The Jeremiahs

Die Kraft einer gut erzählten Geschichte

23. März 2023

Lesezeit: 4 Minute(n)

Auch bei den Jeremiahs sind es die Gegensätze, die eine produktive Reibung verursachen. Dabei ist schwer zu unterscheiden, was in der zehnjährigen Bandgeschichte auf strategische Planung zurückgeht und was sich „organisch“ so ergeben hat.
Text: Almut Kückelhaus

Am Anfang stand ein Duo aus Dublin. Joe Gibney konzentrierte sich früh auf den Gesang. James Ryan kannte er seit seiner Kindheit. Dieser brachte nicht nur vielseitige Fertigkeiten an der Gitarre mit, sondern auch die Idee, die Band nach seinem Vorfahren Jeremiah zu benennen. Ursprünglich als Provisorium gedacht, blieb der Name einfach haften.

Die Melodieinstrumente wurden mit Freunden von Freunden besetzt, auch bei später notwendig werdenden Wechseln. Auf allen drei Alben ist noch Jean-Christophe Morel an der Geige zu hören, ein Franzose, den es der Musik wegen nach Irland gezogen hatte. Das Gleiche gilt für seinen Landsmann Julien Bruneteau, der als studierter, vom Jazz kommender Flötist einen markanten Crossoverstil entwickelt hat. Nach Morels Ausstieg übernahm Niamh Varian-Barry die Position an der Fiddle. Sie hat ein klassisches Musikstudium absolviert und Orchestererfahrung. Die Frau aus Cork war drei Jahre mit der renommierten Band Solas unterwegs, vorwiegend in den USA. Sie singt ebenfalls Lead Vocals und schreibt Songs, bei denen amerikanische Einflüsse durchscheinen.

Bei den Celtic Connections in Glasgow kam der Kontakt für die erste Deutschlandtour zustande, die im September 2022 stattfand (siehe auch Konzertbericht hier). Wenn Joe Gibney – Markenzeichen: Hand beim Singen hinter dem linken Ohr – ans Mikrofon tritt, könnte man, die Augen schließend, einen Moment glauben, Luke Kelly mit den Dubliners vor sich zu haben. Die kurze Zeitreise endet abrupt, wenn die Instrumente loslegen, die virtuos und in vielfältigen Melodielinien verwoben das vorige Jahrhundert deutlich hinter sich lassen. Mit kraftvoller Stimme, emotional und geradeheraus, interpretiert Gibney gleichermaßen intensiv eigene und fremde Songs, etwa Dave Sudburys „The King Of Rome“. Während James Ryan ruhig an der Seite steht und mit seinem Groove an der Gitarre die Fäden zusammenhält, wirbeln Flöte und Fiddle, sich gegenseitig anspornend. Der temperamentvolle Julien Bruneteau improvisiert und variiert in rasantem Tempo, und Niamh Varian-Barry steht ihm auf ihre Weise nicht nach. Man vermisst bei so viel Energie weder Bass noch Percussion. Der berühmte Funke braucht dann nicht lange, um überzuspringen. Die Jeremiahs agieren angenehm unprätentiös und verlassen sich auf die Kraft ihrer Musik, um für sich zu sprechen.

Natürlich war die Pandemie für die ausgesprochene Liveband ein harter Schlag. Sie überraschte das Quartett während einer Tour in den USA. Mit knapper Not erwischten die vier noch einen Flieger nach Hause.

Die Aufnahmen für das aktuelle Album hatten bereits 2019 begonnen. Angesichts der strengen Reisebeschränkungen in Irland wich man nach Bordeaux aus, den Heimatort des Flötisten. In einem dortigen Studio wurden mit einer Reihe französischer Gastmusikerinnen und -musiker sieben Tracks für Misery Hill And Other Stories eingespielt. Die drei übrigen Titel produzierte Trevor Hutchinson (Lúnasa) später in Irland. Er war auf den beiden vorausgegangenen Alben auch am Kontrabass zu hören. Der Ton ist wie bei anderen „Corona-Alben“ eher gedämpft, hier mit einem differenzierten Klangbild. Einerseits gibt es klassische Streicherarrangements, andererseits Drums und Bodhrán für zusätzlichen Druck. Auf computergenerierte Sounds wurde verzichtet. Gegenüber den beiden Vorgängern ist das Album durch sein Konzept und eine durchdachte Produktion ein deutlicher Schritt nach vorne.

„Geschichten von früher zu erzählen, ist etwas ganz Natürliches.“

Nicht zufällig steht im Titel „… And Other Stories“. Aber ist es nicht uncool, Geschichten von früher zu erzählen? Für Joe Gibney ist es erst mal etwas ganz Natürliches. Er hat sich zu einem Songwriter mit eigener Handschrift entwickelt. Aus den sofort vertraut scheinenden Gesangsmelodien und den starken Refrains hört man heraus, dass er mit einer Menge traditioneller Songs groß geworden ist. Dazu kommt irlandtypisch ein enger Bezug zu historischen Begebenheiten. Gibneys Ansatz: Episoden aus der Vergangenheit oder dem eigenen Erleben mit viel Empathie in Bilder umzusetzen, die eine universelle Aussage haben. Allegorische Figuren wie Tod („The Reluctant Farmer“) und Teufel („The Devil’s Pure Drop“) bringen Ängste und Schwächen in zeitloser Form zum Ausdruck. Das Titelstück erinnert an die grausige Vergangenheit eines Dubliner Stadtteils als Hinrichtungsstätte und Ort der Ausgestoßenen. Der verheerende Sturm, der 1839 über das Land zog, kann nach irischer Lesart nur durch einen großen Kampf des Feenvolks ausgelöst worden sein. Der „Zeugenbericht“ davon als gesprochenes Wort schafft viel Atmosphäre. Die musikalische Umsetzung der Schlacht zeigt ebenso wie die drei Instrumentaltitel ausgesprochen kreative und wirkungsvolle Arrangements. Das Storykonzept lässt aber noch Raum für weitere, persönliche Lieder aus der Ich-Perspektive. Beachtenswert, dass sogar Suizid thematisiert wird („Water’s Edge“). Die Instrumentalisten und die Instrumentalistin sind mit als Urheber angegeben, weil ihre Melodielinien erheblichen Anteil am Gesamtbild haben und über reine Begleitung hinausgehen.

The Jeremiahs

Foto: Promo

Bedingt durch die lange Entstehungszeit, entspricht das gerade erschienene Album nicht mehr ganz dem aktuellen Stand. Ein paar Stücke für Album Nummer vier sind bereits zusammengekommen, worauf Niamh Varian-Barry dann sicher einen höheren Anteil haben wird. Auf Misery Hill ist sie, anders als live, noch nicht mit eigenen Songs vertreten.

Die Planung 2023 sah für Februar Daten in Großbritannien vor. Im März soll es dann zurück in die USA gehen – schließlich haben die Bandmitglieder dort noch Kleidungsstücke von der letzten Tour einzusammeln.

thejeremiahs.ie

 

Aktuelles Album:

Misery Hill And Other Stories (Eigenverlag, 2023)

 

Videos:

„Misery Hill“: www.youtube.com/watch?v=NWsrc4aE8Zc

„The King Of Rome“, live bei Celtic Connections 2022: www.youtube.com/watch?v=Ka-hvegLpWI

„The Reluctant Farmer“, live bei Celtic Connections 2022: www.youtube.com/watch?v=aO1oIPiRxtw

 

Aufmacherfoto:

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