Gankino Circus

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31. Mai 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

Was reimt sich noch mal auf Finnen? Genau, die spinnen. Für eine Kabarett-Kapelle, aus Franken zumal, Anlass genug, die Humorlage und Mentalität im Land von Aki Kaurismäki und den Leningrad Cowboys zu überprüfen. Und das Musikgefühl zwischen Polka, Tango und Walzer gleich mit. Also setzte Gankino Circus einen jahrelang gehegten Plan um und fuhr 2019 zur Feldforschung ins Land der komischen Käuze und Kaffeetrinker (Weltmeister!), Saunen und „Snapsi“-Begegnungen. „Bei den Finnen“ heißt das neue Bühnenprogramm, das Ende Januar Premiere haben und ab März auch von einem Tonträger begleitet werden soll. Und, wie sind sie nun, die Finnen? „Die sind schon eigenwillig“, fasst Simon Schorndanner von Gankino Circus zusammen.
Text: Andreas Radlmaier

Nehmen wir nur den „Tag der Schweigsamkeit“, den 1. Januar, Neujahr. „Wer da zuerst spricht“, sagt eine Redewendung, „den plagen im Sommer die Mücken“. Menschen mit Finnland-Erfahrung werden diese Warnung durchaus ernst nehmen und an Neujahr den Mund halten. Noch mehr als sonst. Maulfaulheit als völkerbindender Wesenszug zwischen Franken und Finnen bleibt als Erkenntnisgewinn dieser Nordsternfahrt: „Beim Finnen ist die Grundhaltung sogar noch extremer ausgeprägt. Er redet ja nur, wenn er unbedingt muss. Wenn du einem Finnen in der U-Bahn aus Versehen auf den Fuß trittst, ist es höflicher, nicht ,Entschuldigung` zu sagen. Ihm auf den Fuß zu steigen und ihn dann auch noch mit Ansprechen zu belästigen, geht gar nicht.“

Franken und Finnen im Emotionscheck. Das passt nach Ansicht dieser Musikanten, die sich einen herausragenden Ruf als virtuose Skurrilitäter erspielt haben. Ein Programm über Rheinländer, die ja so offen und kommunikativ sind, sei nicht als gegensätzliche Fortführung geplant, wiegelt Schorndanner ab: „Es soll nicht so sein, dass die Band jedes Jahr woanders hinfährt und von überall a Stückla Musik mitbringt. Das muss schon auch passen. Und bei Finnland passte es.“

Nach zwei Musikkabarett-Abenden, die das Fränkische und Provinzielle als Brut- und Schwitzkasten für Anarchisten und Originale begriffen, folgt also wieder der Pendelschwung in die weite Welt. Begegnungen mit molliger Musik hat man bei der Nord-Expedition abgespeichert, die auf starkem Einsatz von Streichern, Harmonium und akustischen Gitarren basiert. Dazu die Naturerlebnisse, die Abgeschiedenheit. „Es ist ja schon faszinierend an einem selbst zu beobachten“, meint Sänger und Klarinettist Simon Schorndanner, „wenn man sich in einem Land aufhält, wo es niemals dunkel wird. Das versetzt einen in eine eigenwillige Stimmung. Umgekehrt ist es sicher genauso: Wenn es monatelang nicht mehr Tag beziehungsweise hell wird.“ Nordisch by nature eben.

Bei der Gründung vor etwa 15 Jahren entdeckte Gankino Circus zeitgleich mit einer heute ebenfalls nicht ganz unbekannten Band namens LaBrassBanda auf den Straßen Osteuropas die auftrumpfende Kraft von Balkan Beats und benannte sich zu 50 Prozent nach dem bulgarischen Gankino Horo, einem abgefahrenen 11/8-Takt, zu 50 Prozent nach dem Eindruck, den diese Musik-Melange aus den unendlichen Weiten Westmittelfrankens machte: Die spöttischen Dialekt-Lieder auf wildem Rhythmus-Bett waren für sedierte Franken-Gemüter der reinste „Zirkus“.

Schnell erklommen „Gruppenleiter“ Ralf Wieland (Gitarren, Gesang, Geschichten), „Arztsohn“ Simon Schorndanner (Klarinette, Saxophon, Gesang), Dorf-Stoiker Maximilian Eder (Akkordeon, Perkussion, Gesang) und Trommel-Akrobat Johannes Sens (Schlagwerk, Trompete, Gesang) „verschiedene Stufen zum Humor“, räumten Preise vom Weltmusikpreis RUTH bis zum Wolfram-von-Eschenbach-Preis ab und entwickelten auf der Bühne in Ergänzung zu den Lied-Frechheiten ein realsatirisches Typen-Kabinett mit schillernden Wirklichkeiten und musikalischen Verrücktheiten. „Irrsinn und Idyll“ hieß ganz programmatisch ein Abend. Heimatgefühle als Trampolin in den Global Pop zwischen Gipsy-Swing und Finnen-Humppa.

