Der folker feiert Jubiläum. Statt des zu solchen Anlässen beliebten historischen Abrisses möchte die Redaktion die Hauptakteurinnen und -akteure dieser Jahre zu Wort kommen lassen, wie sie die Entwicklung des Magazins im Rahmen ihrer eigenen Biografien erlebten. Drei Personen hatten den Posten der Chefredaktion zwischen 1998 und 2020 inne (Michael Kleff, Sabine Froese und Cecilia Aguirre), bevor es 2021 mit einer sechsköpfigen Inhaltsredaktion zu einer Auflösung dieses traditionellen journalistischen Konzepts kam. Als Verleger fungierte von den Anfängen bis ebenfalls Ende 2020 Christian Ludwig. In jeder Ausgabe des Jahres 2023 findet sich ein Interview mit einer dieser vier Personen. In der Nummer 2.23 mit Michael Kleff.
Interview: Christian Rath
Michael, niemand war so lange Chefredakteur des folker wie du, vom Start im Jahr 1998 bis 2014 …
Wenn ich da gleich einhaken darf. Chefredakteur war ich eigentlich erst ab 2008, vorher wollte man mir den Titel noch nicht zugestehen.
Oh. Wie kam das?
Als alles anfing, sollte wohl jemand anderes Chefredakteur werden, was aber nicht geklappt hat. Ich war also nur zweite Wahl. Und zum ersten Treffen mit den folker-Verantwortlichen kam ich relativ unvorbereitet, was das Vertrauen vielleicht etwas beeinträchtigt hat. Deshalb wollte man zu Beginn wohl erst mal sehen, was ich so mache und mir noch keinen Titel geben. Das habe ich aber abgelehnt, ich musste ja eine sichtbare Funktion haben. Der Kompromisstitel lautete dann zehn Jahre lang „Chef vom Dienst“.
Wie ging es weiter nach diesem etwas holprigen Start? Bist Du mit dem folker glücklich geworden?
Auf jeden Fall. Ich konnte mir hier quasi mein eigenes Medium schaffen, mit den Themen, die mich interessieren. Und vor allem mit der für mich wichtigen Mischung aus Musik und Politik.
Hattest du ganz freie Hand?
Ich habe meine Ideen mit den Herausgebern abgesprochen, also mit Mike Kamp, Uli Joosten und Jürgen Brehme. Aber unser Verhältnis war gut, da gab es keine Konflikte.
Wie sahst du den folker im internationalen Vergleich?
Die Bedeutung im Ausland war natürlich durch die deutsche Sprache ziemlich begrenzt. Aber viele englischsprachige Kollegen sagten mir, dass wir mit unserer gleichberechtigten Mischung aus Folk, Lied und Weltmusik schon etwas ganz Besonderes geschaffen haben.
Auf welchen folker-Artikel hast du die meisten Reaktionen bekommen?
Das war eine Titelgeschichte zu Peter Maffay im Jahr 2002. Maffay hatte damals das Projekt „Begegnungen“ gestartet, mit wichtigen Weltmusikern und -musikerinnen wie Natacha Atlas, Keb’ Mo’, Lokua Kanza oder Yothu Yindi. Das war aber bei den Lesern hochumstritten. Vielen galt Maffay als banaler Schlagersänger, der sich höchstens aus Marketinggründen für andere Kulturen interessiert. Ich sah das anders und stehe heute noch dazu. Solche Projekte sind wichtig, damit wir auch Leute in neuen Spektren erreichen.
Du hast genau hundert folker-Ausgaben gestaltet. War das der Anlass, 2014 aufzuhören?
Nein, das war mehr oder weniger Zufall. Ich habe damals eher gemerkt, dass sich meine Interessen verschoben haben, mehr Richtung Klassik und Jazz. Als Chefredakteur musst du aber für die Musik brennen, die du präsentierst.
Wie ging es mit dir und dem folker nach dem Rücktritt weiter?
Ich wurde gefragt, ob ich noch irgendetwas weitermachen will. Da bat ich um zwei Seiten, in die mir niemand reinreden kann. Auf der einen Seite stand dann meine politische Kolumne „Michael sez“, und die andere Seite stellte ich unter der Überschrift „Gastspiel“ interessanten politischen Stimmen zur Verfügung.
