Liederjan

Land in Sicht

19. Juni 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Ein halbes Jahrhundert haben sie die Folk- und Liedermacherszene mit ihren gesellschaftskritischen Songs geprägt. Nun will das Trio aus dem hohen Norden für immer die musikalischen Segel einholen. Vorher lassen sie aber zum Jubiläum noch einmal mit ihrem dreißigsten Studioalbum aufhorchen.

Text: Erik Prochnow

„Der letzte Vorhang hängt bereits, doch bis er fällt, nehmen wir uns einfach noch Zeit“, singt Jörg Ermisch inbrünstig im neuen Liederjan-Song „An irgendeinem Tag wird die Welt untergehen“. Doch viel Zeit wird das nicht mehr sein. Das Urgesteintrio der Folk- und Liedermacherszene hat im fünfzigsten Jahr seines Bestehens seinen Abschied angekündigt. Das Jubiläum wird am 19. Oktober im Hamburger Kabaretttheater Alma Hoppes Lustspielhaus noch groß gefeiert. Am 13. Dezember fällt dann aber im baden-württembergischen Bühl tatsächlich der letzte Vorhang für Liederjan. Deswegen wird zwar nicht gleich die Welt untergehen. Doch der deutschen Liedkunst wird eine wichtige gesellschaftskritische Stimme fehlen. „Wir wollen nicht, wie Hanns Dieter Hüsch es über sich selbst gesagt hat, so lange weitermachen, bis wir von der Bühne fallen, egal, ob es ausverkauft ist“, sagt schmunzelnd Hanne Balzer, die Frau des Trios.

Ihr Einstieg nach dem Tod des Gründungsmitglieds Anselm Noffke 2003 war eine Zäsur. „Wir waren auf einmal keine Männertruppe mehr und wollten Anselm nicht einfach ersetzen, sondern einen neuen Klang kreieren“, sagt Ermisch, der Liederjan 1975 mit aus der Taufe gehoben hat. Und dieser Klang ist auch auf dem im Mai erschienenen neuen und wohl letzten Album Es macht ja auch Spaß wieder hervorragend zu hören. Balzer, die Musik auf Lehramt studierte und sich als Tubistin bezeichnet, aber auch Posaune und Akkordeon spielt, prägt mit ihren Arrangements und ihrer hellen Singstimme die vierzehn neuen Songs.

Liederjan

Foto: Kay Winter

Neben Ermisch komplettiert der Braunschweiger Gitarrist, Sänger und Komponist Philip Omlor das Trio. Seit 2016 bereichert er das Liederjan-Repertoire mit nachdenklichen politischen Songs wie aktuell „Immerhin“ über Migration und Klimawandel oder kritischen Alltagsbeobachtungen wie im Titelsong „Es macht mir ja auch Spaß“. Zudem sorgen er und Ermisch mit der Fülle an Instrumenten, die sie beherrschen – wie Ukulele, Waldzither, Mundharmonika, Orgel, Bass, Cajon, Kalimba, Querflöte, Saxofon oder Tin Whistle – für eine unglaubliche Vielfalt in ihrer Musik, die textlich sehr vom Kabarett beeinflusst ist. Dabei nehmen sie sich mal selbst hoch wie in Balzers „Dichters Sorgen“ oder wundern sich über die zunehmende gesellschaftliche Ignoranz wie in Ermischs „Selbstbetrug“.

Die Kombination aus humorvollen Texten mit ernstem politischem Anliegen und eingängigem Harmoniegesang ist so etwas wie das Markenzeichen des aus dem schleswig-holsteinischen Kellinghusen stammenden Trios. Dabei war das Beständige in fünfzig Jahren Liederjan der Wandel. „Wir mussten mehrere Male die vom Publikum aus gesehene linke Seite neu besetzen, was immer eine ganz neue Farbe in unsere Songs gebracht hat“, blickt Ermisch zurück. In der Tat ist Omlor bereits die neunte Besetzung auf der Position. Begonnen hatte alles Mitte der Siebziger in Hamburg als Ermisch und Noffke, die damals schon mit der Celtic-Folk-Band Tramps & Hawkers bekannt waren, eine Anfrage des Thalia Theaters für ein Festivalprogramm mit demokratischen deutschen Volksliedern erhielten. Für den Auftritt musste ein neuer Name her, und so einigte man sich auf das doppeldeutige Schimpfwort „Liederjan“. Einerseits bezeichnet es einen liederlichen Menschen, andererseits ist es ein norddeutscher Jan, der Lieder singt. Der Auftritt mit Jochen Wiegandt als Drittem im Bunde wurde ein Erfolg, und die Gruppe etablierte sich in der neu emporschießenden deutschsprachigen Folkszene. „Diese Zeit war für uns sehr erfüllend, und wir waren in dieser Bewegung, die von Bands wie Zupfgeigenhansel angeführt wurde, sicherlich nicht die Unbedeutendsten“, erinnert sich Ermisch.

