Fotobericht: Mundart – Das Liedermacherfestival

Theater im Viertel, Saarbrücken, 7.-3.3.2025

4. Juni 2025

Lesezeit: 2 Minute(n)

Text: und Fotos: Michael A. Schmiedel

Saarbrücken, die Hauptstadt des Saarlandes, ist eine wichtige Metropole in der Großregion SaarLorLux, mit dem Saarland, Lothringen (Lorraine, Frankreich) und Luxemburg als Kerngebiet. Ein Mundartliederfestival sollte doch in so einer Stadt den großen Saal des Staatstheaters an der Saar füllen können!

Dem aber war nicht so. Am ersten Märzwochenende 2025 war das Theater im Viertel am Landwehrplatz die Heimat des Liedermacherfestivals „Mundart“. Die kleine „Blackbox“ im Herzen der Stadt ist ein Kreativort der freien Theater- und Musikszene.

Der Saal darin bietet sechzig reguläre und ein paar zusätzliche Sitzplätze an, die an allen drei Konzertabenden ausverkauft und bei den Fachvorträgen an den Nachmittagen recht gut gefüllt waren.

Mit Bistrotischen, einem Klavier, einer kleinen Theke sowie einer Ausstellung des Saarbrücker Künstlers Jens Stoevesand und einer Teekanne aus dem Wohnzimmer des Festivalleiters Manuel Sattler war der Saal sehr geschmackvoll und persönlich dekoriert.

Der „Saarbrigger“ Mundartliedermacher Manuel Sattler hatte sich das Festival zusammen mit Karla Feles alias Feli und Lennon von Seht – die auch in Saarbrücken zugegen waren (siehe unten) – während des Adriakustik-Festivals im sächsischen Deutzen (bei Leipzig) ausgedacht.

Gemeinsam führten Manuel Sattler und insbesondere Susanne Wachs, Radiomoderatorin beim Saarländischen Rundfunk, durch die drei Tage des Festivals – und zwar fast durchweg in Mundart. Wachs ist Unterstützerin der Mundartmusik der Großregion und wurde 2024 für ihr Engagement mit dem Preis der Emichsburg ausgezeichnet.

Der erste Abend begann mit Zack die Waldfee. André Jungmann (Gesang) und Sebastian Becker (Gitarre, Gesang) aus Theley im moselfränkischen Norden des Saarlandes bilden das Duo mit dem merkwürdigen Namen, der vor über dreißig Jahren in einer durchzechten Nacht entstand. Ihre Lieder handeln vom Wegrationalisieren älterer Mitarbeitender, vom dummen Geschwätz in der Kneipe, von der „Roschdworschdbud“ („Bratwurstbude“) als lukullischer und sozialer Institution oder vom Vermissen der Liebsten mit dem mundartpoetischen Geständnis: „Eich vermisse Deich!“

Vom westmitteldeutschen ging es dann in den niederdeutschen Bereich, also ins Plattdeutsche. Dabei wuchs Lennon von Seht aus Neumünster, Sohn zwar einer norddeutschen Mutter, aber auch eines schwäbischen Vaters, gar nicht mit Mundart, sondern mit Standarddeutsch auf. Der Hannes-Wader-Fan ist jedoch der Ansicht, wenn keine neuen „Plattsnacker“ dazukämen, sterbe diese Sprache aus. Mit der Liedermacherei begann er vor fünf Jahren und gewann 2023 einen Songcontest für plattdeutsche Lieder, singt aber nicht nur im Dialekt, sondern auch auf Standarddeutsch. Zum Mitsingen brachte er das Publikum mit „Op de See und gout Wedder und all de Lütt, die so sind als wir“ („Auf die See und gutes Wetter und alle die Leute, die so sind wie wir“).

Aus Luxemburg kommt Serge Tonnar. Das Großherzogtum ist dreisprachig, nämlich deutsch, französisch und luxemburgisch, wobei das Luxemburgische („Lëtzebuergesch“) als eine sogenannte Aufbausprache zugleich auch als moselfränkischer Dialekt gilt. Tonnar ist in seiner Heimat recht bekannt, trat beim Festival in Saarbrücken aber erstmals mit lëtzebuergeschen Liedern in Deutschland auf. In einem davon parodierte er die Einsparungen im Luxemburger Parlament vor geraumer Zeit, als dieses von französischem „Schampes“ (Champagner) auf einheimischen Crémant umstieg und meinte, damit beispielhaft vorzugehen. Noch beliebter bei seinen Landsleuten ist das Lied „Belsch Plaasch“ („Belgischer Strand“), denn die belgische Küste ist aus luxemburgischer Sicht die nächstgelegene Möglichkeit, am Meer zu sein, und beliebtes Urlaubziel. Mit einer Besonderheit des Luxemburgischen erstaunte er dann das deutsche Publikum: Dort gibt es kein Wort für „lieben“ – statt „ich liebe dich“ sagt man „ech hunn dech gär“ („ich habe dich gern“) oder „ech si frou mat dir“ („ich bin froh mit dir“). Ein separater Beitrag zu Serge Tonnar erscheint in folker #3.25.

