Runde Geburtstage erfahren in der Regel eine besondere Aufmerksamkeit, zumal bei älteren Jahrgängen. Sie bieten Anlass zu Rück- und Vorschau, Reflexion, Einordnung und Bewertung. 2022 waren es einige bekannte Liedermacher und Liedermacherinnen, die ihren 80. oder 75. Geburtstag feiern konnten und fast in jeder Konstellation auch schon einmal zusammen aufgetreten sind. So unterschiedlich diese im Einzelnen sind, so stehen sie doch alle prägend für Teile ihrer Generation und sind selbst geprägt durch die Zeiten, Politik und persönlichen Umstände ihrer Entwicklung. Es lohnt sich also, die Lebensläufe von Reinhard Friedrich Mey, Hannes Wader, Lothar „Black“ Lechleiter mit ihren achtzig Lenzen sowie Konstantin Wecker, Bettina Wegner und Barbara Thalheim mit ihrem Dreivierteljahrhundert näher zu betrachten.
Text: Rainer Katlewski
Der dem breiten Publikum Vertrauteste ist sicherlich Reinhard Mey, der kurz vor Weihnachten Geburtstag feiert. Er kommt aus einem gutbürgerlichen, bildungsorientierten Elternhaus in Berlin, besuchte das renommierte Französische Gymnasium, wo er schon früh begann, sich musikalisch zu betätigen. Mit Ulrich Roski war er in einer Klasse, Wolfgang „Schobert“ Schulz war ebenfalls ein Schulkamerad von ihm. Auf Burg Waldeck lernte Mey 1966 Hannes Wader kennen, mit dem zusammen er später auf Tour durch kleine Clubs, Theater und Kneipen ging. Es entwickelte sich daraus, trotz aller Unterschiede, eine Freundschaft fürs Leben.
1967 gelang es Mey über das Festival im belgischen Knokke, einen Plattenvertrag in Frankreich zu ergattern. Als Frédérik Mey hatte er dort großen Erfolg und veröffentlichte er mehrere Alben. Anfang der Siebziger kamen die großen Erfolge auch in Deutschland und den Niederlanden.
Über fünfzig Jahre später ist Mey immer noch aktiv und hat sich im Lauf der Jahrzehnte ein treues Publikum ersungen. Mit konstanter Regelmäßigkeit erscheinen neue Alben, und er spielt nach wie vor ausverkaufte Tourneen, auch in diesem Jahr wieder. Kennzeichnend für seine Musik ist der persönliche Charakter seiner Texte. Er bevorzugt die Harmonie, und wer ihm zuhört wird Zeuge seiner Entwicklung, seines Lebens. Dies hat ihm gerade von linker Seite immer wieder Kritik eingebracht. Dabei ist er weder unkritisch noch mangelt es ihm an Engagement, aber im Vergleich zu seinen dezidiert politischen Kollegen und Kolleginnen fehlt ihm das Missionarische. Zusammen mit seiner etwas jungenhaften, sympathischen Art scheint diese eher harmonische Ader sein Erfolgsrezept gewesen zu sein.
Bei seinem Freund aus frühen Tagen, Hannes Wader, verlief die Entwicklung gänzlich anders. Aus der westfälischen Provinz, am Rande von Bielefeld, stammend, wuchs er in einfachen, ländlichen Verhältnissen auf. Seine Eltern arbeiteten hart, hatten jedoch auch eine Liebe zur Musik. Der Sohn war ein Träumer, aber auch jähzornig, weinte oft – ein Einzelgänger, der mit Liebe und Aufmerksamkeit nicht verwöhnt wurde. Diese Erfahrungen seiner Jugend spiegelten sich später in vielen seiner Lieder wider und hinterließen auch in seinem Charakter und Wesen ihre Spuren. Zeitlebens blieb Wader jemand, der andere Menschen meidet und einen Hang zu aggressiv-depressivem Verhalten zeigt. Die Krise wurde zu seiner Daseinsweise.
