Direkt zu Beginn der Pandemie erkannte die English Folk Expo, dass digitale Fähigkeiten und die Digitalisierung der Musikindustrie von entscheidender Bedeutung sein könnten, um Musiker und Spezialistinnen an der Basis über Wasser zu halten, während die Gesellschaft in den Lockdown ging. Den vollständigen Evaluierungsbericht findet man auf der Folk-Expo-Website unter dem Titel „Rebuilding Folk“, aber ich werde versuchen, einige der Erfolge und Herausforderungen hier zu skizzieren.
Text: Tom Besford; Übersetzung: Mike Kamp
Die Folk Talk Academy hat sich zu einer umfangreichen kostenlosen Onlineressource für alle entwickelt, die eine Karriere im Musikbusiness anstreben. Sie umfasst Hunderte von Stunden aufgezeichneter und geschriebener Inhalte, die jeden Teil der Musikindustrie abdecken und entschlüsseln sowie unabhängigen Musikschaffenden und der Industrie helfen, sich in dem komplizierten Sumpf der heutigen Musikszene zurechtzufinden. Für dieses Programm stellte die unvergleichliche Terry O’Brien eine Reihe von fünfzig Webinaren zu Themen wie psychische Gesundheit und Wohlbefinden, Rechtliches bei Verlagsverträgen, Musiklizenzen, Veranstaltungsmanagement und mehr zusammen. Diese wurden über Zoom übertragen, und die Teilnehmer konnten sich anmelden, um live dabei zu sein oder sie später auf www.folktalkacademy.com anzusehen.
Das Feedback zu diesen Panels als solches war außergewöhnlich und überwältigend positiv, die Bereitschaft zur Nutzung jedoch begrenzt. Zwar geht aus all unseren Gesprächen geht klar hervor, dass sowohl Künstlerinnen und Künstler als auch die in der Branche Tätigen von Gleichgesinnten lernen wollen und ein ausdrücklicher Bedarf an beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten besteht. Es war jedoch eine echte Herausforderung, das Zielpublikum dazu zu bewegen, sich die zur Verfügung gestellten Ressourcen auch tatsächlich anzusehen und zu nutzen. Den größten Erfolg hatten wir mit Onlinekonferenztagen mit über hundert live Beteiligten, aber die Einschaltquoten bei den Webinaren waren nicht so hoch.
Darüber hinaus führten wir im Jahr 2021 15 Livestream- und Hybridkonzerte mit 26 Acts durch. Wir wollten herausfinden, ob es ein tragfähiges Geschäftsmodell für hybride Livekonzerte gibt, und einige dieser Aufzeichnungen in kurze Showcasefilme verwandeln, die wir mit unseren internationalen Branchenkollegen teilen können. Die Idee bestand darin, Livemusikveranstaltungen für ein Publikum anzubieten, das aufgrund der Pandemiebeschränkungen zugelassen ist, aber auch qualitativ hochwertige Livestreams zu nutzen, um Inhalte für die bereitzustellen, die aufgrund von Beschränkungen des Zugangs oder aus anderen Gründen nicht persönlich vor Ort sein können. Bei den aufgezeichneten Konzerten gaben wir den Künstlern und Künstlerinnen alle Rechte, damit sie sie für ihre eigene Werbung nutzen konnten, und erstellten neben Interviews Kurzfilme, um sie auf unserer eigenen virtuellen Präsentationsplattform sowie bei Onlineveranstaltungen der Branche wie der WOMEX, Folk Unlocked und IMX China zu zeigen.
Die Resonanz des Publikums auf die hybriden Auftritte war groß, und sowohl die online Zugeschalteten als auch die live Anwesenden wussten diese Möglichkeit zu schätzen. Bei näherer Betrachtung stellten wir jedoch fest, dass sich lediglich das bereits bestehende Publikum auf Live- und Onlinenutzung aufteilte, aber keine neuen Interessierten hinzukamen. Das bedeutete, dass wir auf lange Sicht kein finanziell tragfähiges Modell finden würden, um die Hybridkonzerte ohne weitere Finanzierung und Unterstützung fortzusetzen. Zudem gibt es Künstlerinnen und Künstler, die aus verschiedenen Gründen ihre Konzerte nicht als Livestream anbieten möchten.
Tom Besford ist Geschäftsführer der English Folk Expo, einer Organisation, die sich auf professionelle Art der Förderung der englischen Folk- und Rootsmusik widmet.
Ebenso haben wir unsere virtuellen Showcasefilme bei mehreren internationalen Onlineshowcases präsentiert, aber trotz auch hier vieler positiver Rückmeldungen waren die tatsächlichen Nutzungszahlen gering, und wir haben von den bei diesen Veranstaltungen gefeaturten Acts bislang noch keine positiven Ergebnisse erhalten. Auf unserer eigenen Plattform für virtuelle Schaufenster hatten wir mehr Erfolg, aber nur dann, wenn wir Live-Onlineshowcases in Anwesenheit der vorgestellten Musikschaffenden durchführten. Wir hatten erwartet, dass diese hochwertigen Filme für die Musikindustrie auch dann noch von Interesse sein würden, wenn die Welt sich wieder geöffnet hat. Wir dachten, dass die Branche sich diese Filme gerne in einer fünfzehnminütigen Mittagspause ansehen würde. Dem war nicht so. Als der Lockdown vorbei war, gingen die Zuschauerzahlen für diese Vorzeigefilme zurück.
„Der soziale Aspekt von Livemusik ist wesentlicher Teil dessen, was die Branche überleben lässt.“
Die Lehren, die wir aus diesen Aktivitäten gezogen haben, sind, dass das Anschauen von Musik auf einem Bildschirm in keiner Weise das Teilen desselben physischen Raums der Künstler-Publikums-Situation kompensiert. Der soziale Aspekt von Livemusik ist wesentlicher und notwendiger Teil dessen, was diese Branche überleben lässt. Wenn das gemeinschaftliche oder gesellschaftliche Moment der Livemusikerfahrung wegfällt, wird das Erlebnis auf einen Punkt reduziert, an dem es kaum noch Engagement gibt. Künftige erfolgreiche Livestreams können daher meiner Meinung nach keine Hybridkonzerte sein, sondern sollten eher als TV-Erlebnisse produziert werden, wenn sie das Publikum begeistern sollen.
Einige der digitalen und Onlineprojekte, die wir in dieser Zeit entwickelten, erwiesen sich jedoch als äußerst beliebt und wertvoll. Wir haben mit der Official Charts Company zusammengearbeitet, um eine Genrebestenliste für Folk zu entwickeln. Die Official Folk Albums Chart wurde im Oktober 2020 eingeführt und hat sich seither stetig weiterentwickelt. Sie hat den Markt für Folkalben aufgebaut, aufstrebenden Acts eine Plattform gegeben und Folkmusik einem neuen Publikum vorgestellt [zu finden auch auf folker.world; Anm. d. Übers.]. Ebenso sind wir Gründungspartner des mit einem WOMEX-Award ausgezeichneten Programms Global Music Match, das demnächst in die dritte Runde geht und Hunderte von Musikschaffenden aus siebzehn Ländern virtuell zusammenbringt, um neue Netzwerke, Kollaborationen und Freundschaften zu formen.
Die Digitalisierung der Musik hat sich dort bewährt, wo Menschen persönlich miteinander verbunden bleiben oder wo wichtiges Wissen ausgetauscht wird. Wo sie nicht funktioniert, ist dort, wo wir die Bedeutung unseres angeborenen Bedürfnisses nach sozialer Interaktivität aus den Augen verlieren.
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