Guda Drums

Sphärenklänge aus der Ukraine

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30. Mai 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

In einem kleinen Ort in der Ukraine baut Dmitrii Gubarev Instrumente von betörender Schönheit. Eine Stippvisite.
Text: Ines Körver

Das hat schon mal geklappt. An einem 35 Grad heißen Augustnachmittag stehe ich in Krementschuk, einer ziemlich unattraktiven ukrainischen Stadt, Dmitrii Gubarev gegenüber. Ich bin die dreihundert Kilometer von Kiew mit einem Überlandbus gekommen, und Dmitrii hat mich an meinem „I-love-Berlin“-Käppi erkannt, das ich vereinbarungsgemäß aufgezogen habe. Jetzt kommt der schwierige Teil: die Fahrt über meist ungeteerte und holprige Straßen in das kleinere Switlowodsk, wo Dmitrii mit Frau und Kind wohnt. „Viele Autos halten hier gerade mal zwei Jahre, dann ist die Achse gebrochen“, sagt er ungerührt, als wir über die Mauer des örtlichen Staudamms fahren. Dmitrii ist ein begnadeter Instrumentenbauer ist. Ich sei die erste Kundin, die ihn besuche, verrät er mir. Mich überrascht das, denn er hat Kundschaft in der ganzen Welt, von den USA bis nach Japan.

Einige Monate zuvor war ich über seine Website www.gudadrum.com gestolpert, als ich mich im Zuge eines Artikels über Handpans schlaumachen wollte. Handpans sind diese wie Ufos aussehenden Schüsseln, in die Töne in unterschiedlichen Stimmungen eingelassen sind. Ihr obertonreicher Klang berührt viele Menschen tief, weil sie ihn als sphärisch empfinden. Das Kuriose: Handpans sind eigentlich gar nicht Dmitriis Kernkompetenz, sondern das ähnlich aussehende Stahlzungeninstrument. Der Unterschied besteht darin, dass bei Stahlzungeninstrumenten die Töne nicht eingehämmert werden, sondern pro Ton ein sehr schmaler, meist u-förmiger Schlitz ausgesägt wird.

Dmitriis Instrumente beeindruckten mich vom Sound und der Optik her sofort. Als ich auf der Website las, dass er auch Wunschstimmungen zwischen G3 und D5 anbietet, nahm ich Kontakt auf, weil ich immer schon einmal mit solchen Instrumenten ein lückenloses Halbtonspektrum abdecken wollte. Da Stahlzungeninstrumente normalerweise acht Zungen haben, bedeutete das: drei Instrumente mit in Summe vierundzwanzig Zungen kaufen, bei denen sechszehn Töne einmal und vier doppelt vorkommen. Nun mussten nur noch die Töne geschickt über die Instrumente verteilt werden. Ich entschied ich mich dafür, das erste Instrument mixolydisch auf G und das zweite dorisch auf D stimmen zulassen. Damit waren sozusagen die weißen Tasten des Klaviers abgedeckt, D, E, F und G waren doppelt. Die Töne der schwarzen Klaviertasten, genau acht, sollten auf das dritte Instrument kommen, um eine pentatonische Stimmung zu erhalten.

Im Zuge unserer E-Mail-Korrespondenz lud mich Dmitrii ein, ihn vor Ort zu besuchen. Jetzt bringt er mich in ein Apartment, das er für mich gemietet hat. Nachdem ich mich frisch gemacht habe – draußen ist die Temperatur mittlerweile auf knapp 30 Grad gesunken – unternehmen wir gemeinsam mit seinem Freund Dima eine Fahrt auf dem 2.252 Quadratkilometer großen Krementschuker Stausee. „Früher konnte man auf dem Dnjepr von Kiew mit einem Linienboot nach Switlowodsk fahren“, erzählt Dima. Und Dmitrii fügt hinzu: „Aber in diesem Land klappt nichts mehr, überall Korruption, die Gelder versickern. Deswegen habe ich mich auch selbstständig gemacht und vertraue auf meine eigene Arbeitsleistung.“

Ines Körver mit einem Schmuckstück

Foto: Jürgen Hirschberger

Nach dem Ausflug wartet Dmitrii mit einer Überraschung auf: Mein erstes Instrument ist fertig, mein „Mixolyde“, wie ich ihn fortan nenne. Er hat einen Durchmesser von fünfzig Zentimetern, die anderen beiden, „Dora“ und „Penta“, werden dreißig Zentimeter haben. Eine Rucksacktasche ist auch dabei. „Nimm deinen Mixolyden mit nach Hause“, rät sein Schöpfer mir, „dann sparst du dir die Post- und Zollgebühren. Die anderen Instrumente werde ich schicken, wenn sie fertig sind.“ Als ich skeptisch schaue, fügt er hinzu: „Keine Angst, das Ding passt ins Gepäckfach des Fliegers und die Beamten am Flughafen lassen dich unbehelligt damit reisen.“ Den Abend verbringe ich allein mit dem Mixolyden und finde sogar bei einigen Zungen einen Punkt, den Dmitrii mir gezeigt hat. Schlägt man ihn an, erklingt der Ton in der Oktave. Inspiriert vom großartigen Sound komponiere ich mein erstes Stück. Wider meine Gewohnheit wird es ein Siebzehnachtel, vermutlich wegen der ruckeligen Anfahrt.

