Gaye Su Akyol

Istanbuler Moderne mit anatolischen Wurzeln

2. August 2024

Lesezeit: 3 Minute(n)

Gaye Su Akyol muss man gesehen haben, wenn man offene Ohren für moderne Formen von Rootsmusik hat. Und vor allem, wenn man wissen will, wie aktuelle anatolische Musik heute klingt.
Text: Willi Klopottek; Fotos: Aytekin Yalçın

2005 hatte der Hamburger Regisseur Fatih Akin mit seinem Film Crossing the Bridge eine beeindruckende Einführung in die Musikszene Istanbuls geliefert. Moderiert von Alexander Hacke, dem Bassisten der Einstürzenden Neubauten, erfuhr man, was damals in der Metropole am Bosporus musikalisch zu erleben war – von ganz traditionellen Stilen über Pop bis zu experimentellen Gruppen wie Baba Zula, die Althergebrachtes mit viel psychedelischen Elementen aufpeppten.

Leider ist in der Folgezeit die Musik der Türkei in Westeuropa wieder im Untergrund verschwunden, und die Szene der Migranten in Deutschland blieb ohnehin im Untergrund. In letzter Zeit sind allerdings erfreulicherweise wieder Musikschaffende mit Bezug zur Türkei in hiesigen Gefilden unterwegs. Aus Amsterdam etwa kommen Altin Gün, aus Hamburg stammt Derya Yıldırım.

 

Direkt in Istanbul zu Hause ist Gaye Su Akyol, deren Vater dort ein bekannter Maler ist. Akyol leitet ihre Band und führt mit ihrem Gitarristen das Label Dunganga Records, deren Aufnahmen außerhalb der Türkei von Glitterbeat Records in Lizenz vertrieben werden. Diese Frau hält nicht nur geschäftlich alle Fäden in der Hand, sondern strotzt nur so vor Selbstbewusstsein, sowohl musikalisch als auch in ihrer Rolle als Frau. Von den vier Platten, die sie mit ihrer Band aufgenommen hat, sind drei auch in Deutschland erhältlich. Stilistisch erinnert Akyols Musik an Baba Zula, das heißt typisch anatolische Melodiebögen und Rhythmen verschmelzen mit Rockelementen und einer dicken Portion dessen, was landläufig als Psychedelic bezeichnet wird.

Vor allem auf ihrem bisher letzten Album Anadolu Eijderi („Anatolischer Drache“) hört man gut, wie sich die Band von Punk, Jazz, Surf und sogar ein bisschen Disco hat beeinflussen lassen. Aber die Verwurzelung sowohl in der anatolischen Tradition als auch im anatolischen Pop und Rock bleibt unüberhörbar. Und genau das ist das musikalisch Faszinierende daran. Dabei kann es bei Akyol laut und druckvoll abgehen, aber auch stillere Formen sind bei ihr zu finden.

Die politischen Verhältnisse in Gaye Su Akyols Heimat sind kritikwürdig, und die Künstlerin nimmt dazu – wenn auch oft „durch die Blume“ – unüberhörbar Stellung. Die Politik Erdoğans und seiner Partei steht natürlich in krassem Gegensatz zur feministischen Haltung Akyols. Dazu passt das erotische Bühnenoutfit der Künstlerin, die sich als selbstbewusste, starke Musikerin präsentiert. Worum es ihr dabei geht, erklärte sie kürzlich im britischen Songlines-Magazin im Hinblick auf ihre aktuelle Platte, die Ausdruck „der sinnlichen Beziehung einer Frau zu ihrem Körper, ihrer Liebe und Sexualität ist, während heute im Nahen Osten sexuelle Orientierung immer noch geleugnet wird“.

Das drückt sie auch bei Liveauftritten aus. Bekanntlich gibt es Menschen, die ihre schwache musikalische Substanz durch aufsehenerregende Bühnenpräsenz zu kaschieren suchen – da muss man sich bei Akyol keine Sorgen machen. Hier steht eine unerschrockene Frau auf der Bühne, die mit ihrer Band musikalisch erstklassig ist und zudem die emanzipatorische Botschaft ihrer Lieder auch optisch begleitet.

 

Anatolischer Rock hat seine Wurzeln in den Sechzigerjahren, als der kürzlich verstorbene Erkin Koray als einer der Ersten Ost und West miteinander verband und diese Kombination an den Bosporus brachte. An diese Zeit knüpft Gaye Su Akyol an, allerdings ohne einfach zu covern. Sie geht darüber hinaus und ist musikalisch ganz auf der Höhe der Zeit, ohne jedoch in gesichtslosem Global Pop zu versinken. Die Istanbuler Sängerin präsentiert eine moderne, aufregende Form von Musik, die in den traditionellen Formen verwurzelt ist, aber alles andere als museal klingt.

Gaye Su Akyol im cpl-musicshop

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