Das European Folk Network (EFN) wurde schon gleich zu Beginn seines Entstehens von zwei globalen einschneidenden Ereignissen geprägt. Zum einen brach nur wenige Monate nach der ersten EFN Konferenz in Brüssel im November 2019 die globale Pandemie aus, die jedwede Pläne, das Network weiter auszuweiten, über den Haufen schmiss. Zweitens stammt die Idee des EFN aus Großbritannien, das sich mit dem faktischen Einstellen des Brexit 2021 von der EU absonderte und dies zu verschiedenen Komplikationen beim Reisen und dem Austausch von Künstlern und anderen Mitarbeitern führen wird. Der Brexit und dessen Auswirkung auf den kulturellen und, insbesondere, Musikbereich sind ein Thema für sich, aber die Tatsache, dass die aktivsten Gründungsmitglieder des EFN aus England, Wales und Schottland kommen, gibt ein deutliches Signal, dass zumindest der Musiksektor durch den Brexit nicht zu bremsen ist und alles dafür geben würde, um weiterhin unbeschränkte Reise- und Arbeitsrechte in der EU aufrecht zu erhalten, was ja für den professionellen Werdegang und Austausch vieler Musiker essentiell ist.
Text: Daina Zalāne (Vorstandsmitglied des European Folk Network)
Nichtsdestotrotz – Krisenkinder sind ja bekannterweise robuster und langlebiger, deshalb zeugt das EFN von einem großen Entwicklungspotential in der gar nicht so weiten Zukunft.
Der Vorstandsvorsitzende des EFN David Francis sagt dazu:
“Es wird gesagt, dass Europa ebensoviel eine Idee, wie ein geografischer Raum ist. Es ist eine Idee, die es uns ermöglicht, das hervorzuheben, was uns unterscheidet und was wir gemeinsam haben, nicht nur in Europa aber auch darüber hinaus. Nichts veranschaulicht diese Vielfalt und die gemeinsame Erfahrung so sehr wie die traditionelle Kultur. Ich hoffe, dass das EFN diese Botschaft weiteren Enthusiasten, der bürgerlichen Gesellschaft und den Menschen in ganz Europa überbringen kann.”
Für den Großteil der kulturellen Bereiche sowie Musikrichtungen gibt es bereits europaweite Netzwerke mit einer verschiedenen Anzahl von Mitgliedern. Merkwürdigerweise hatte sich der Folksektor bis jetzt jedoch nicht auf diese Weise zusammengeschlossen. Als eins der Vorbilder nimmt sich das EFN das European Jazz Network, das bereits lang etabliert und mit zahlreichen Mitgliedern und regelmäßigen Konferenzen zu einem einflussreichen Spieler auf europäischer Ebene geworden ist.
Rege Diskussionen auf der EFN Konferenz in Brüssel.
Foto: EF
Das Gründungsmitglied Nod Knowles kommentiert:
“Als wir anfingen, über die Möglichkeit zu sprechen, ein europäisches Netzwerk für die traditionelle Kultur zu gründen, war ich, ehrlich gesagt, überrascht, dass es so etwas noch nicht gab. Der wichtigste Grund für das EFN ist, dass traditionelle Künste nicht nur einen weiteren Teil des Kultursektors darstellt. Sie stehen vielmehr im Mittelpunkt der Kultur, sie tragen die grundlegende Geschichte, das Erbe und die Identität einer jeden Europäischen Gesellschaft.
Fast alle anderen kulturellen Gruppen und Genres in Europa haben bereits starke Netzwerkorganisationen gebildet – Jazz, Theater, Oper, Gemeinschaftskunst und viele, viele mehr – und nicht nur in der Kultur, sondern in allen möglichen Lebens- und Arbeitsbereichen gibt es sowas. Meine Erfahrung mit diesen anderen Netzwerken ist, dass das Zusammenbringen von Gleichgesinnten eine große Bandbreite von Möglichkeiten für Partnerschaften, Kollaborationen, Projekten, Interessenvertretung und Einfluss bildet, die nie ohne das durch das Netzwerk ermöglichte vertiefte Verständnis und die gebildeten Freundschaften möglich wäre. Dies ist noch ein überzeugender Grund dafür, ein Netzwerk für die traditionellen Künste zu bilden.“
Nod Knowles, Gründungsmitglied des EFN.
Foto: EFN
Die Hauptaktivität, die sich nach der ersten Konferenz und umfangreichen thematischen Diskussionen herauskristallisierte, war das Bedürfnis, zu bestimmen, wer, wo und wie viele wir überhaupt sind. Deshalb wurde das Mapping Project ins Leben gerufen, das mit Umfrageformularen verschiedene Aspekte der beteiligten Organisationen festhält und diese in einem Dokument strukturiert. Dies ist als Open-End Projekt geplant, dem sich jeder anschließen kann und sich somit als aktive Folk-Organisation in die europäische Karte eintragen kann.