Nach der Volksschule machte er eine Lehre als Dekorateur und spielte Musik in unterschiedlichen Formationen. Erst in Berlin jedoch schrieb er 1964 sein erstes eigenes Lied. Mit seinem Auftritt beim dritten Burg-Waldeck-Festival und dem Treffen auf Mey kam seine Karriere in Gang und erhielt eine Richtung. Im Laufe der Jahre erweiterte sich sein Repertoire erheblich, und er wurde vor allem in den späten Siebzigern und Achtzigern, als er in der DKP war, für eine bestimmte Szene im linksliberalen Spektrum eine wichtige Identifikationsfigur. Dass seine Lieder zum Teil auch in rechten Kreisen goutiert und gesungen werden, hat ihn stets erzürnt.
„Sie alle stehen prägend für Teile ihrer Generation und sind selbst geprägt durch die Zeiten, Politik und persönlichen Umstände ihrer Entwicklung.“
Waders Volkslieder, plattdeutschen Songs, Shantys, Bellmann-Interpretationen und Arbeiterlieder machten diese Genres einem breiteren Publikum erstmalig bekannt. Einige davon wurden zu Hymnen, die bis heute junge Sänger und Sängerinnen inspirieren. Dass er gerade bei den Arbeiterliedern ein Weichzeichner war, hat sicher zum großen Erfolg beigetragen. Dieser romantische Zug bei ihm hat Wader auch für Schubert eingenommen, dessen Lieder er ebenfalls auf seine Art interpretierte. 2017 verabschiedete er sich von der Bühne mit einer letzten Tournee, die im Berliner Tempodrom endete. Heute lebt er nach gesundheitlichen und privaten Turbulenzen wieder in Bielefeld. Das Liederschreiben und -singen kann er nicht ganz lassen – gerade erschien bei Stockfisch Records Noch hier – was ich noch singen wollte —, aber große Konzerte spielt er nicht mehr.
Lothar „Der Black“ Lechleiter vom Duo Schobert & Black hatte vor allem in den Siebzigern eine Karriere ganz anderer Art, mit einer Wirkung, die man heute kaum noch erklären kann. Mit seinem Partner blödelte er auf sehr intelligente Art in Texten, Liedern, mit Ansagen, Limericks sowie im ostpreußischen Dialekt herum. In den eher spießigen Sechzigern hatte dieser Nonsens geradezu subversiven und befreienden Charakter. Mitte der Achtziger trennten sich die beiden und gingen eigene musikalische Wege. Schobert Schulz starb 1992, und Lechleiter wechselte ins bürgerliche Berufsleben. Nach längerer Unterbrechung fing er erst 2008 wieder mit Auftritten an. Immer noch singt er dabei „höheren Blödsinn“ und Texte befreundeter Autoren. In Ostpreußen geboren, floh seine Familie gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in die Nähe von Neuss. Mitte der Siebziger begann er, südamerikanische Musik zu spielen, ein Einfluss, der in seinen Konzerten immer zu hören war. Auch für ihn waren die Waldeck-Festivals bedeutend, wo Schobert & Black viermal auftraten. Heute steht er nicht mehr sehr im Rampenlicht.
Wieder auf Tournee ist Konstantin Wecker, der zudem gerne im Rampenlicht steht. Er ist ein Vollblutmusiker, charismatisch, leidenschaftlich, streitbar, lebenshungrig, mit einer intensiven Bühnenpräsenz. In seinem liberalen, künstlerischen Elternhaus in München erhielt er schon früh Klavierunterricht und stand bereits in jungen Jahren auf der Bühne. Auch er ist ein Schubert-Fan. Seine Vielseitigkeit und Produktivität ist außergewöhnlich, selbst in den Krisenzeiten seiner Drogensucht war er künstlerisch tätig. Als Hansdampf in allen Gassen war und ist er in vielen Genres aktiv: Schauspieler in Sex- und Fernsehfilmen, Komponist von Musicals und Filmmusiken, Sänger, Liedermacher, Sprecher und immer auch politischer Aktivist. Seine Position des utopischen Anarchisten ermöglicht es ihm, sich zu vielen Ereignissen politisch zu positionieren, ohne konkret Verantwortung übernehmen zu müssen. Dies findet nicht nur Zuspruch. Gegenwind aber ist er gewohnt und hält er aus. Zu seinem 75. Geburtstag ist er auf großer Jubiläumstour, „Utopia“ heißen Programm und Album, und er zählt es zu seinen wichtigsten Projekten überhaupt.