Gankino Circus

Foto: Kathy Hennig

„Nur wer den Arsch der Welt kennt, kennt sich aus mit Gefühl“ findet sich als Provinz-Bekenntnis in dem Song „Wenn es leuchtet“, der als Weihnachtslied das Jahr 2020 beschloss und nicht nur als Wilderei im „Last Christmas“ des Pop-Glitzerns gelten darf. Sondern einen Hinweis dafür liefert, wie es sich anfühlt, als Hillbilly geboren zu sein und als Globetrotter auf der grenzlosen Walz: „Irgendwann kommen alle heim.“

Man sei eine „Rock-Band, die keine Rock-Instrumente spielt“, meint die Akustik-Kapelle, die von Beginn an Abenteuerlust mit physischer Präsenz paarte und deren unbändige Spiellust auch immer eine gewisse Punk-Attitüde durchschimmern ließ. Sicher töne das nicht nach Berghain oder Techno-Club, aber in den eingefädelten Kombinationen sei das musikalische Ergebnis doch heutig und nicht von gestern.

Von der Neuen Volksmusik oder „Volxmusik“ habe man, gesteht Perkussionist und Schlagzeuger Johannes Sens, zu Beginn keine Ahnung gehabt. Learning by playing. „Wir fühlen uns dem Ganzen zugehörig und wohl in dieser Sparte. Wir sind aber definitiv Kosmopoliten und nicht eingegrenzt auf Bayern. Wir wollen international bestehen.“ Heute zählen nicht nur Herbert Pixner und Kabarettist Matthias Egersdörfer zu den erklärten Fans der Gruppe. Gankino Circus bildet den Kern einer aktuellen nordbayerischen Szene, die der Tümelei keine Chance gibt.

„Kärwa-Credibility“ hat David Saam aus Bamberg, der „Antistadl“-Kämpfer und Musikerneuerer (Kellerkommando, Kapelle Rohrfrei, Boxgalopp) den vier Energieerzeugern attestiert. Nur, dass bei dem Quartett die Kärwa nicht mehr im Dorf steht, sondern um die Welt zieht. Volksmusik ist auch immer die Weltmusik der anderen. Nun also Finnland als Frischebad und Inspirationsquelle.

Das Album soll dabei eher „eine ehrfürchtige Verneigung vor dem Land und seiner Musik“ werden. Neben Instrumentals wird es auch Songs auf Finnisch geben, denn Maximilian Eder, der auch das Projekt forcierte, spricht „leidlich“ diese für Deutsche komplizierte Sprache. Ernsthaft, seriös, schön – solche Attribute nennt man bei der Frage nach dem Wunschsound.

Die Live-Umsetzung von „Bei den Finnen“ erzählt „die Geschichte der vier Herren aus Dietenhofen und ihre Begegnungen mit Finnen“. Dass der Erfahrungsbericht „auch lustig“ werden könnte, lässt die bisherige Entwicklung vermuten, verwegene Anekdoten und schräge Typen gehörten bei Gankino Circus schon immer zum Programm. Ein rotes finnisches Kanu wird Johannes Sens als Schlagzeug dienen. Schön, wie diese Franken spinnen.

Wenn sie es denn 2021 wieder dürfen. Nur ein Drittel der geplanten Auftritte konnte Gankino Circus im Krisenjahr 2020 spielen und der Unmut über den „unfairen“ Umgang mit der brachliegenden Kulturszene ist bei Simon Schorndanner deutlich herauszuhören, wenn er sagt: „Da bricht die komplette Infrastruktur ein. Unser Problem ist die Kleinteiligkeit. Wir sind eben nicht die Lufthansa, die Pleite geht. Das erfordert halt Mühe, hier eine Lösung zu finden. Es verfestigt sich der Eindruck: Immer der am lautesten schreit, bekommt als erstes die Suppe. Die Kulturbranche müsste sich stärker bemerkbar machen. Öffentliche Selbstverbrennung würde helfen. Das hat Mario Barth vorgeschlagen.“ Zur Sicherheit und als Warnung sei angemerkt: Mario Barth ist Comedian!

Aufmacherfoto:

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