Vun Weck, Worscht, Woi un Wingertsweiber

Rheinhessische Mundart in Wort und Musik

28. September 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

„Lumbe, alt’ Eise, Babier“! Früher gab es in Rheinhessen Menschen mit Ecken und Kanten, geformt von den Stürmen des Lebens: „Dummbabbler un Zornesgiggel!“ „Rhoihessisch“ klinge wie ein Fahrradschlauch, der die Luft verliert, oder wie plätscherndes Wasser, das schmatzt und nuschelt. Mundart wurde in Schulen geächtet. Heute gibt es in der Region wenige Familien, die generationenübergreifend „Platt babbeln“.
Text: Fred Balz

Früh war die Mainzer Fastnacht Impulsgeber der Mundartszene. Hildegard Bachmann und die Gründerin des Mundarttheaters Meenzer Rhoiadel Eleonore Gierlichs fanden so ihre Bestimmung. Volkskundler Manfred von Roesgen und Karl Schramm (Mainzer Wörterbuch) erforschten den Dialekt. Autorinnen und Autoren wie Inge Reitz-Sbresny (De Holzworm), Hartmut Keil (Woi is e Gedischd) und Wilfried Hilgert (Mores, Zores un Maschores) schrieben humorvolle Geschichten und Gedichte mit Lokalkolorit. Mundartlesungen von Mechtild Allebrand (Wie’s friejer waa), Heidi Eller (Isch bin die Lisbeth), Marliese Reitzel (Else oder Woher der Wind weht) oder Fritz Kleemann (Im Selztal do bin isch dehoam) stießen auf reges Interesse.

„Früh war die Mainzer Fastnacht Impulsgeber der Mundartszene.“

Als älteste Fastnachtsschlager aus den 1840ern gelten „Host’n nit gesehn“ und „Ei wo bleibt moi Josephsche?“ vom Komponisten des „Narrhallamarschs“ Carl Zulehner. 1848 setzte Carl Weiser mit dem „Vilzbach-Lied“ dem verschwundenen Gewässer und den dortigen Tagelöhnern ein Denkmal. Martin Mundo hatte die Trosthymne der Mainzer Fassenacht „Heile, heile Gänsje“ 1929 für seine Fastnachtsposse „Hurra, mir erwe!“ geschrieben. Sitzungspräsident Werner Mundo reichte das Lied an Ernst Neger weiter. Thematisiert die zweite Strophe das Problem der Kriegerwitwen, beginnt die dritte mit „Das Leben ist kein Tanzlokal“. Georg Zimmer-Emdens Nachkriegsstrophe vergleicht das zerstörte Mainz mit dem geteilten Berlin. Mit dem blinden Pianisten Toni Hämmerle, der Hits wie „Rucki Zucki“ und „Humba Täterä“ kreierte, hielt Negers Erfolgssträhne bis 1979 an. In seine Fußstapfen traten Margit Sponheimer („Gell, du hast mich gelle gern“) und Fastnachtsrebell Herbert Bonewitz mit den Gonsbachlerchen, die Schlager persiflierten.

Se Bummtschacks

Foto: Promo

In den Achtzigern mischte Onkel Hermann Schneider Fastnachtssitzungen auf. Jährlich kreierte er mit seiner Band Batschkapp neue Fastnachtshits. Nach seinem Rückzug 2008 übernahmen Mitmusiker als Blau Katz sein Erbe, von denen das Halbbrüderduo Hottvolee (Ulrich Melies und Joska Fiedermutz) bis heute aktiv ist. Seit zwanzig Jahren sind Se Bummtschacks um „Dummbabbler“ Sven Hieronymus die bekannteste Mundartband. Derzeit steht der Comedian im Musical Schinderhannes mit den Wiesbadener Crackers auf Theaterbühnen. 1987 suchte die Allgemeine Zeitung das ultimative Weinlied. Unter dem Pseudonym Billy Crash macht der heute achtzigjährige Martin Kijaszek seitdem Mundartmusik mit Anleihen an Folk, Skiffle, Country, und Blues. Seine Rocktheaterstücke wie Vollmondaache (1998), Quetschkommod (2001) und Wäschbrigg (2007) sind legendär.

