Musikalische Rundreise durch Brasilien

Denise Krammer & Lisa Wassermann / Jokis Bühne, Köln, 14.3.2025

18. Juni 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Jokis Bühne ist nicht die Bühne eines gewissen Joki, sondern der Johanneskirche in Köln-Klettenberg. Gerd und Martina Schinkel veranstalten dort zusammen mit einem Team aus der Gemeinde Konzerte in der Nachfolge ihrer Besenkammer-Konzerte bei sich zu Hause. In der Wintersaison 2024/25 wurde das zehnjährige Jubiläum von Jokis Bühne gefeiert (der folker berichtete). In diesem Rahmen fand auch ein ganz besonderes Konzert statt, in welchem das Publikum auf eine musikalische Rundreise durch Brasilien mitgenommen wurde, ohne dass es deswegen den Saal im Souterrain der Kirche verlassen musste. Ganz hinten hinter den Stuhlreihen sorgte Stefan Igelmann, der auch beim DeutschFolk-Festival in Dinker im Tanzzelt am Mischpult stand oder dies auch in Venne beim Folk Frühling tut, dafür, dass klanglich alle mitgenommen wurden, die mitreisen wollten.

Text und Fotos: Michael A. Schmiedel

Doch zuvor ging es nach Argentinien beziehungsweise nach Chile. Denn die argentinische Sängerin Marilí Machado und Gastgeber Gerd Schinkel brachten auf Spanisch und Deutsch ein Lied aus der Zeit der Pinochet-Diktatur in Chile zu Gehör. Machados Sohn Tato Rossi, seines Zeichens ebenfalls Liedermacher, unterstützte sodann seine Mutter bei einem Lied über ein „Zigarettchen“, dass sich ein armer Mann zur Zeit der genannten Diktatur anzünden wollte, sofern er noch genug Tabak hatte. Diese beiden Lieder bildeten das Vorprogramm, welches den lateinamerikanischen Horizont des Abends noch erweiterte.

Den weder spanisch noch portugiesisch sprechenden Zuhörerinnen und Zuhörern mag der Wechsel der beiden lateinamerikanischen Sprachen so deutlich nicht gewesen sein, aber man konnte schon erlauschen, dass sich das brasilianische Portugiesisch etwas weicher anhört als das argentinische Spanisch.

Marilí Machado und Gerd Schinkel

 

Die brasilianische Reise hatte zwei Reiseleiterinnen: Denise Krammer aus Köln und Rio de Janeiro füllte den Raum mit ihrer Musik, sang und spielte auf einer korpuslosen Konzertgitarre, die erst durch elektrische Verstärkung raumgreifend hörbar wird. Lisa Wassermann aus Deutschland, aber mit einem Herz für Brasilien, erklärte vor den Liedern jeweils etwas zur besungenen Region oder Stadt und der dort typischen Musik und forderte die Zuhörenden immer wieder auf, im Bus Platz zu nehmen und zur nächsten Station mitzufahren. Auch übersetzte sie immer wieder Teile der Lieder ins Deutsche.

Erste Station war Südbrasilien nahe der Grenze zu Argentinien und Uruguay mit seiner „Música Gaúcha Tradicionalista“, also der traditionellen Musik der Kuhhirten im Rhythmus Guarania. Nordwestbrasilien am Amazonas war vertreten mit einem Lied, das teils auf Spanisch, teils in Tupí-Guaraní, einer indigenen Sprache, gesungen wurde. Aus Nordostbrasilien stammte zum einen ein Lied im Stil des Forró-Tanzes, dessen Name im Volksglauben auf eine Tanzveranstaltung einer amerikanischen Eisenbahnfirma zur Eröffnung der Great Western Railway in der Region in den Vierzigerjahren zurückgehen soll, zum anderen ein Lied der Fischer an der Atlantikküste sowie eines aus dem Straßenkarneval des Bundesstaates Pernambuco im Frevo-Musikstil, der eine Mischung aus militärischer Marschmusik und der Musik afrobrasilianischer Nachfahren Versklavter war. Vierte Station war der weiter südlich gelegene Bundesstaat Bahia mit seiner Hauptstadt Salvador, wo Axé, eine Mischung aus Samba, karibischer, geistlicher und afrikanischer Musik typisch ist. Wassermann erklärte dabei, dass es in Köln Sambagruppen gebe, die eigentlich keinen Samba, sondern Axé spielten. 1995 wurde der Musikstil durch Michael Jacksons „They Don’t Care About Us“ international bekannt.

Nach einer Pause ging es noch weiter in den Süden in den Bundesstaat Minas Gerais mit seinen Erz-, Gold- und Diamantenminen sowie seiner „Música Mineira“, einer eher ruhigen, ländlichen, nostalgischen Musik, die aber auch in Metaphern versteckt Kritik an der Diktatur der Sechziger und Siebziger transportiert. Dann endlich kam die lang ersehnte sechste Station: Rio de Janeiro mit drei Musikstilen, nämlich dem Choro oder Chorinho, der Bossa Nova und dem Samba. Während Ersterer um 1900 herum aus einer Mischung europäischer Vorbilder und afrikanischer Rhythmen entstand und eine eher „schwere“, mit großem Orchester gespielte Musik war, kam der Bossa Nova in den Fünfzigern als neuer Groove mit minimalistischer Besetzung aus Gitarre und Gesang auf und entwickelte sich – vorangetrieben unter anderem von João Gilberto – zu einem Stil eher der weißen Oberschicht mit sehr komplexer Spielweise. Als Gegenmodell erfand die schwarze Unterschicht den Samba, geboren in den Favelas und dreckigen Hinterhöfen, und wurde zur Musik des Karnevals mit seinen riesigen Sambagruppen, die aus drei- bis viertausend Menschen bestehen.

Denise Krammer

 

Siebte und letzte Station war São Paulo, die heimliche Hauptstadt Brasiliens, in der Menschen aus allen Regionen sowie von überall aus der Welt leben und ihre Musik miteinander verschmelzen, zum Beispiel zum Sambafunk, bei der normalerweise die Percussion, in Köln an diesem Abend aber die Gitarre einen sehr fröhlich-groovig-funkigen Rhythmus auf den Samba legte. In einer Zugabe gab es noch einmal einen Abstecher nach Rio, bevor es von dort zurück nach Deutschland ging. Dort angekommen, sangen Denise Krammer und Gerd Schinkel ein Abschiedslied, das offenbar den Abschluss eines jeden Joki-Konzertes bildet: „Wenn man vom letzten Lied die letzte Strophe hört …“

Was bleibt an Eindrücken beim Autor dieser Zeilen, der absolut kein Kenner brasilianischer Musik ist? Einerseits der einer vielfältigen Musikkultur mit leisen und lauten Klängen, langsamen und schnellen Rhythmen, politischen und unpolitischen Texten, einfachen und komplizierten Melodien. Andererseits kam die in den Erklärungen erwähnte Vielfalt der Instrumente durch diese eine Sängerin mit einer Gitarre natürlich nicht so zum Vorschein. So gesehen klang vieles für Uneingeweihte recht ähnlich, vielleicht eben auch „brasilianisch“, auf jeden Fall sehr angenehm und neugierig machend auf mehr davon.

www.denisekrammer.com

www.marilimachado.com

www.kirche-klettenberg.de/gemeindeleben/kultur/jokis-buehne

Denise Krammer und Lisa Wasserman

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