Der erste Festivalabend schloss mit einer Aftershowparty, auf der noch viel gesungen und gelacht und auch ein wenig getanzt wurde – hier mischten sich Musikschaffende und Publikum, und es wurde nicht mehr nur auf Mundart, sondern etwa auch auf Englisch gesungen.

An beiden Morgen gab es einen Chorworkshop unter dem Titel „Sing mit uns! Einstimmig, mehrstimmig, vielstimmig!“, der jeweils mit einer Auflockerungsübung startete. Chorleiterin Amei Scheib aus Saarbrücken führte im Verbund mit Karla „Feli“ Feles und Elena Seeger die Teilnehmenden von den ersten Tönen bis zu einer vierstimmigen Performance von Liedern der beiden Liedermacherinnen auf Hamburger Platt und Schwäbisch. Beide waren sehr ergriffen, ihre Lieder aus so vielen Kehlen zu hören.

Ein ebenfalls zweiteiliger Workshop mit dem Titel „Das Travispicking – Die Kunst des Fingerpickings“ war ein Angebot für Gitarristinnen und Gitarristen. Michael Schäfer aus Saarbrücken (im Foto rechts, mit Mütze) brachte den Teilnehmenden einige für sie neue Griffe bei. Es ging auf dem Festival also nicht nur um Mundart, sondern zum Beispiel auch um Liedbegleitung.

„Von rechten Liedermacher:innen, Identitären und Neuen Rechten – Rechtsextremist:innen im Wandel der Zeit“ lautete der Titel eines Fachvortrages am Samstagnachmittag von Bastian Drumm, Erziehungswissenschaftler, Bildungsreferent und Aktivist aus Kusel in der Pfalz. Er zeigte an einigen Beispielen, dass man für jede politische Richtung Lieder schreiben kann und dass Volksmusik auch identitär Denkenden gefallen kann. Insofern sei es sehr wichtig, sagte er, Grenzen zu ziehen und die eigene Musik nicht vereinnahmen zu lassen.

„Ich bin 47 …“, stellte sich Feli dem Publikum vor. Um zu ergänzen: „… geboren.“ Die Wahlhamburgerin, gebürtig aus Waldbröl im Bergischen Land, eröffnete das Samstagabendprogramm. Mit Akkordeon oder Gitarre sang sie ihre zumeist platt-, manchmal standarddeutschen Lieder wie „Dor geit dat Hart op“ („Da geht das Herz auf“), „Op de Alster schwimmt Qualster“ („Auf der Alster schwimmt Schleim“) und natürlich „Norden“, das die im Publikum befindlichen Teilnehmenden des Chorworkshops besonders begeistert mitsangen. Die pensionierte Lehrerin eignete sich das Hamburger Platt als Herzenssprache an und wurde erst im Ruhestand Liedermacherin, das aber mit einer solchen Leidenschaft, dass das einem durchaus die Angst vor dem Altern nehmen kann.

Die um einiges jüngere Schwäbin aus dem Killertal auf der Alb, Elena Seeger, gewann 2024 den Förderpreis des Landespreises für Dialekt in Baden-Württemberg in der Kategorie „Lied/Musik“. In einem Dialekt, den man – wie sie meint – schon in Stuttgart nicht mehr versteht, sang sie zu Gitarre und Kazoo unter anderem über das Süßgebäck „Springerle“ – wobei das Wort für alle Kleinode steht – und über das „Jommere“ und „Bruddla“, also das Jammern und Schimpfen als zwei Lieblingsbeschäftigungen der Schwaben. Ihrer Mutter musste sie versprechen, nach dem Lied „Big Business“, in dem sie darüber singt, lieber auszuschlafen als übertrieben ehrgeizig zu sein, dem Publikum zu erklären, sie habe für das Lied aber auch die Nacht durchgearbeitet, denn sonst wäre die schwäbische Familienehre über Generationen hinweg beschädigt. Zu „bruddla“ gab es da nichts, ihre Lieder waren wahre „Springerle“!

Am Sonntag gab es auch am Nachmittag ein Konzert. Schon seit den Achtzigern pflegt das Trio Schaukelperd aus Saargemünd, der direkt saaraufwärts gelegenen lothringischen (Quasi-)Nachbarstadt Saarbrückens, Lieder in Lothringer Mundart. Die Gruppe setzt sich zusammen aus Didier Atamaniuk (Geige, Tinwhistle, Gesang), Hervé Atamaniuk (Drehleier, Rahmentrommel, Tin Whistle, Gesang) und Michael Schäfer (Gitarre, Gesang – nicht der Fingerpicker vom Workshop). Nicht wenige ihrer Lieder stammen aus der Sammlung Verklingende Weisen von Pastor Luis Pinck, der sie in der Zeit zusammentrug, als Lothringen zu Deutschland gehörte. Die Lieder sind teils in Mundart, teils auf Standarddeutsch überliefert. Etwas neidisch würden man in Lothringen auf das Elsass und die Bretagne schauen, deren Regionalkulturen bekannter seien. „Armer Lothringer Bur“ („Armer Lothringer Bauer“) ist wohl das bekannteste der Lieder, die sie vortrugen, aber auch die „schwarze“ Kultur der Bergleute brachte Liedgut hervor. Es ging in ihren Beiträgen also oft um Armut, Arbeit und Selbstbehauptung, was sie aber mit viel Humor präsentierten.