Unbeugsam auf ihre Art ist auch Bettina Wegner, die sich schon vor fünfzehn Jahren aus dem Konzertbusiness zurückzog und heute nur noch vereinzelt auftritt. Ihre kommunistischen Eltern wechselten von West- nach Ostberlin, wo sie aufwuchs. Man hört ihr dieses spezielle, schnoddrige Berlinisch bis heute an. 1966 war sie Mitbegründerin des Berliner Hootenanny-Klubs, einer freien Bühne für junge Leute. Kurz bevor die FDJ daraus den Oktoberklub formte, stieg sie aus. Im Umfeld des Schriftstellers Thomas Brasch, mit dem sie einen Sohn hat, protestierte sie 1968 gegen den Einmarsch in die ČSSR, was zu einer Verurteilung wegen „staatsfeindlicher Hetzte“ führte. Ihr Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR 1976 hatte letztlich ein Auftrittsverbot zur Folge. Nachdem der Druck immer stärker geworden war, siedelte sie 1983 über die Grenze zurück nach Westberlin, wo sie seitdem lebt. Ihr bekanntestes Lied von den kleinen Händen hat sich auch international verbreitet. Die sozialistische Idee und der Verlust der DDR sind Themen, die sie bis heute beschäftigen. Ein dieses Jahr veröffentlichtes Filmporträt dokumentiert Stationen ihres Lebens.
Aus einem ähnlichen Milieu, das mit dieser Generation endete, kam auch Barbara Thalheim. Als Tochter eines Kommunisten wuchs sie ebenso mit antifaschistischen und sozialistischen Idealen auf. Diese Kindergeneration der alten Kader war durchaus für Sozialismus, sah aber die Realität der DDR deutlich kritischer. Dieses Muster fand sich bei vielen Funktionärskindern, gerade in Berlin und in Kreisen Kunstschaffender. Thalheim startete 1967 im Oktoberklub und nach dem Studium mit einer eigenen Karriere. Sie wurde zu einer bekannten Künstlerin in der DDR. Mit Fritz-Jochen Kopka und später mit dem Franzosen Jean Pacalet hatte sie zudem inspirierende Kooperationen. Trotz einiger schwerer Krisen, Krankheit, Tod des Partners, öffentlicher Debatte über ihre Stasimitarbeit und zwischenzeitlichem Ausstieg aus der Liedermacherei ist Barbara Thalheim wieder und immer noch unterwegs, überwiegend in den neuen Bundesländern.
Sechs bedeutenden Künstlerinnen und Künstlern gilt es zu gratulieren, die prägend waren in ihrem Genre in den letzten Jahrzehnten, die sowohl die Hoffnungen ihres Publikums ausdrückten als auch ihm Hoffnung machten.
Videos:
Hannes Wader und Reinhard Mey singen „Le Temps Des Cerises“ an Hannes Waders 79. Geburtstag, aufgenommen am 23. Juni 2021 in Northeim ( www.stockfisch-records.de): www.youtube.com/watch?v=Jaq71jAmy4o
Hannes Wader, Konstantin Wecker & Reinhard Mey, „Es ist an der Zeit“, Live bei Songs an einem Sommerabend 2014: www.youtube.com/watch?v=SJnmZmy8IEU
Schobert & Black, Limericks und „Versöhnung never“, 1974: www.youtube.com/watch?v=58xefTg9A9s
Bettina Wegner mit Jens-Peter Kruse, „Soldaten“, live am 28.8.2022, Templersommer, St. Nikolai, Wettin: www.youtube.com/watch?v=KmxE0CXB-xA
Barbara Thalheim, „Nackt“, Konzertausschnitt vom 7.10.2019, