt, aber auch im Publikum des riesigen Festivalgeländes. Alle singen vollmundig die Texte mit, sie hüpfen und tanzen, klatschen im Takt. Manche der Fans, die sich bis morgens um fünf gegen die Gitter der Bühnenabsperrung drängen, sind keine sechzehn. Die Hälfte der Bevölkerung der Elfenbeinküste ist unter zwanzig. Die vier Sänger der Band Magic System aus dem Stadtteil Anoumabo singen ihre Hits. Strahlende Gesichter vermitteln pure Lebensfreude.

„Die Geschichte der Band ist die von vier Jungs, die aus dem Armenviertel losgeflogen und auf den Champs-Élysées gelandet sind“, erklärt A’Salfo, Leadsänger der Formation. Die Mitglieder von Magic System – A’Salfo, Goudé, Manadja und Tino – werden „die Zauberer“ oder „die Magier“ genannt. Auf dem Konzert in Abidjan sind zahlreiche Minister anwesend, der Premierminister der Elfenbeinküste hält eine Lobesrede, bevor A’Salfo das edle graue Sakko und die Krawatte, die er als Generalkommissar des Festivals und zum Empfang des Regierungschefs trägt, ablegt, auf die Bühne springt und den erfolgreichen Zouglou-Pop der Band präsentiert, mit für die Elfenbeinküste typischen Beats, verstärkt durch Bläser. Der ein oder andere Minister tanzt auf der Prominententribüne.

„In Afrika ist Musik schön, wenn sie laut ist.“ 

Das „magische System“ ergatterte 2014 mit seiner Zougloumusik aus Côte d’Ivoire die sechzehnte Goldene Schallplatte. Die Albumverkäufe insgesamt belaufen sich auf über fünfzehn Millionen Tonträger und machen Magic System mit den Reggaestars Alpha Blondy und Tiken Jah Fakoly zu den international berühmtesten ivorischen Künstlern. Am Abend der Wahl in Frankreich 2017 sangen die vier für den frisch gewählten Präsidenten Emmanuel Macron „Magic In The Air“ vor dem Louvre. Inzwischen ist der Hit auch in deutschen Fernsehshows zu hören.

 

Coco Argentée

Das letzte Album stammt von 2015. Seitdem hatten sie keine Zeit für ein weiteres, sagt A’Salfo. „Heute ist es mir wichtiger, eine Schule zu bauen als ein neues Album zu machen.“ Die Bandmitglieder engagieren sich aktiv und ganz praktisch für Bildung und veranstalteten in diesem Jahr zum vierzehnten Mal das Festival des Musiques Urbaines d’Anoumabo, kurz FEMUA, um den Bewohnern des Viertels zu zeigen, dass sie nicht vergessen haben, wo sie herkommen. Mit ihrer Stiftung weiht die Band jedes Jahr zur Festivaleröffnung eine Schule ein, diesmal waren es sogar gleich zwei. Auch eine Gesundheitsstation haben die „Zauberer“ finanziert sowie Kinderkrippen, Krankenhausbetten, Schulbücher und medizinische Hilfsmittel.

„Ein Festival ist ein fantastisches Instrument, um die Jugend zu erreichen.“

FEMUA will einen Querschnitt aktueller urbaner Musik aus Afrika zeigen und ist eine Art Erfolgsbarometer panafrikanischer Musik. 2022 performen der französisch-senegalesisch-kongolesische Rapper Youssoupha, dessen Poesie die Kids auswendig mitsingen, genauso wie die von Iba One aus Mali. Jeder hier kennt auch Diamond Platnumz aus Tansania, der es mit seinem Afropop auf über sechseinhalb Millionen Abos auf Youtube bringt. Innoss’B aus der Demokratischen Republik Kongo trägt seinen „Afrokongo“-Stil mit ohrenbetäubender Lautstärke vor – wie alle Künstler und Künstlerinnen: In Afrika ist Musik schön, wenn sie laut ist.

Viva la Musica und Felix Wazekwa, Vertreter der kongolesischen Rumba, repräsentieren die ältere Musikgeneration der Demokratischen Republik Kongo, die dieses Jahr Ehrengastland des Festivals ist. In einem Zelt erhalten die Besucherinnen und Besucher Informationen über Land und Rumba. Der populäre Musikstil gilt als panafrikanischer Erfolg, eroberte er doch ganz Afrika und auch den Rest der Welt inklusive der Diaspora. Im Dezember 2021 erklärte die UNESCO die kongolesische Rumba zum immateriellen Weltkulturerbe.

Eine Wahnsinnsshow liefert auch die Kamerunerin Coco Argentée. Die Madonna mit dem Federschmuck feiert Frauenpower und stellt im silbernen Body Gendermodelle in Frage. Am Schluss tragen ihre vier Tänzer Faltenröcke, was übrigens klasse aussieht. Coco Argentée verkündet ihre Botschaft: „In diesem Jahr haben die Frauen das Sagen!“

Auch die stimmgewaltige Rocky Gold feiert mit vier Tänzerinnen und drei Choristinnen Frauenenergie. Die für die Elfenbeinküste typischen Coupé-Décalé-Rhythmen gehen mit spektakulärer Powackelakrobatik einher. Hüft-, Po- und akrobatische Körperbewegungen von Tänzerinnen und Tänzern sind aus der Popmusik Côte d’Ivoires nicht wegzudenken, auch das Duo Yodé et Siro lässt seine melodiösen Zougloumelodien von sechs Tänzerinnen begleiten.

FEMUA steht nicht nur für Musik und neue Schulen. Nach Umwelt, Emigration, Frauen und einer Impfkampagne während der Pandemie sind die Themen des diesjährigen Festivals „Unternehmertum und Unternehmensgeist“. „Superwichtige Fragen in der Elfenbeinküste, wo jedes Jahr fünfhunderttausend Jugendliche auf den Arbeitsmarkt drängen“, sagt EU-Botschafter Jobst von Kirchmann. Die Europäische Union unterstützt das Festival. „Wir haben ganz konkret Workshops durchgeführt, um den jungen Leuten zu helfen, einen Businessplan zu machen.“ Auch Trainingsprogramme für Bewerbungen bieten konkrete Hilfe. „Afrika ist ein junger Kontinent“, so Jobst von Kirchmann. 75 Prozent der Bevölkerung Côte d’Ivoires sei unter 35, und die kriege man am besten mit Musik. Ein Festival „ist ein fantastisches Instrument, um die Jugend zu erreichen“.

Das FEMUA-Festival hat seit 2008 Hunderte von Künstlerinnen und Künstlern aus dreißig Ländern nach Abidjan geholt, über tausend direkte oder indirekte Arbeitsplätze geschaffen und Hunderttausende von Festivalbesucherinnen und -besuchern vor die Bühne gelockt. Zudem werden die Shows live im ivorischen Fernsehen und im Radio übertragen. Dreihundert Menschen arbeiten permanent an seiner Organisation. EU-Botschafter von Kirchmann: „Von dieser Art Festivals, bei denen nicht nur Musik eine Rolle spielt, sondern auch Themen behandelt werden, gibt es noch viel zu wenige.“

femua.com

 

Fotos: Martina Zimmermann

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