Neustart mit Gänsehautfaktor
Das Warten hat sich gelohnt. Vierzehn Jahre nach ihrem eher durchschnittlichen Werk Paper Airplane sind sie nicht nur wieder da. Der Topact der US-Roots- und Bluegrassszene meldet sich mit einem Gänsehautalbum zurück. Arcadia ist zudem ein echter Neustart. Denn eine der Stützen der seit 1989 gefeierten US-Band, Dan Tyminski, ist auf der aktuellen Tour nicht mehr dabei. Obwohl er an Instrumentalsessions für das Album mitwirkte, wollte er lieber seine Solokarriere weiterverfolgen. Seinen Platz übernimmt Russell Moore, der seit über drei Jahrzehnte der führende Kopf der erfolgreichen Bluegrassformation IIIrd Tyme Out ist. Seine ausdrucksstarke, hohe Stimme ist ein wunderbarer Gegenpart zu Krauss’ hohem Sopran, mit der sich der Gitarrist die Leadstimme auf den zehn neuen Songs teilt. Neben Krauss an der Fiddle zählen nach wie vor zu dem fünfköpfigen Ensemble Barry Bales am Bass, Ron Block am Banjo sowie der Gitarre und die Dobro-Guitar-Legende Jerry Douglas. Ihr Zusammenspiel ist trotz der langen Auszeit noch inniger und kraftvoller geworden. Zugleich sind ihre jeweiligen Soli Bluegrass auf höchstem Niveau, der von Anfang an mitreißt. Gleich die erste wunderschöne Ballade „Looks Like The End Of The Road“ über Desillusionierung und Hoffnungslosigkeit setzt die melancholische Grundstimmung des Albums. Douglas, der 1998 zur Band stieß antwortet auf Krauss’ gefühlvollen Gesang mit seufzenden Dobro-Melodien. Doch trotz der Mollstimmung verströmt das Album große Zuversicht wie in „Forever“, das das Loslassen beschwört, oder im letzten Stück, „There’s A Light Up Ahead“. Andere Songs beschreiben die früheren rauen Zeiten des Wilden Westens. So gibt „Richmond On The James“ die letzten Worte eines sterbenden Soldaten im Bürgerkrieg wieder und „Granite Mills“ erzählt lebendig die Geschichte eines tödlichen Brands in einer Textilfabrik im Jahr 1874. Besonders beeindruckend ist das von Krauss’ Bruder Viktor vertonte Gedicht „The Hangman“ von Maurice Ogden aus dem Jahre 1951, das Moore überwältigend interpretiert. Das Lied ist eine Parabel über den Aufstieg des Faschismus und damit brandaktuell. Für Alison Krauss, die die meisten Songs ausgewählt hat, sind es gerade die traurigen Lieder, die von Bluegrassgrößen wie Robert Lee Castleman, Bob Lucas oder Sarah Sisking stammen, die ermutigen. Krauss: „Was auch immer die Situation war, sie ist vorüber und man hat sie überstanden.“ Dieses Album aber möchte man nur festhalten und immer wieder hören.
Erik Prochnow
Foto: Randee St. Nicholas






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