folker präsentiert: Länderschwerpunkt Rudolstadt-Festival 2025
Die Malikrise begann 2012, als Tuaregrebellen und Dschihadisten den Norden des Landes angriffen. Das Einschreiten Frankreichs 2013 und die Friedensmission von UN-Truppen brachten keine Sicherheit. Die Militärregierung mobbte zuerst Frankreich aus dem Land und bat dann die Blauhelme, Mali bis Ende 2023 zu verlassen. Mit Waffen aus Russland, China oder Brasilien sowie mit Hilfe russischer Wagner-Truppen soll sich die Sicherheitslage angeblich verbessert haben. Mali, Niger und Burkina Faso gründeten 2023 eine Allianz der Sahelstaaten (AES) zur gemeinsamen Verteidigung gegen Dschihadisten und Rebellen. Alle drei Militärregierungen kamen nach Staatsstreichen an die Macht. Der Zusammenschluss wurde auch im Kulturbereich besiegelt: zum Beispiel mit einer „Woche der Brüderlichkeit der Sahel-Allianz“ während der diesjährigen Ausgabe des Ségou’Art – Festival sur le Niger, einem der wichtigsten Kulturereignisse in Westafrika, das Anfang Februar stattfand.
Text: Martina Zimmermann
Der Fluss Niger glitzert silberfarben in der Sonne. In der Ferne fährt eine Piroge auf Fischfang vorbei. Ein paar Meter vom Ufer entfernt ist eine riesige Bühne aufgebaut. Eine Drohne filmt Shows und Publikum, Konzerte und Reden werden im Fernsehen übertragen. Trommelnde und tanzende Menschen wirbeln mit ihren akrobatischen Vorführungen Staub auf. Sie tragen lilafarbene Lendenschurze und Tiermasken auf dem Kopf. Die Reden beginnen mit zwei Minuten langen Grußworten an alle Minister, Diplomatinnen, Notabeln und Prominente. Es sind mindestens zwanzig Minister und eine Ministerin anwesend. Denn das Festival findet unter der Schirmherrschaft von Staatschef General Assimi Goïta statt, der seit einem Putsch 2020 Staatschef einer Übergangsregierung ist. Demokratische Wahlen sind nicht in Sicht, aber Goïta hat 2025 zum „Jahr der Kultur“ erklärt. Die drei Kulturminister der Sahel-Allianz unterzeichnen ein Kulturabkommen. Es sei an der Zeit, gemeinsam zu arbeiten, erklärt Mamou Daffé. Der Kulturminister Malis wird überall wie ein Rockstar empfangen, er hat das Festival gegründet und zwanzig Jahre lang geleitet, bevor er zum Minister ernannt wurde. Kultur sei die Lösung, so Daffé: „Kultur schafft Sinn, Wohlstand und Entwicklung.“
„Jeder Malier ist ein Soldat, jeder Nigrer ist ein Militär, jeder Burkiner ist Soldat und bereit, sein Leben fürs Vaterland zu geben.“ Mit Parolen wie diesen stimmen die Moderatoren des Festivals das Volk auf eine patriotische Linie ein. Dann spielt zum Auftakt von Ségou’Art Neba Solo auf dem Balafon – die Songs des 56-Jährigen werden von allen mitgesungen. Überall in der Stadt und am Fluss ist Militär positioniert, niemand stört sich an den Soldaten in Tarnkleidung, die mit Maschinengewehren, Pistolen und Knüppeln bewaffnet sind. Einige tragen olivfarbene Masken, die ihre Gesichter verbergen und nur die Augen freilassen.
Einer der musikalischen Höhepunkte des Festivals ist die Aufführung der „Symphonie Pour La Paix“, der „Sinfonie für den Frieden“ – mit Balafon, Flöte, Kora, Ngoni und anderen traditionellen Instrumenten, Percussion, zwei Synthesizern, zwei Gitarren, einem Bass, zehn Leadsängerinnen und -sängern … Die Komposition Cheick Tidiane Secks vereint rund dreißig Musikschaffende sowie Rhythmen und Klänge aus allen Teilen des Landes.

Kulturminister Mamou Daffé
Foto: Martina Zimmermann
Es ist das erklärte Ziel der Militärregierung, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen Malis zu versöhnen. „Diversität, Frieden und Einheit“ lautet das Motto des Festivals. Auf dem Programm stehen auch Tuaregbands, urbane Sounds, neotraditionelle Frauengesänge sowie die musikalischen Legenden Amadou & Miriam und Salif Keita. „Entkolonialisierung“ ist das Wort in aller Munde. „Wir sind frei und wachen auf“, sagt Keita, bevor er seine goldene Stimme ertönen lässt. Das Publikum auf dem proppenvollen Festivalgelände applaudiert begeistert. „Singt lauter“, ruft Sängerin Mariam dem Publikum zu. „Wir wollen doch alle Frieden!“ Gemeinsam mit ihrem – inzwischen am 4. April verstorbenen – Ehemann Amadou trägt sie „La Paix“, den Friedenssong des Duos vor, alle singen mit.
