Like A Complete Unknown ist ein unterhaltsamer Film mit toller Musik und glänzenden schauspielerischen Leistungen. Es ist großes Kino, kein Dokumentarfilm. Denn wenn sich die Geschichte grundsätzlich in etwa so abgespielt haben dürfte, ist doch auch einiges verkürzt, zugespitzt oder gar verändert worden, um einen möglichst dichten, stimmigen Erzählfluss zu schaffen und die Kernaussage des Films zu garantieren. Und die lautet: Junger unbekannter Musiker kommt Anfang der Sechziger nach New York und verzückt sowohl die Fans als auch die führenden Köpfe des Folkrevivals. Auf der Höhe des Erfolgs wird das ihm immer wieder abverlangte künstlerische Protest-Folk-Idiom zu eng. Er mischt Folk mit Rock, wird ausgebuht, gewinnt aber letztendlich, weil er zur musikalischen Ikone und bis heute währenden Legende wird, während das Folkrevival sein Leben aushaucht. Wenige Jahre später ist Rock die musikalische Ausdrucksform der kritischen Jugend der Sixties.
Timothée Chalamet spielt Bob Dylan, um den es hier geht, eindrucksvoll. Ohne ihn zu kopieren, kommt er der Dylan-Figur doch ziemlich nah. Unergründlich, ein lakonisches Genie zwischen Musiknerd und großem Rätsel. Die, die versuchen, ihm nahezustehen – seine Freundin Sylvie Russo, seine musikalische Partnerin und Geliebte Joan Baez –, stößt er regelmäßig vor den Kopf. Pete Seeger – ebenfalls großartig gespielt von Edward Norton – ist sein Antipode. Der Spiritus Rektor des Folkrevivals fördert das große Talent, bemerkt aber, dass Dylan der Szene entwächst. Als einer der Verantwortlichen des Newport Folk Festivals wendet er sich nicht dogmatisch gegen die Elektrifizierung von Blues und Folk, versucht aber in der konkreten Auseinandersetzung am Abend des 25. Juli 1965 den elektrischen Auftritt zu beenden.
Der Film hat im Grunde zwei Teile. Wie bei Dylans Album Bringing It All Back Home gibt es einen akustischen und einen elektrischen Teil. Nimmt sich der Film erst Zeit, um Dylan in der Beziehung zu Woody Guthrie, Pete Seeger und der Folkszene zu skizzieren, so nimmt das Tempo im zweiten Teil, der 1965 spielt, an Fahrt auf – bis zum Höhepunkt und zum großen Bruch: historisch-musikalisch mit dem Folkrevival, menschlich-musikalisch mit Joan Baez. Wenn Dylan am Ende mit dem Motorrad halsbrecherisch Fahrt aufnimmt, dann ahnt man, welche unbändige künstlerische Kraft diesen Dylan auch in den folgenden Jahrzehnten bis heute noch antreiben wird.
Like A Complete Unknown ist für die diesjährige Oscar-Verleihung am 2. März 2025 in acht Kategorien nominiert, darunter als bester Film, für die beste männliche Haupt- und Nebenrolle sowie für die beste Regie.
Thomas Waldherr
0 Kommentare