Kurt Reichmann

*8.4.1940 Ehringshausen
†13.4.2025 Frankfurt/Main

14. Mai 2025

Lesezeit: 2 Minute(n)

Man sucht es sich nicht aus, wofür man brennt. Es passiert. Kurt Reichmann begegnete seinem persönlichen Zündfunken im Jahr 1965, als er bei einem Treffen deutscher Liedermacher auf Burg Waldeck durch den Schweizer Musiker René Zosso zum ersten Mal eine Drehleier sah und hörte. Wie fast allen seiner damaligen Zeitgenossen war auch Reichmann dieses ausgestorbene Instrument völlig unbekannt, umso mehr packte ihn die Wirkung des Bordundauertons in Kombination mit dem eigentümlichen Charakter der gestrichenen Melodiesaiten und dem perkussiven Element „Schnarre“. Seit diesem Tag widmete er sein Leben der Rekonstruktion und musikalischen Wiederbelebung der Drehleier – mit beispielloser Energie und Begeisterung.

Ab 1967 vermaß und rekonstruierte Reichmann historische Instrumente aus Museen und bereiste zu Forschungszwecken ganz Europa. Kein Weg war ihm zu weit, kein Aufwand zu groß, um kulturelle Verbindungen zwischen den Instrumenten, der jeweiligen Spielpraxis und der höchst interessanten, stets intensivem Wandel unterworfenen sozialen Stellung der Drehleierspielenden durch die Jahrhunderte zu erkunden. Auch seine ausgeprägte Höhenangst hatte keine Chance gegen seinen unbeugsamen Willen, als er 1979 mit Hilfe einer Feuerwehrleiter in sieben Metern Höhe das Steinrelief eines Organistrums über dem Eingangsportal der Wallfahrtskirche von Santiago de Compostela zur ersten Rekonstruktion dieses Vorläufers der Drehleier weltweit vermaß.

1973 gründete Reichmann unter hohem persönlichem Einsatz ein eigenes Drehleier- und Dudelsackfestival und ermöglichte Austausch, gemeinsames Musizieren und Fachsimpeln: Anfangs in Reichelsheim, später (und bis heute) in Lißberg, bereicherten sich dort begeisterte Musikschaffende gegenseitig, genossen die musikalischen Darbietungen aus unterschiedlichen Musikstilen, manche verbanden sich zu neuen Bands.

Politische Grenzen durch Zusammenkunft, musikalischen und kulturellen Austausch zu überwinden, war und ist ein Kernthema der internationalen Folkbewegung. Auch in diesem Sinne wirkte Kurt Reichmann, als er enge Verbindungen zu ukrainischen Drehleierspielern aufbaute, in zahlreichen Reisen nach Kiew Freundschaften festigte und immer wieder Musikschaffende nach Lißberg einlud.

Nach seinem Tod am 13. April 2025 blicken wir nun auf ein unfassbares Lebenswerk. Er hinterlässt das einzigartige Musikinstrumentenmuseum Lißberg, die Lißberger Drehleierkurse, unzählige Instrumente, ein vernetztes Wissen um musikgeschichtliche Zusammenhänge und Instrumentenkunde, eine faszinierende Gemäldesammlung zu den Themen Drehleier und Dudelsack und den persönlichen Auftrag, uns seine Begeisterung immer wieder zum Vorbild zu nehmen.

Peter Streng

Foto: Privat

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