„Mali ist eine Weltmacht im Bereich der Kultur.“
Abba Ag Ambéry ist der Leadsänger der Tuaregband Aïtma aus Timbuktu. Wie fast alle Kulturschaffenden aus dem malischen Norden lebt er seit 2020 in Bamako im „inneren Exil“, wie er sagt. In seiner Heimatstadt wurde vor Kurzem ein Festival veranstaltet, aber noch findet er die Lage nicht sicher genug. „Wir machen wieder mehr Musik und hoffen, dass es besser wird“, erzählt er. „Aber wenn wir dort spielen, erhalten wir Drohungen und Warnungen.“ Sein Manager sagt es klar und deutlich: Tuaregmusik werde derzeit in Mali ganz selten aufgeführt. Er appelliert an ausländische Festivals, mit Einladungen zu helfen.
In Ségou spielen Aïtma, auch Youssou Tambo kreiert einen flotten Wüstensound. Teil der Delegation aus Timbuktu ist der Konservator des dortigen Weltkulturerbes. El-Boukhari Ben Essayouti erzählt, dass was von Islamisten zerstört wurde inzwischen mit internationaler Hilfe wiederaufgebaut ist. Beschädigte Manuskripte, Bibliotheken und Mausoleen in Timbuktu sind restauriert. Der Tourismus laufe aber noch sehr zaghaft, bedauert er und stellt fest: „Man kann nicht mit einem Besenstreich zwanzig Jahre Unsicherheit wegwischen.“
Kulturminister Mamou Daffé ist auch für Handwerk, Hotelgewerbe und Tourismus zuständig. „Mali ist eine Weltmacht im Bereich der Kultur“, sagt er mit heiserer Stimme und verweist auf die bedeutende Geschichte und eindrucksvollen Kulturstätten, die ein außergewöhnliches immaterielles Kulturerbe darstellten. „Wir laden die ganze Welt ein, unser schönes Land zu besuchen.“ Doch während des Festivals in Ségou werden im Norden des Landes zwei Minibusse angegriffen, es kommt zu mindestens 25 Toten.

Publikum beim Segou'Art-Festival 2025
Foto: Segou'Art Festival
In den Hallen auf dem Festivalgelände zeigen über hundert Kojen Exponate junger Talente und international renommierter Künstler und Künstlerinnen. Zum Teil sind die Werke sehr eindeutig wie in der „Halle der Sahelstaaten“ im Rahmen der „Woche der Brüderlichkeit“. Sie haben das Thema „Frieden“. Abdul Rasmane Ouedraogo aus Burkina Faso ist Maler und Gendarm, er posiert in Uniform vor seinen Gemälden. Eines trägt den Titel „Tag des Sieges für die Sahel-Allianz“ und zeigt einen Soldaten, der beide Arme mit dem Victory-Zeichen in die Luft wirft, in einer Hand die Waffe, in der anderen eine Fahne der „Vereinten Sahelstaaten“. „Das zeigt, dass der Krieg mit einem Sieg beendet ist“, sagt er und zeigt auf ein Mädchen in den Armen ihres Vaters neben dem Soldaten auf dem Bild. „Es heißt den Soldaten willkommen.“
Barthélémy Toguos Werke werden in der ganzen Welt ausgestellt. Der Kameruner unterstützt das Festival in Ségou seit sechs Jahren. Zur diesjährigen Ausgabe brachte er eine Serie von Münzen im Großformat mit, eine panafrikanische Währung mit afrikanischen Helden: Es sei ein Festival, das afrikanische Kulturen feiert, sagt Toguo, kein Festival der Forderungen der Sahelstaaten. „Es soll den Afrikanern verständlich machen, dass sie sie selbst bleiben und an sich glauben können“, betont der Bildhauer, „dass ihre Kultur und ihre kulturellen Werte gleichgestellt sind mit denen der anderen Völker dieser Welt.“
Ségou’Art dauert eine ganze Woche. Die Veranstaltung mit über hundert Konzerten ist der Auftakt einer ganzen Reihe von Kulturereignissen in den drei Sahelländern, zu denen Künstlerinnen und Musiker aus allen Teilen Afrikas und der Diaspora kommen. Der senegalesische Rapper Didier Awadi etwa ist mit seinem nach wie vor aktuellen Album Made In Africa von 2018 auf dem Festival in Mali und bekannt für kritische Worte. Awadi hat in seiner Heimat drei demokratische Regierungswechsel aktiv unterstützt und kennt eine antifranzösische Stimmung auch in seinem Land. „Wir Kulturschaffenden arbeiten an der Einheit der Völker, die Politshow der Anführer ist was anderes“, sagt er höflich distanziert. „Für mich ist wichtig, dass wir hier alle dank der Kultur zusammen sind.“

Didier Awadi
Foto: Martina Zimmermann
Kunst, Kultur, Tanz, Mode, Musik – Afrika glänzt in allen Kulturbereichen. Kulturschaffende und Intellektuelle kämpfen seit jeher für einen vereinten Kontinent. Die Schirmherrschaft eines Generals und der Militärregierung im neuen Look, mit coolen und lockeren Ministern, stellt für die in Ségou Anwesenden kein Problem dar. In Westafrika weht ein neuer Wind. Wohin die Bewegungen führen, bleibt eine spannende Frage.