Einen Fachvortrag unter dem schönen Titel „Nimmst du noch oder holst du schon“ hielt am Sonntagnachmittag Philip Raut, Sprachwissenschaftler an der Universität Saarbrücken. Gemeint ist damit, dass man im Moselfränkischen und teilweise auch im Rheinfränkischen in der Regel „holen“ verwendet, wo im Standarddeutschen „nehmen“ gesagt wird. So ist man etwa froh, wenn man beim Blick auf die Waage „abgeholt“ hat, geht ins Tonstudio, um Lieder „aufzuholen“, oder „holt“ bei Kopfschmerzen eine Tablette. Ein anderes Spezifikum im Saarland ist, dass man Demonstrativpronomen an anderer Stelle in den Satz einbaut als man es aus dem Standarddeutschen kennt – zum Beispiel in dem Satz „die do leckere Roschdworschd“ („die leckere Bratwurst dort“). Rauts eigene „Orewälder“ (Odenwälder) Mundart, obwohl ebenfalls Rheinfränkisch, kennt diese Besonderheiten nicht.

Zwei Acts gab es noch am Sonntagabend, der ersten war Festivalleiter Manuel Sattler höchstselbst. Seine recht rockig vorgetragenen Lieder in „Saarbrigger“ Platt erinnerten teilweise an die seines ripuarischen Kollegen Wolfgang Niedecken. Sie handelten vom „Toptourist“, der durch „modernen Ablasshandel“ reisenderweise nebenher das Klima retten will, von „Gertrud und Gudrun“, einem lesbischen Paar in seiner Nachbarschaft, von einer unangenehmen Sachbearbeiterin bei der Agentur für Arbeit aus der Zeit, in der er arbeitssuchend war – ein Lied, das heute in Rheinland-Pfalz zur Schulung des Sachbearbeiternachwuchses verwendet würde, wie Sattler augenzwinkernd erklärte. Man merkte ihm die Freude über das gelungene Festival an, und er versäumte es nicht, sich ausgiebig bei allen zu bedanken, die dazu beitrugen, von finanziell Unterstützenden bis zu den Leuten an der Theke und der Technik.

Den krönenden Abschluss von Mundart – Das Liedermacherfestival bestritt niemand Geringeres als Marcel Adam. Anders als im Juli 2024 in Limburg sang er diesmal keine französischen Chansons, sondern nur Lieder in lothringischem Rheinfränkisch. Die Texte waren indes mindestens genauso ernst wie bei „’s Karoline von Sarreguemines“ („Karoline aus Saargemünd“) über eine Wahrsagerin, die in Nazideutschland ins KZ kam, wo ein SS-Mann seinem Schäferhund befahl, sie zu beißen, was dieser aber nicht tat. Er sang über „De Passage“ („Die Passage“) des Lebens, die Durchreise, auf der wir uns alle befinden, über „Die Muddergoddes uff em Bersch“ („Die Muttergottes auf dem Berg“), die ihre Arme über alle Menschen ausbreitet, und über seine Oma, die ihm wie eine Mutter war in „’s Onna uff de Bonk“ („Anna auf der Bank“). „Bleeder Hund“ („Blöder Hund“) erzählte von der schmerzhaften Begegnung mit einem Hund, der anders als der oben genannte sehr wohl zubiss, und zwar in Adams edelste Teile. Susanne Wachs lobte abschließend seine Arbeit zum Erhalt der Lothringer Mundart, was ihn aber nicht sehr tröstete, weil er diese trotzdem am Aussterben sieht. Seine leider letzten Konzerte will Marcel Adam an drei Abenden vom 20. bis 22. Dezember 2026 in Saarbrücken geben.

Zum Abschluss ein Gruppenfoto mit (v. l.) Manuel Sattler, Elena Seeger, Feli, Lennon von Seht, Susanne Wachs und Marcel Adam. Anwesend am Festival waren indes noch zwei wahre Meister der Bühnenfotografie, Zippo Zimmermann und Katrin Reis, deren Fotos man auf der Festivalwebsite sehen kann: www.mundartlieder.de/fotos. 2027 soll das zweite Mundartliederfestival in Saarbrücken stattfinden.

Eine längere Fassung dieses Fotoberichts findet sich unter http://folktreff-bonn-rhein-sieg.blogspot.com.

Zum folker-Livebericht des Konzerts von Marcel Adam in Limburg 2024 geht es hier.

www.mundartlieder.de

www.mundartlieder.de/fotos

1 Kommentar

  1. Das ist so wertschätzend geschrieben, lieber Michael, wie sich alle Menschen, die an diesem wunderbaren Projekt teilnahmen, einander zeigten. Und ich, Feli, durfte das am eigenen Leib erfahren. Sei bedankt für diese sehr gekonnte Berichterstattung! Ich weiß: Du warst wirklich mit dem Herzen dabei; ich danke dir.

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