Der Überfall der Hamas auf israelische Zivilisten ist gerade erst einen knappen Monat her, doch an diesem Abend spricht niemand von Tätern, Opfern oder Vergeltung. Das Ensemble Vagabondoj setzt dagegen auf die völkerverbindende Kraft der Musik. Im Guntersblumer Museumskeller spielt sich das Quartett durch die Musik des Morgen- und Abendlandes mit Ausflügen zu Jazz und Pop, ohne den Schwerpunkt Klezmer in ihren kammermusikalischen Arrangements aus den Augen zu verlieren. Dabei führen sie ihr Publikum auf luftige armenische Berggipfel, wilde Feste an der Schwarzmeerküste, durch die kargen Schluchten der Alpen und machen sich bereit für die Überfahrt in die neue Welt.
Text: Fred Balz; Fotos: Kulturverein Guntersblum
Vagabondoj (Esperanto für „Reisende“) wurden 2013 vom Klarinettisten Bodo Scheer, dem Gitarristen Ralph Hanl und dem Tubaspieler Matthias Schütz gegründet. Bald folgten erste Konzerte und Festivals, zuletzt etwa das Rudolstadt-Festival 2023. 2017 veröffentlichten sie das Album Unterwegs. 2020 folgte die Erweiterung zum Quartett mit Schlagzeuger Matthias Lang. Auf dem aktuellen Album Traumtänzer geht die Reise durch die jiddischen Shtetl und die Schluchten des Balkan über den Bosporus nach Kleinasien sowie übers Meer nach Amerika. So trifft ein Klezmerstandard auf türkische Wurzeln und eine Gypsymelodie verwandelt sich in einen veritablen Popsong.
Leise gerät die meditative Eröffnung des Abends mit „Adam“, der mit „Astors Bulgar“ eine beschwingte Tanzmelodie des Gitarristen folgt. Schwermütig beginnt das traditionelle „Bublitschki“, kann aber im Mittelteil dank Tuba und zünftiger Klarinettenmelodie kraftvoll zulangen. Das armenische „Mombar“ ist eine repetitive Klarinettenidee über einen Bordun. Ein Duett von Tuba und Klarinette und pure Tanzmusik sind im „Yiddish Charleston“ zu hören. Beim langsamen Walzer „Hora“ fehlen nur Kuhglocken, so sehr klingt die alpenländische Blasmusik durch. Ein neues Stück des Gitarristen vor der Pause lässt Raum für Experimente.
Graziös umspielen sich Klarinette und Gitarre im zweiten Teil in den durch eine Rahmentrommel angetriebenen Arabesken von „Terk in Amerika“. Gespielt wird Traditionelles, aber auch Stücke des Gitarristen Ralph Hanl kommen zu Gehör, der der dominierenden Klarinette von Bodo Scheer meist den Vorrang lässt. „Der blinde Passagier“ ist ein Tango mit Schlenker zum Dixieland. Einem Schlaflied ähnelt „Am Fenster“, während der rhythmische Furor des Freilachs „Caje Sukarije“ der Gitarre Freiraum für psychedelische Improvisationen bietet. Groß ist der Wiedererkennungswert von ,,Kolyn“, das als „Bella Ciao“ beginnt, aber in andere Gefilde abdriftet. Sidney Bechet und Acker Bilk sind nicht weit, wenn Vagabondoj von Ägypten nach New Orleans abbiegen und in Manier einer Hochzeitskapelle traditionellen New Orleans Jazz rauspusten.
Fazit: Ein musíkalisches Plädoyer für Völkerverständigung mit jüdischer und arabischer Musik im Einklang.
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