Hottvolee

Foto: Promo

Die eigenwilligste Gruppe ist die Tom Bombadil Folkband. 1983 von Friedrich Vollrath und Lothar Schwamb gegründet, hatte die Formation früh Mundart im Programm. Im Lauf der Zeit hat das Quartett um Vollrath (Gitarren, Geige, Bouzouki), Schwamb (Drehleier, Konzertina, Mandoline), Klaus Ebling (Akkordeon) und Rudi Winkler (Dudelsäcke, Flöten, Bodhrán, Löffel) Höhen, Tiefen und Wandlungen durchlebt. Nach Volksliedern (Tom Bombadil Folkband, 1985), Deutschfolk (Roter Mond, 1987) und einer Episode als Folkrockband (Tom Bombadil Band, 1992) konzentrierten sie sich auf frankophile Tanzstücke und Mundarttexte der Region (Jean bleib do, 2002, und Dans Mon Village, 2007). Die Texte thematisieren Episoden wie die Werbung eines Mannes um die kratzbürstige Friederike, den Vergleich von keuschen Mädchen mit Rosenstöcken oder das „üble“ Metzger-, Winzer- und Musikhandwerk. Diesen Herbst erscheint das Album In Zeiten, wo der Irrsinn herrscht bei Leiselaut. Bei Auftritten in der Gedenkstätte KZ Osthofen wurde das Programm mit KZ-Widerstandsliedern, jiddischem Liedgut, Bellman-Episteln, dem Zuckmayer-Gedicht „Cognac im Frühling“, Mundart-Preziosen wie „Es geheert alles dezu“ über Weinberge und Windräder und Carlo-Mierendorff-Liedern getestet. Letzterer war Schriftsteller und Mitverschwörer des Widerstandskämpfers und SPD-Abgeordneten Ludwig Schwamb, seines Zeichens Uronkel Lothar Schwambs, von dem die Vertonungen stammen. Nach fünfjähriger Pause ist Klaus Ebling für die Albumproduktion zur Band zurückgekehrt. Nach seiner Krebsdiagnose hatte er sich zurückgezogen, aber weiter an Musik gefeilt. Auf der Veröffentlichung Iwwerfluch (Leiselaut, 2021) des Duos klac zusammen mit Gitarren- und Gesangspartner Karl Ott sind Lieder über Leben, Liebe und Tod Tanzstücken gegenübergestellt. Ein starkes Debüt mit großer musikalischer Bandbreite.

Tom Bombadil Folkband

Als Netzwerker hat sich der ehemalige Kulturkoordinator der Stadt Worms, Volker Gallé, hervorgetan. Er stößt Debatten an, hält Vorträge, organisiert Veranstaltungen und gibt Konzerte (Album: De Wind hodd kaan Haß, 1997). Zusammen mit „dem klääne Pälzer“ Michael Bauer schuf er das aufwendige Mundartmusical Fromaasch on Voyage (1998).

Aus dem jiddisch-rheinhessischen Liedprojekt „Moscheljer mit Mussik“ der Geschwister Inge und Matthias Mandos ist ein Album des Rhoihessischen Sympathieorchesters aus Klezmermusik, Volksliedern und Mundartsongs geworden. Themen finden beide – neben jiddischen Songs – in der Region („Summernacht“), Familie („Fer Immer“ – für den Vater) und der Musik („Mei klane Liedscher“).

