Bereits in der Antike wurde die Musik als Schlüssel zum Verständnis der Weltordnung betrachtet. Zudem sprach man ihr schon damals eine heilende Wirkung zu. Der Berliner Instrumentenbauer Bernhard Deutz hat sich dieses Wissen zunutze gemacht und entwickelt seit fast vier Jahrzehnten außergewöhnliche Instrumente für die Musiktherapie.
Text: Erik Prochnow; Fotos: Michaela Markovicova
Sobald der erste Ton erklingt, will man diesen Stuhl nicht mehr verlassen. Nicht, weil das 1,35 Meter hohe Instrument ein wenig wie ein Thron anmutet, sondern weil der gesamte Körper vom Klang der 64 Saiten durchflutet und in Schwingung versetzt wird. Eine einzigartige gesamtkörperliche Erfahrung, die eine tiefgreifende Entspannung hervorruft. „Über das Becken und die Wirbelsäule wird der Mensch bis in die einzelne Zelle hinein zum Teil des Resonanzkörpers“, sagt der Erfinder des sogenannten Klangstuhls. In seiner Berliner Klangwerkstatt konstruiert der studierte Sozialpädagoge und Klangtherapeut Bernhard Deutz seit 1987 hochwertige musiktherapeutische Instrumente. Für seine Erfindungen hat er nicht nur mehrfach Preise erhalten. Trotz fehlender Zulassung zur Abrechnung durch die Krankenkasse hat die Effektivität seiner Konstruktionen die wachsende Bedeutung der Musiktherapie maßgeblich beeinflusst.
Die Leidenschaft für seine Handwerkskunst wurde durch den Besuch von Instrumentenbaukursen geweckt. Deutz, der selbst Musik machte, war nach mehrjähriger Tätigkeit als Sozialpädagoge auf der Suche nach einer kreativeren Arbeit. So brachte der Eifeler Instrumentenbauer Helmut Bleffert ihn mit der anthroposophischen Musiktherapie in Berührung. Zudem wusste Deutz von seiner damaligen Partnerin, einer Musiktherapeutin, dass es nicht viele leicht spielbare Saiteninstrumente für Laien gab. „Ich hatte daher die Idee, Instrumente zu bauen, bei denen nicht das Erlernen von Musik oder die Leistungsorientierung im Fokus steht, sondern das Erzeugen heilender Klänge“, blickt Deutz zurück. Er wollte vor allem Menschen, die ihre Gefühle nicht mit Worten ausdrücken können – etwa weil sie nicht sprechen oder es verlernt haben wie zum Beispiel Komapatienten –, ermöglichen, mit anderen zu kommunizieren. So begann er 1987 mit einer kleinen Werkstatt in Bremen, bevor er sich 1991 in Berlin niederließ.
Die Basis für seine Instrumente ist das Monochord. In der griechischen Antike entwickelt, gilt es auch als das Musikgerät des Pythagoras, der an einer einzigen Saite und einem Grundton Zahlenverhältnisse studierte. Zudem lag dem Instrument die damalige Vorstellung zugrunde, dass ein einzelner Ton den gesamten Kosmos enthalte. Heute ist es eher ein Polychord, das auf einen Grundton mit verschiedenen Oktaven gestimmt ist. „Dieser offene, ätherische und obertonreiche Klang erzeugt eine sehr intensive Wirkung und kann als entgrenzend und beängstigend empfunden werden“, erkannte Deutz bereits früh. Deshalb begann er sich für seine Körperinstrumente an der viersaitigen indischen Tambura zu orientieren, bei der der Grundton um die Oktave und die Quinte erweitert wird. „Der Klang ist viel erdender und gibt mehr Halt, was es erleichtert, den Verstand zu überlisten und Töne direkt im Körper zu fühlen“, so der Instrumentenbauer.
Für das andere Klangempfinden in Europa und die unmittelbare Anwendung in der Therapie entwickelte Deutz daraufhin die Körpertambura, die er sogar als Marke hat schützen lassen. Denn sein bis heute meistverkauftes Instrument hat viele Nachahmungen und Kopien hervorgebracht. Das Instrument kann direkt auf den Körper gelegt und auch vom Behandelten selbst gespielt werden. Inzwischen bietet Deutz die Körpertambura in vielen Stimmungen und Variationen an. Auf große Resonanz stieß auch seine Idee, die Körpertambura durch entsprechende Füße außerdem als Klangliege für Säuglinge etwa in Inkubatoren auf Intensivstationen einzusetzen. Eine andere Entwicklung von Deutz ist die Verwandlung der Körpertambura durch einen Sitzkörper in einen kleinen Klangstuhl, mit dem sich unter anderem autistische Kinder leichter ansprechen lassen. Darüber hinaus ermöglichen große Bogenfüße, auf denen man das Instrument befestigt, es auch, es über einen Körper zu stellen und zu spielen.