Liederjan

Foto: Kay Winter

Nach zehn Jahren kam zunehmend der Wunsch auf, eigene Lieder zu schreiben. Und jeder neue dritte Mann brachte dazu eine eigene Duftnote mit. Den Anfang machte der Dithmarscher Rainer Prüss. Mit ihm wurde ein erfolgreiches Album auf Plattdeutsch produziert, und für ihre eigenen Lieder erhielten sie 1985 sogar den Deutschen Kleinkunstpreis. Mit dem Ostfriesen Edzard Wagenaar begann die musikkabarettistische Phase. Der aus Rostock stammende Wolfgang Rieck wiederum brachte ostdeutsche Elemente und das Spiel auf der klassischen Gitarre ein. Im Jahr 2001 hielt schließlich die Gauklerei Einzug in das Liederjan-Programm. Der neue Dritte, Jürgen Leo, brachte seine Bandkollegen und das Publikum vor allem mit einem lustigen Seiltrick regelmäßig zum Lachen.

Dann starb Anselm Noffke und Hanne Balzer übernahm seinen Part. Als Leo ausstieg, brachte das Sprachtalent Klaus Irmscher die verschiedensten deutschen Dialekte wie etwa das Sächsische in die Songs mit ein. Mit Michael Lempelius gewann dann wieder die keltische Musik die Oberhand, die in einem gemeinsamen Album mit dem Celtic-Folk-Trio Iontach mündete. Seit 2016 besetzt Philip Omlor den wichtigen dritten Liederjan-Platz. Mit ihm passt das Trio weiterhin in keine Schublade. Die drei Vollblutmusikschaffenden sind zugleich Folksänger, Liedermacher, Entertainer, Kabarettisten und zählen sich mit ihren bissigen Texten politisch eher zum linken Spektrum. Mit ihrem großen Sammelsurium an Instrumenten und ihrem Humor haben sie musikalisch jedoch ihren eigenen Stil kreiert.

„Wir wollen nicht so lange weitermachen, bis wir von der Bühne fallen.“

„Wirtschaftlich hatten wir Glück, denn wir konnten immer von der Musik leben“, sagt Ermisch, der für die Musik sein BWL-Studium abbrach. Seit Corona sei es allerdings deutlich schwieriger geworden, Engagements zu bekommen. „Erschwerend ist auch, dass wir kein Management haben, von der Saalbuchung bis zur Tontechnik machen wir alles selbst“, ergänzt Balzer. Zudem seien in den vergangenen fünfzehn bis zwanzig Jahren viele gute junge Gruppen entstanden, die in die Veranstaltungsorte drängen. „All das hat unsere Entscheidung, aufzuhören, beeinflusst“, resümiert Ermisch, der in diesem Jahr 77 wird.

Vermissen wird das Trio dann vor allem Gänsehautmomente wie den bei den Celtic Connections in Glasgow 2013. Das befreundete schottische Trio The McCalmans hatte Liederjan zu ihrer Veranstaltung „Scots In The Spanisch Civil War“ eingeladen. „Wir sollten dort ‚Die Moorsoldaten‘ singen, und das Publikum war begeistert“, hat Ermisch immer noch ein Leuchten in den Augen, wenn er von dem Abend erzählt. Zur Ruhe setzen werden sich die drei dennoch nicht. Während Hanne Balzer sich ehrenamtlich in der örtlichen Gemeinschaftsschule in der Musical-AG engagiert, will Jörg Ermisch wieder zu seinen Jazzwurzeln zurückkehren. Und der dreißig Jahre jüngere Omlor steckt ohnehin voller Musikprojekte.

Wer Liederjan noch einmal live erleben will, sollte sich daher beeilen. Bis Ende des Jahres wird das Trio noch auf der Bühne stehen. Neben dem großen Jubiläumskonzert in Hamburg treten sie auch noch mit alten Weggefährten auf dem renommierten Rudolstadt-Festival Anfang Juli auf. Was den letzten Vorhang betrifft, ist also ganz im Sinne ihrer beliebten norddeutschen Folkhymne aus den Achtzigern „Land in Sicht“.

www.liederjan.com

Aktuelles Album: Es macht ja auch Spaß (Westpark Music, 2025)

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Liederjan

Foto: Hinrik Schmook

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