Antworten aus einem Interview mit Cheick Tidiane Seck
„Seit 2003 haben alle Regierungen meinen kulturellen Beitrag für dieses Land anerkannt. Mamou Daffé ist mein persönlicher Freund. Ich bin Pate des Festivals, war von Anfang an dabei. Als Daffé zum Minister ernannt wurde, sagte er zu mir und Abdoulaye Konaté [einem Monument der zeitgenössischen malischen Kunst; Anm. d. Verf.]: ‚Ihr seid meine Vizeminister.‘ Die Allianz der Sahelstaaten ist eine gute Sache. Ich bin seit jeher Panafrikanist, mit ganzem Herzen für die afrikanische Einheit.“
„Wir müssen afrikanisch denken, damit die neue Weltordnung auch von unseren Realitäten beeinflusst wird. Wir wollen das Afrika gründen, von dem wir immer geträumt haben: ein offenes, gastfreundliches Afrika, voller Versprechen und Hoffnungen und Positivität.“
„Kunst ist das beste Mittel zur Verständigung. Das ist meine Aufgabe seit vielen Jahren. Ich habe in den Nachbarländern Masterklassen veranstaltet. Zu einem Festival in Burkina Faso, bei dem ich künstlerischer Pate war, kamen 700.000 Menschen. Auch in Niger habe ich ausgebildet. Kultur kann Synergien schaffen und die Leute zusammenbringen, einen anderen Weg aufbauen. Das habe ich in Paris gemacht, mit Menschen aus der Mongolei, dem Hinduismus oder dem arabischen Raum. Ich bin dieser Kompass auch in den USA oder in Caracas gewesen.“
„Auch in Mali bilde ich weiterhin junge Musikschaffende aus und bin stolz, wenn sie dann in wichtigen Bands in Belgien oder Frankreich spielen. Ich nenne sie meine ‚schwarze Garde‘.“
„Die junge Generation will moderne Musik machen, aber manche haben nicht die richtige Sprache dafür. Manche verstehen den Beatmaker im falschen Sinn. Sie setzen sich vor einen Computer, und alle können Kompositionen erschaffen. Sie nehmen Samples von Songs, die es immer gab, lassen darauf irgendwelche Sängerinnen oder Sänger singen, und es wird ein Hit, selbst wenn er schlecht gesungen ist. Man lädt diese Roboterstimmen auf Youtube hoch! Wir sagen dazu Nein, die Maschine mit modernen Sounds muss intelligent genutzt werden, unter Rückgriff auf unseren traditionellen Background. Meine Rolle ist es, den Jungen beizubringen, traditionelle Instrumente zu integrieren und sie in neuem Glanz erscheinen zu lassen, damit alle ihre jeweils eigene Identität bewahren können. Damit sich nicht alles gleich anhört. Ich möchte, dass Musik meine Ohren kitzelt – mit neuer Rhythmik und modernem Sound.“
„‚Die Sinfonie für den Frieden‘, die auch auf dem Festival gespielt wurde, kann man auch in der Carnegie Hall aufführen oder im Apollo Theater: traditionelle Instrumente neben modernen Instrumenten. Sie transportieren unser Kulturerbe, wie wir es damals in der Rail Band taten und mit Les Ambassadeurs. Wir spielten die Musik des Mandinka-Reiches und seines Gründers Sundiata Keita, mit Songs, die 45 Minuten dauerten und zu denen Mory Kanté sang oder Salif Keita. Was wir heute machen, ist ähnlich, nur dass ich es mit neuen Akzenten tue, mit einem aktuellen Ansatz.“
„Die Musik der Ethnien Malinke, Soninke, Kassunke sind pentatonisch, auch andere, seit Sundiata und dem großen Reich der Mandinka. Ihr musikalisches Erbe ist unsere Inspiration und unser Reichtum.“
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