Foto: Dmitrii Gubarev

Am nächsten Vormittag nimmt Dmitrii mich mit in seine Werkstatt, eine abseits des Ortes gelegene stinknormale Garage ohne äußere Kennzeichnung, zu der man wieder nur über holprige Straßen kommt. „Hier sind Rohlinge aus rostfreiem Stahl. Die lasse ich mir liefern und bearbeite sie“, erläutert der Instrumentbauer. An der Wand hängen Schablonen für die Zungen. Auf einem Tisch steht ein Computer, der ihm beim Stimmen hilft. In einem Regal liegen einige Instrumente in verschiedenen Stadien der Fertigstellung. Als ich eines davon in die Hand nehme, grinst Dmitrii. „Da hast du ein interessantes Exemplar erwischt. Ich habe damit begonnen, pro Zunge zwei Töne einzuspeisen. Sieh mal, die Zungen haben in der Mitte eine Einkerbung. Auf der einen Seite ist der eine Ton, auf der Seite mit der kürzeren Randausfräsung die Quinte darüber.“ Ich schlage die jeweils linke und rechte Zungenseite an und stelle fest: Es ist genauso, wie er sagt. Es ist sogar problemlos möglich, beide Töne gleichzeitig zu spielen, weil die Daumenseite beim Anschlagen mehr als nur einen kleinen Punkt der Oberfläche berührt.
Zuletzt zeigt mir Dmitrii noch einen Prototypen für eine Handpan. „Willst du die jetzt auch bauen?“, frage ich neugierig. „Ich weiß es noch nicht“, entgegnet er. „Der Handpanbau ist sehr aufwendig. Manchmal dauert es länger als einen Tag, um auch nur einen einzigen Ton einer Handpan vernünftig zu stimmen. Aber ich möchte die Akustik der Handpan verstehen. Das hilft mir auch bei meinen Instrumenten.“ Mir wird durch diese Bemerkung klar, warum Stahlzungeninstrumente so viel günstiger sind als Handpans. Es ist die erforderliche Arbeitsleistung, die den Unterschied macht, nicht das Material. „Und wo werden die Rucksäcke gefertigt und die hübschen Hanfbänder, die den Rand manch großer Stahlzungeninstrumente abdecken und ihre spitzen, zusammengeklebten Hälften auch ein Stück weit schützen?“, frage ich. „Die macht meine Frau“, lacht Dmitrii.

Foto: Dmitrii Gubarev

Am Abend unternehmen Dmitrii, Dima und ich noch eine Geländefahrt auf Motorrädern – in stockdunkler Finsternis. Am nächsten Nachmittag – es ist nach wie vor irre heiß – bringt mich mein Gastgeber auf einer anderen holprigen Straße zurück nach Krementschuk. Dort besteige ich eine Art Sammeltaxi nach Odessa. Es ist die ruckeligste Fahrt, die ich je in einem europäischen Land gemacht habe. Sie dauert bis 6.30 Uhr. Ich halte meinen Mixolyden fest, damit er sich nichts tut, und versuche, nicht einzuschlafen. Sechs Tage später besteige ich in Odessa den Flieger nach Kiew, von dort geht es nach Berlin. Kein Zollbeamter hat sich für mein Instrument interessiert. Es passte haarscharf ins Gepäckfach über mir. Drei Monate später hole ich Dora und Penta beim Berliner Zoll ab. Ein Jahr später halte ich in Trabzon auf einem internationalen Kongress den vermutlich weltweit ersten Vortrag über Handpans und Stahlzungeninstrumente vor Musikwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen. Das ist wieder eine andere Geschichte, aber ohne Dmitrii gäbe es sie nicht.

Nachwort
Diese Geschichte spielt 2017 und wurde kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine niedergeschrieben. Sie sollte einen Schluss haben, von dem Hoffnung ausgeht. Hoffnung, dass aus einer kleinen, schönen Begebenheit etwas noch ganz anderes, etwas ebenfalls sehr Schönes wird: unendlich schöne Musik und international anerkannte Forschung. Sie sollte zeigen, dass die Menschen in der Ukraine gastfreundlich und offen sind, die, auch wenn sie in materieller Hinsicht manchmal nicht viel haben, uns mit ihrer Umsicht und Zuversicht reich beschenken können. Sie sollte demonstrieren, dass Ukrainer und Ukrainerinnen sich auch von Widrigkeiten wie jahrzehntelanger Korruption und maroder Infrastruktur nicht unterkriegen lassen. Letztere Lektion haben wir alle inzwischen alle auf eine Weise gelernt, die wir nicht erwartet haben. Slava Ukraini!

Aufmacherfoto:

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