2019 gab es einen Eklat, weil dort zwei Mitglieder der BDS-Bewegung zum kulturellen Israelboykott aufriefen. War das ein Fehler?
Nein. Ich bin zwar nicht Teil der BDS-Bewegung, aber ich finde, dass es angesichts der israelischen Politik das Recht geben muss, zum Boykott aufzurufen. Zwei Hefte später haben dann die Liedermacher Rolly Brings und Thomas Felder erklärt, warum sie einen Kulturboykott gegen Israel ablehnen.
Hat sich der folker nach deiner Ägide verändert?
Nein, meine Nachfolgerinnen Sabine Froese und Cecilia Aguirre haben das bewährte Konzept fortgeführt. Und meine Kolumne hat sichergestellt, dass die politische Linie beibehalten wurde.
Seit dem Neustart des folker 2021 ist die Kolumne aber nicht mehr dabei. Hattest Du keine Lust mehr?
Es hat mich niemand gefragt. Und ich weiß auch nicht, ob ich weitergemacht hätte.
Wie findest du den folker heute?
Das Konzept mit den Schwerpunktheften gefällt mir sehr gut. Es gibt nur eine Sache, die mich am Neustart stört: der neue Untertitel „song, folk & world“. Einmal finde ich die Kleinschreibung unsinnig. Und vor allem: Ein Lied ist ein Lied und kein Song. Der folker ist doch auch eine Zeitschrift für die deutsche Szene.
Man merkt, dass du mal bei der Liederbestenliste warst …
Ja, ich war Jurymitglied von 1997 bis 2016. Ich war auch in der dramatischen Phase dabei, als der SWR 2003 die Liederbestenliste abwickeln wollte. Doch wir als Jury ließen uns das nicht gefallen und gründeten stattdessen den Verein Deutschsprachige Musik e. V., der die Liederbestenliste bis heute trägt. Ich war der erste Vorsitzende des Vereins.
Bist du eigentlich ein Alt-Achtundsechziger?
Nein. 1968 war ich in der Schülerbewegung weitab im Sauerland aktiv, wo wir gegen die damaligen Altnazis kämpften. Die Burg-Waldeck-Festivals habe ich nur aus der Ferne mitbekommen. Ich habe dann Pädagogik studiert, bin aber anschließend sofort in die Politik gegangen. Von 1976 bis 1982 habe ich das Bundestagsbüro des FDP-Politikers Gerhart Baum geleitet.
Du warst bei der FDP?
Ja. Ich habe in der Bundestagsfraktion die Aktivitäten der linksliberalen Abgeordneten koordiniert. Ich kam von den Jungdemokraten, dem der FDP nahestehenden radikaldemokratischen Jugendverband. Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition durch die FDP 1982 und deren Zusammengehen mit Helmut Kohl bin ich aber sofort aus der Partei ausgetreten.
Und dann wurdest du Journalist?
Ich war erst noch zwei Jahre lang Referent in der Bundeszentrale für politische Bildung. Dann begann ich mit politischem Journalismus, denn da kannte ich mich aus und hatte noch viele Kontakte. Ich schrieb für Nachrichtenagenturen und wurde freier Mitarbeiter beim Deutschlandfunk.
Wann kam die Musik dazu?
1985 erschien mein erster Beitrag im folker-Vorgänger Michel – Zeitschrift für Volksmusik, ein Interview mit Dave Van Ronk. Mein erster großer Einsatz war im selben Jahr beim Newport Folk Festival in den USA. Das war damals ein wichtiges Ereignis, weil es nach fünfzehn Jahren Pause erstmals wieder stattfand. Ich schrieb eine ganze Seite für das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt und produzierte ein Sechzig-Minuten-Feature für Jan Reichow beim WDR.