„Viele Studien belegen die große Wirkung des Einsatzes der Instrumente in der Musiktherapie.“
Eine weitere, von der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft prämierte Entwicklung ist sein Klangrad. Hierbei können bis zu vier Personen gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen spielen. Das Klangrad vereint die Stimmungen des Monochords, der Tambura und der Kantele. Weitere Instrumente, die Deutz und seine drei Mitarbeiter bauen, sind etwa eine Klangliege, Leiern, einen Streichbass für zwei Spieler, Streichrohre oder die Chrotta. Die sogenannte Streichleier war im Mittelalter ein beliebtes Instrument keltischer Barden und bis ins neunzehnte Jahrhundert auch in Skandinavien im Einsatz. Sie ist leicht zu spielen und erzeugt einen warmen, einhüllenden Klang. Der Instrumentenbauer bietet auch eine viersaitige Tenorchrotta in 7/8-Cellomensur sowie kleinere Größen an. Durch ihre leichte Spielweise und den vollen Klang sei es ein ideales Schülerinstrument. Doch bislang ist es ihm nicht gelungen, es in der klassischen Musikszene zu etablieren. „Die ist so traditionell ausgerichtet, da müssen alle Instrumente wie eine Stradivari aussehen“, kritisiert Deutz. Dabei zeichnen sich alle Instrumente seiner Klangwerkstatt durch hohe Qualität aus. „Von Anfang an habe ich Wert darauf gelegt, ästhetische Instrumente zu entwickeln, die sehr gut klingen“, sagt er. Deswegen verwendet er auch ausschließlich hochwertige Tonhölzer, was einzigartig auf dem Markt für Therapieinstrumente ist.
Nicht zuletzt durch ihre Qualität tragen Deutz’ Instrumente zu einer hohen therapeutischen Wirkung bei. Wie etwa der Klangstuhl, den er für das Oberlinhaus in Potsdam gebaut hat, das taubblinde Kinder betreut. Während das Instrument auch für schwerbehinderte Menschen, die fast nur liegen können geeignet ist, wird die Körpertambura erfolgreich bei Wachkomapatienten eingesetzt. Sie findet aber auch in Schulen Verwendung zur Förderung der Aufmerksamkeit oder bei Lernschwierigkeiten und wird bei Depressionen oder Trainings wie Yoga zum Stressabbau genutzt. Deutz’ Instrumente sind zudem in der Geriatrie, auf Palliativstationen, in Hospizen oder psychosomatischen Klinken im Einsatz. Und immer mehr psycho- oder körpertherapeutische Fachkräfte sowie Ausübende der Heil- und Pflegeberufe integrieren sie in ihre Arbeit. „Inzwischen gibt es viele Studien, die die große Wirkung des Einsatzes der Instrumente in der Musiktherapie belegen“, sagt Deutz. Die wichtigsten präsentiert er auf seiner Website.
Darüber hinaus gibt es immer mehr Menschen, die nie gelernt haben, ein Instrument zu spielen und dennoch gerne Musik machen möchten. Mit seinen Instrumenten ist das sehr einfach und ohne jeglichen Druck möglich. Neben Baukursen bietet Deutz daher auch Schulungen für den Gebrauch der verschiedenen Instrumente an. Wichtig ist allerdings, dass die Musikgeräte regelmäßig gestimmt werden. Die 28 Saiten einer Körpertambura stimmt Deutz, der über ein absolutes Gehör verfügt, in drei Minuten. Vielen aus seiner Kundschaft, die kein geschultes Ohr haben, fällt das aber nicht leicht. Ihnen hilft der Einsatz eines Stimmgerätes. „Es ist wichtig, das Stimmen selbst zu lernen, denn es ist gleichzeitig ein inneres Einlassen auf das Instrument“, betont der Instrumentenbauer.
Obwohl Deutz auf fast vier Jahrzehnte erfolgreiche Arbeit im Instrumentenbau zurückblickt, drohte seine Klangwerkstatt an einer anderen Herausforderung zu scheitern. Mit seinem bevorstehenden siebzigsten Geburtstag 2025 sieht er die Zeit gekommen, seine Firma in jüngere Hände zu legen. Doch schien es, als könnte Deutz keine Person finden, die sowohl betriebswirtschaftlich, musiktherapeutisch als auch im Instrumentenbau qualifiziert ist. Aufmerksam geworden durch das große Medienecho anlässlich der Gründung einer Nachfolgezentrale für die Berliner Wirtschaft meldete sich dann im November 2024 der Berliner Maschinenbauer Jürgen Boß. „Ich wusste sofort, dass ich darauf passe, ohne zu wissen, warum“, sagt der 53-jährige Manager, der hobbymäßig Musik macht und auch Erfahrungen mit dem Instrumentenbau hat. Zum Zeitpunkt des Interviews durchlief er bei Deutz ein Praktikum und führt die Firma nun seit Mitte Februar weiter. Bernhard Deutz selbst wird ihm erst einmal als Berater zur Seite stehen. Doch Boß hat bereits klare Vorstellungen: „Wir werden definitiv weitere, neue Instrumente entwickeln, denn es gibt ein Riesenpotenzial, das weit über die Musiktherapie hinausreicht.“
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