Schluss mit Selbstzensur

Die palästinensische Band 47Soul eröffnet Musiques Métisses, Esplanade des Chais Magelis, Angoulême, Frankreich, 6.6.2024

25. Juni 2024

Lesezeit: 3 Minute(n)

Unter dem Motto „Pflegt eure Neugier!“ fand in Angoulême vom 6. bis 8. Juni 2024 das Festival Musiques Métisses statt, das seit 48 Jahren in der 41.000-Seelen-Stadt am Fluss Charente in Westfrankreich eine der ältesten Bühnen für Weltmusik darstellt. Es war eine Reise durch die Welt in drei Tagen, mit Künstlerinnen und Künstlern aus 19 Ländern. Zur Eröffnung spielten die Palästinenser von 47Soul.

Text und Fotos: Martina Zimmermann

Angesichts der aktuellen Lage in Nahost wollen die Musiker von 47Soul keine Interviews geben. Sie sind zu dritt, der vierte hängt in Ramallah fest. „Ich bitte Angoulême um einen kurzen Augenblick des Schweigens und des Gedenkens an die Toten in Palästina“, sagt Sänger Ramzy Suleiman. Andächtige Stille eröffnet das Festival. Dann erklingen arabische Vibes. Auf den Groove tanzen die Menschen im Publikum. Einige schwenken Fahnen mit den Farben Palästinas, grün, weiß, schwarz und rot. Frauen mit oder ohne Kopftuch bewegen Hüften und Arme nach der Art der traditionellen Tänze; Maghrebinerinnen und Europäerinnen schwingen Kufijas – Palästinsertücher –, Kreise drehend mit dem Handgelenk.

„Wir sind glücklich, hier zu sein, aber innerlich sind wir traurig“, schallt es von der Bühne, alle drei Musiker greifen sich ans Herz. Tareq Abu-Kwaik, Ramzy Suleiman und Walaa Sbait leben zwischen London, Ramallah und den USA. Das Kollektiv wurde 2013 in Jordanien gegründet. Der eindringliche Gesang der Songs ist auf Arabisch und auf Englisch. Die Darbuka-Trommel begleitet Gitarre und Synthesizer, Abu-Kwaik wechselt immer wieder von den Saiten seiner Gitarre auf die Tasten des Synthesizers. Ein anderer Song beginnt mit rhythmischem Klatschen, das Publikum stimmt sofort mit ein.

47Soul

 

Das musikalische Kollektiv 47Soul hat ein eigenes Genre namens „Shamstep“ begründet, vermischt Hip-Hop, Electro und RnB mit Klängen des Folkloretanzes Dabke und der Shaabi-Popmusik. Die Synthies spielen Klänge, die den originalen akustischen Instrumenten ähneln, dem Einfachrohrblasinstrument Midschwiz und der Schabbaba-Flöte. Die Darbuka gibt den Rhythmus vor, die drei Stimmen singen vom Krieg 1967 mit Israel und dem Arabischen Frühling 2011, von Mauern, die um Ramallah und Bethlehem errichtet wurden, oder von Trump an der mexikanischen Grenze. Es geht auch um die weibliche Emanzipation. Die Musiker bieten keine einfachen, fertigen Lösungen, in einem anderen Song fragen sie: „Wo gehen wir hin?“

Die Verbindung zwischen Widerstand und Musik gibt es in Palästina seit Langem, 47Soul unterscheiden sich durch ihren weltweiten Erfolg. Auf Tourneen hat die Formation die arabischen Diasporas zahlreicher westlicher Länder erobert, die Musiker haben auch viele Fans im Nahen Osten.

Seit dem 7. Oktober 2023 und dem Angriff der Hamas auf Israel wurden in vielen französischen Konzertsälen – vor allem in Paris –, arabische, jüdische oder israelische Bands ausgeladen, aus Angst vor Problemen. In Angoulême spielte aber nun diese palästinensische Band zur Eröffnung von Musiques Métisses – ihr zweites Album trägt den Titel Semitics, ein Hinweis darauf, dass Araber wie Juden zu den Semiten gehören. Auch eine Art, plumpe Antisemitismusdebatten ad absurdum zu führen.

Der Titel „Machina“ beginnt bombastisch, bevor er in eine Art Beduinenmusik übergeht, die klingt, als schaukele man auf einem Kamel. Der Song endet mit rockigen Gitarrenriffs. „See you soon“, sagt Sänger Ramzy Suleiman, und das war’s fast gewesen an diesem Abend in Angoulême. „Free- Palestine“-Rufe und einen flotten Arabo-Hip-Hop gibt es als Zugabe, zuallerletzt posieren die drei Musiker mit Palästinafahne und gehobener Faust.

Publikum

Festivaldirektor Patrick Duval wollte 47Soul unbedingt für den Auftakt der diesjährigen Ausgabe dabeihaben. „Es herrscht in Frankreich ein Klima von Zensur und Autozensur“, bedauert Duval. Im Mai letzten Jahres gastierte der marokkanische Sänger Walid Ben Selim noch in einer Pariser Synagoge in der Rue Copernic, wo 1980 ein Bombenattentat stattgefunden hatte. Sein Rezital mit Texten des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwish war ein Höhepunkt des Sacré Sound Festivals und eine „Geste des Friedens“. Inzwischen ist ein solches Konzert in den meisten Sälen in Frankreich undenkbar. In Angoulême hingegen zeigte auch die Band Orange Blossom am zweiten Festivaltag mit ihrem Arabo-Techno-Klassik-Groove, dass arabische Kultur ein bedeutender Teil des Weltkulturerbes ist und auch Kriege daran nichts ändern.

 

www.47soul.com

www.musiques-metisses.com

 

Aufmacher:
47Soul

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Dir hat der Artikel gefallen?

Dieser Artikel ist für Dich kostenlos. Wenn Du unsere Arbeit unterstützenswert findest, magst Du unserem Team vielleicht mit einem einmaligen Betrag oder mit einer regelmäßigen Spende über Steady supporten. Das Wichtigste ist: Danke, dass Ihr uns lest!"

Unterstütze uns einmalig mit Paypal (an unseren Verlag: Fortes Medien GmbH)

Werbung

L