„Wiedererkennungswert und gute Laune sind garantiert.“

Kraftvoll tritt das Vater-Sohn-Duo Ajoh um Horst und Jörg Dehmel auf. Jörg musiziert und arrangiert, Horst verfasst Texte aus dem Leben und singt zum Gitarrenspiel. Gastschreibende wie Uwe Jung oder die kürzlich verstorbene Mechtild Allebrand sind bei ihren Auftritten gerne dabei. Zu erwähnen sind noch Heinz Balzer mit seiner über fünfzig Jahre alten Bluesband Altrheinpower sowie Die Boijemaaschder um Gitarrist Jens Teschner, Akkordeonist Rolf Discher und Bassist Hardy Kollmus, die seit 1998 Weingüter, Kirmessen und Volksfeste aufmischen. Die Texte stammen bei beiden aus eigener Feder, werden aber oft bekannten Hits übergestülpt. So sind Wiedererkennungswert und gute Laune garantiert.

www.ajoh.de
www.billy-crash.de
www.moscheljer.de
www.sebummtschacks.de
www.tombombadilband.de

 

Auswahldiskografie:

Die Boijemaaschder, Rhoihessisch fer Oohfenger (Eigenverlag, 2009) Billy Crash, Heimatblues (Best-of 1988-2003; Do-CD; Bluesworscht Records, 2004) Diverse, MUNDartiges & UNartiges (Are-Musik, 2002; mit Billy Crash, Alfons Molitor, Die Boijemaaschder, Wilfried Hilgert, Baptist Lager, Marie-Luise Brehm & Fritz Kleemann) Volker Gallé, De Wind hodd kaan Haß (Are-Musik, 1997) Volker Gallé und andere, Fromaasch on Voyage (Mundartmusical; Are-Musik, 1999) Klac, Iwwerfluch (LeiseLaut, 2021) Inge & Matthias Mandos, Moscheljer mit Mussik (Mandos, 2016) Se Bummtschacks, Ziemlich talentiert (Halldeimail, 2018) Tom Bombadil Folkband, Dans Mon Village (LeiseLaut, 2007)

 

Videolinks:
Ernst Neger, „Heile, heile Gänsje“ – mit alter Strophe plus Stimmungsmedley: www.youtube.com/watch?v=_fooIzkB2ic
Sechzigerjahre-Querschnitt der Mainzer Gonsbachlerchen (mit Herbert Bonewitz): www.youtube.com/watch?v=D38DyfECNiQ&t=24s
Tom Bombadil Folkband mit „The Sailor, Home From Sea“ von Friedrich Vollrath, ursprünglich von 1991, hier 31 Jahre später: www.youtube.com/watch?v=nSfId2KjxPg
Rudi Winkler trommelt mit Löffeln bei der Dienheimer Tom Bombadil Folkband: www.youtube.com/watch?v=wq_EAZy9Qw4
In Worten und Liedern lotet der ehemalige Wormser Kulturkoordinator Volker Gallé mit seinem Programm „Zwischenräume“ die Situation des Linksrheinischen seit der Aufklärung aus und zeigt auf, „wie der Enthusiasmus für Freiheit und Gleichheit sich auf krummen Wegen am Rhein zu verwirklichen sucht“: www.youtube.com/watch?v=vlzKpvevCi0&t=1467s
„Dans nochemol“ – eine bittersüße rhoihessische Ballade von Klaus Ebling über Vergänglichkeit und Erinnerung: www.youtube.com/watch?v=8iw5smfYNqI
Duo klac mit „Kummer“ (Klaus Ebling) von 2021, einem kleinen Lied in rheinhessischer Mundart: www.youtube.com/watch?v=wAU1FT0-GnQ
Dreißig Jahre Altrheinpower und fünfzig Jahre Heinz Balzer Live – Heinz Balzer berichtet über seine Karriere, und Moderator Jean-Luc Busch geht mit seinen Fragen noch etwas in die Tiefe: www.youtube.com/watch?v=5P97liR0XcU&t=197s
Inge und Matthias Mandos und das Kellersextet – Moscheljer mit Mussik live in Zornheim: www.youtube.com/watch?v=eclN5n80d34&t=3s
„Solang de Rhoi“, die Mutmachhymne 2021 und eine Liebeserklärung von Se Bummtschacks an Mainz – mit dabei Lars Reichow, Tobias Mann, Oliver Mager, Andreas Bockius, Andy Ost, Schnorreswackler, Thomas Becker, Lea Hieronymus: www.youtube.com/watch?v=9PDDX3S8A6Y

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