Fjarill

Musik und Gesundheit sind eins

27. Februar 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Das Geheimnis ihres Erfolges war von Anfang an die Leidenschaft für die Musiktherapie. Im folker berichtet das Hamburger Duo Fjarill erstmals darüber, was die Basis ihrer einfühlsamen Klänge ist und warum es nun mit einem eigenen Gesundheitsinstitut in die Öffentlichkeit geht.

Text: Erik Prochnow; Fotos: Anne de Wolff

„Schon als ich achtzehn Jahre alt war, wollte ich Musiktherapie studieren“, erinnert sich Aino Löwenmark, die eine Hälfte des Hamburger Folkpopduos Fjarill. Nach ihrem Studium der Sozialpädagogik hängte die Schwedin daher nicht nur eine dreijährige Ausbildung in Musiktherapie an der Universität Uppsala an. Gemeinsam mit ihrer südafrikanischen Partnerin an der Geige, Hanmari Spiegel, erschuf die Pianistin seit 2004 auch einen eigenen Musikkosmos, der auf ihre Zuhörerschaft therapeutisch wirkt. „Wir hören immer wieder aus dem Publikum, dass unsere Musik Menschen in schwierigen Prozessen wie der Trauer oder der Geburt eine große Stütze gewesen sei“, sagt Spiegel. Ein Konzertbesucher brachte es während ihrer vergangenen Weihnachtstournee wie folgt auf den Punkt: „Es war ein Abend, der aufbaut, der die Resilienz, die Widerstandskraft gegen alles, was uns belastet, stärkt.“

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Für die beiden Fjarills, schwedisch für „Schmetterlinge“, ist Musik ohne Gesundheit nicht denkbar und umgekehrt, Gesundheit nicht ohne Musik. „Musiktherapie bedeutet für uns, dass Menschen in der Lage sind, Gefühle, die sie aus den verschiedensten Gründen nicht durch Worte ausdrücken können, über Musik nonverbal zu kommunizieren und zu heilen“, beschreibt Löwenmark ihren Ansatz. Wichtig sei dabei, dass man die Klänge selbst erzeuge, denn der Adept, wie es in der Fachsprache heißt, und nicht der Therapeut stehe im Mittelpunkt. „Gesundheit bedeutet, dass die Menschen schneller Kontakt zu sich selbst empfinden, dass sie spüren ‚Ich bin ich‘ und ‚Ich kann und muss in dieser Welt zeigen, wer ich bin‘“, erläutert die 52-Jährige. Und das erfordere Zeit. „Schließlich leiden die Menschen unter ganz individuellen Problemen unterschiedlicher Ausprägung, sodass Musiktherapie immer situationsbezogen ist“, ergänzt Spiegel.

Ein Beispiel ist ihr eigener Sohn. Heute 22 Jahre alt, leidet er seit der Geburt an mehrfachen Behinderungen und kann nur liegen, muss künstlich ernährt und regelmäßig abgesaugt werden. „Er kann sich nur durch die Atmung, Gesichtsmimik und Körperspannung ausdrücken, und das muss man lesen lernen“, sagt Spiegel. Da ihr Mann ebenfalls Musiker ist, waren Klänge von der Geburt ihres Sohnes an ein bedeutender Teil seines Lebens. „Musik ist für ihn bis heute eine Heimat. Er kann sogar anzeigen, welche Geräusche oder Lieder er mag“, beschreibt die 50-Jährige. Einen großen Anteil daran hat sicherlich die wöchentliche Musiktherapie, die ihr Sohn seit 2004 mit Aino Löwenmark macht. Seit zwei Jahren treffen sie sich in der Hamburger Hermann Jülich Werkgemeinschaft, wo Spiegels Sohn inzwischen lebt. „Egal ob er an dem Tag aufgeregt ist oder das Betreuungspersonal sagt, er habe einen schlechten Tag, durch die Musik beruhigt er sich in der Stunde“, erlebt Löwenmark die Wirkung der Klänge.

„Musiktherapie ist immer situationsbezogen.“

Neben ihrer Duotätigkeit arbeitet sie vierzehn Stunden in der Woche als freiberufliche Therapeutin vor allem mit Schwerbehinderten, unter Autismus Leidenden, Menschen mit Downsyndrom oder Wachkomabetroffenen. Viele Jahre fokussierte sie sich dabei auf den Körper und den Ausdruck von Emotionen durch rhythmisches Trommeln, Melodien oder bestimmte Körperhaltungen. „Es ist belegt, dass dadurch neue Vernetzungen im Gehirn entstehen, die Veränderungen im alltäglichen Leben bewirken“, erläutert Löwenmark. Durch ihre Ausbildung als Heilpraktikerin für Psychotherapie sei ihr aber klar geworden, dass die Menschen nicht nur aus Körper und Synapsen bestünden. Wichtig sei vielmehr auch, was man aus eigenen, tieferen Erfahrungen lerne und ausdrücke.