Zweitens, sind die ursprünglichen amtierenden Vorstandsmitglieder sehr darauf bedacht, alle Regionen Europas anzusprechen und Mitglieder anzuwerben, um zu einer wahren paneuropäischen Kraft zu werden.
Auf der ersten und bislang einzigen Konferenz wurde auch viel Zeit darauf verwendet, zu definieren, was Folk wohl in sich hat und ob man sich nicht besser World Musik oder Ethno, oder Folk and World, oder ja, sogar Postfolklore Network nennen sollte. Es wurde jedoch beschlossen, bei Folk zu bleiben, da dieser Begriff sehr allumfassend ist und jeder, der sich angesprochen fühlt, sich darin definieren kann.
Die Teilnehmer der ersten EFN Konferenz in Brüssel im Herbst 2019.
Foto: EFN
Die geplante zweite Konferenz im Oktober 2020 in Budapest, Ungarn, musste aus objektiven Gründen abgesagt werden und sie wurde anfänglich optimistisch in das Frühjahr 2021 verlegt. Da die globale pandemische Situation sich jedoch immer noch nicht verbessert hat, es jedoch unmöglich ist, so lange untätig die Hände im Schoß zu halten, beschloss das EFN im ersten Halbjahr 2021 – März, April und Juni – drei Online Meetings abzuhalten, mit der Möglichkeit zum Austausch von Ideen und zum Networking. Das erste SPRING FORWARD Meeting fand am 15. März statt und konzentrierte sich auf die Gegenwart – wer das EFN heute ist und was es schon bewerkstelligt hat. Das zweite Meeting im April schaute in die Zukunft stellte die Frage– wer wir sein wollen und wohin wir uns entwickeln. Dazu wurden inspirierende Gast-Redner eingeladen, darunter der charismatische englische Folkmusiker Alistair Anderson, die serbische traditonelle Sängerin und Leiterin von verschiedenen internationalen Kunstprojekten Svetlana Spajic und der polnische Folkmusiker und Leiter des Festivals Mazurkas oft he World Janusz Prusinowski sowie andere mehr. Daraus resultierend wird im dritten Meeting ein Manifesto und ein strategischer Drei-Jahresplan ausgearbeitet. Ein großer Wert wurde auch hier auf den direkten Austausch gelegt, soviel das in den sogenannten Break-Out Rooms des ZOOMs möglich ist, um den Dialog untereinander fortzuführen und zu vertiefen.
Open Space Discussion auf der EFN Konferenz.
Foto: EFN
Nun wird gehofft, dass man sich im November 2021 doch noch für ein paar Tage in Budapest, Ungarn, zu einer richtigen Konferenz treffen könnte, fest steht aber noch nichts.
Es ist auch anzumerken, dass hier unter European Folk ganz klar nicht nur die einheimischen traditionellen Musikrichtungen in Europa zu verstehen sind, sondern auch die Kultur und Musik von Immigranten, die in Europa Fuß gefasst haben, mit einbezogen ist.
Also sind Leute und Organisationen, die sich in irgendeiner Weise diesem Fach zugehörig fühlen, herzlich eingeladen, dem Network beizutreten und die Gelegenheit zu ergreifen, die Organisation und den Sektor als solchen sozusagen mit zu formen. Als Mitglieder sind sowohl individuelle Musiker, Gruppen, Produzenten, Manager, Agenten und Venues, aber auch akademische Forscher, Musikschulen und Lehrer, auch Festivals und Konzertveranstalter willkommen.
Eric E. Van Monckhoven: “Der EFN ist genau das, was wir brauchen, um aufrichtig und wahrhaftig der Vielfalt von Folk Musik und den traditionellen Künsten in Europa zu dienen, sie zu unterstützen und zu stärken, und neue Möglichkeiten für deren gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung durch Zusammenarbeit, Förderung und Interessenvertretung zu eröffnen.”
Vorstandsmitglieder des EFN im Herbst 2019.
Foto: EFN
Anmerkung der Autorin:
Als man mich persönlich einlud, dem Vorstand beizutreten, um auch den nordischen-baltischen Teil Europas im EFN zu vertreten, fand ich es besonders aufregend, die Möglichkeit zu haben, diesem Network sozusagen von klein auf beizuwohnen, zu sehen, wie es sich entfaltet und formt, und meinen eigenen Beitrag dazu zu leisten. Das Potential und die Entwicklungsfähigkeit des EFN ist unleugbar und gerade jetzt hat jeder die Gelegenheit, seinen Beitrag dazu zu geben und dieses Netzwerk mit zu formen. Deshalb wird auch beim Beitritt zum EFN nicht lang geschildert, welche Vorzüge man von der Mitgliedschaft haben wird. Man wird vielmehr dazu aufgefordert, darüber nachzudenken, was man selber oder als Organisation in das EFN einbringen kann. Also ist aktive Mitgliedschaft und Initiative, sowie Ideeneinbringung höchst willkommen.
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