Deine warme sonore Stimme ist ja so großartig. Der Hörfunk dürfte begeistert gewesen sein …
Manche meinen, ich solle Asbach-Uralt-Werbung machen. Aber nichts ist perfekt. Ich habe einen kleinen S-Fehler, den eine WDR-Redaktion mal zum Vorwand nahm, mich vom Mikrofon zu verbannen. Allen anderen war das egal, und ich habe in den Jahrzehnten ab 1985 wirklich viel moderiert: den Musicclubund Vom Bosporus bis Gibraltarbeim WDR sowie Musik am Morgen, Liederladen und Midnight Bluebeim Deutschlandfunk. Einige Jahre lang hatte ich auch eine eigene Sendung beim Webradio ByteFM. Meine Lieblingssendung aber war Al Globe bei Radio Brandenburg.
Was war so gut an Al Globe?
Bei Al Globewurden politische Korrespondentenberichte mit passender Musik verbunden. Beispiel: Eine Sendung beschäftigte sich mit Bundeswehrflugübungen über dem Land von First Nations in Kanada. Dazu habe ich dann Musik von First Nations gespielt. Solche Sendungen habe ich fünf Jahre lang gemacht. Leider wurde Al Globe 1997 eingestellt.
Ab 1995 warst du nach der Neugründung von PROFOLK auch Vorsitzender des Verbands. Was war dein Projekt damals?
Mein Vorbild war die Folk Alliance in den USA. Dort haben sich Musiker, Firmen, Festivals und Manager zusammengetan und arbeiten effektiv als Lobbyorganisation für Folkmusik. Aber in Deutschland hatten zu viele große Namen der Szene kein Interesse an einer solidarischen Interessensvertretung. Deshalb habe ich wieder aufgehört.
Du bist ja mit einer Amerikanerin verheiratet, mit Nora Guthrie, der Tochter des legendären linken Folksängers Woody Guthrie. Wie hast du sie kennengelernt?
Ich habe sie 1996 bei der Folk Alliance interviewt, als sie den Preis für das Lebenswerk ihres Vaters entgegennahm.
Nun lebt ihr ein halbes Jahr bei ihr in Mount Kisco nahe New York und die andere Hälfte des Jahres in deinem Bungalow in Bonn. Warum nicht ganz in den USA?
Ich könnte nicht voll in den USA leben. Da würde ich zum Alkoholiker, Terroristen oder Selbstmörder. Die Mischung aus Dummheit und Arroganz in einem Land, das nicht einmal eine solidarische Gesundheitsversorgung kennt, würde ich nicht dauerhaft aushalten. Auf der anderen Seite hatte ich aber schon immer dieses Interesse an den Folkmusikern und den politischen Liedermachern in den USA. Mit dem Hin und Her passt es jetzt ganz gut für mich und uns.
Du hast ja jetzt auch mehr Zeit. Seit 2015 bist du offiziell Rentner. Machst du gar nichts mehr als Journalist?
Ich mache so gut wie nichts mehr. Ich bin mit 63 in Rente gegangen, weil die Luft raus war. Ich habe auch keine Entzugserscheinungen. Als Person habe ich mich nie über meine Tätigkeit als Journalist definiert. Der Journalismus war eine wichtige Phase, aber ich bin mehr als das.
Dennoch kümmerst du dich sehr engagiert um dein journalistisches Lebenswerk. Was passiert damit?
Alle Texte, Aufnahmen, Fotos und Interviews gehen an die Lippmann+Rau-Stiftung in Eisenach. Das werden ungefähr dreißig bis vierzig Archivboxen sein, die dann als „Michael Kleff Research Collection“ digitalisiert für Medien und Forschung zur Verfügung stehen (siehe auch „gehört … entdeckt … gelesen …“, Seite 6).
Wie geht es dir inzwischen gesundheitlich? Du bist ja immer sehr offen mit deiner Leukämie-Erkrankung umgegangen …
Bei mir wurde 1999 Leukämie festgestellt. Zum Glück kam 2001 ein neues Medikament auf den Markt, das mir das Leben gerettet hat. Ich habe es bis 2014 genommen. Seitdem werden nur noch die Werte kontrolliert. Aber mit 71 hat man auch genügend andere Probleme.
Hast du noch einen Wunsch an die folker-Leser?
Ja, ich brauche einen Kontakt zu Adriano Celentano. Alle hundert folker-Titel aus meiner Amtszeit sind vom jeweiligen Künstler auf dem Cover signiert. Es fehlt nur noch Celentano, an den ich einfach nicht herankomme.
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