 

Gemeinsam mit der Mannheimer Alanus Hochschule hat sie deshalb einen eigenen, psychodynamischen Therapieansatz entwickelt, bei dem das Hineinfühlen in die Adepten und von ihnen entwickelte individuelle Bewegungen im Vordergrund stehen. „Ich spiele, was mein Gegenüber macht.“ Dabei benutzt sie als Unterstützung eine Vielzahl an Instrumenten wie Klavier, Monochord, Kalimba, Trommel oder auch Gesang. Eine 16-jährige Klientin, die nicht reden kann und unter Psychosen leidet, singt so etwa zehn Minuten lang das Wort „Halleluja“ und begleitet sich auf dem Monochord. Löwenmark antwortet dabei auf dem Klavier und versucht eine zweite Stimme zu singen, sodass ein Dialog entsteht. Die Jugendliche bestimmt dann selbst, wann das Lied vorbei ist und beginnt etwas Neues. „Es geht hier nicht darum, dass die Musik ästhetisch schön ist, sondern dass sie den Menschen innerlich stärkt. Während der Therapie ist deshalb noch nie eine Psychose aufgetreten“, beschreibt die Therapeutin den gemeinsamen Prozess.

Mit Hilfe der Alanus-Professorin Christiane Drechsler plant sie daher einen Workshop für das Hermann-Jülich-Personal. Ziel ist es, ihnen zu zeigen, dass sie mit einfachen Mitteln der Musik den Betreuten helfen können, sich zu beruhigen. Das erfordert Feingefühl und Erfahrung, da jeder Adept, jede Adeptin anders angesprochen werden muss. Da sie für die Musiktherapie allgemein eine wachsende Bedeutung sieht, ging Löwenmark noch einen Schritt weiter. Zum 1. Januar dieses Jahres gründete sie mit ihrer Duopartnerin das Fjarill Institut für Musik und Gesundheit. Während Löwenmark sich stärker auf die klassische Musiktherapie fokussiert, arbeitet Spiegel eher körperbezogen unter Einsatz der Musik. „Ich habe zwar an der Universität auch Kurse in Musiktherapie besucht, aber als ausgebildete Heilpraktikerin liegt meine Leidenschaft eher in der Faszienmassage, der Schmerztherapie, der Ohrakkupunktur sowie der musikbasierten Körperentspannungstherapie“, beschreibt die Musikerin ihren therapeutischen Hintergrund.

Mit dem neuen Standbein wenden sich die beiden auch an Musikschaffende. Denn wie sie aus ihrem Umfeld wissen, leiden viele unter Verspannungen und Schmerzen. Zwar würden die Hochschulen in Zusammenarbeit mit Kliniken zunehmend sehr gute musikmedizinische Institute anbieten, doch Musikschaffende würden oft sehr lange warten, bis sie sich Hilfe holen, weil sie keine Schwäche zeigen wollen. Private Anbieter wie sie, die selbst auf der Bühne stehen, könnten die Hemmschwelle verringern. Zumal die beiden Künstlerinnen ihre eigene Gesundheitsvorsorge sehr ernst nehmen. Sie achten auf ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung, praktizieren Yoga und vermeiden Alkohol. „Früher haben wir für die Stimme in den Pausen Wein getrunken. Im zweiten Teil fehlte dann aber meist der Ausdruck“, so Löwenmark. Heute sei vor allem das viele Autofahren bei Tourneen die größte Belastung.

Das stärkste Heilmittel aber bleibt für Fjarill das Singen. Deshalb beziehen Aino Löwenmark und Hanmari Spiegel in ihren Konzerten auch immer das Publikum mit ein, das leidenschaftlich mitgeht. Und um zu unterstreichen wie eng Musik und Gesundheit verknüpft sind, haben sie dafür mit „Fjarillikum“ ein weiteres neues Projekt entwickelt, das bereits auf große Resonanz stößt. Spiegel: „Ab Februar starten wir mehrstündige Chorworkshops vor Konzerten, bei denen wir mit dem Publikum dreistimmige Chorsätze zu unseren Liedern einüben, die wir dann abends gemeinsam aufführen.“

www.fjarill.de

www.youtube.com/@fjarillmusic

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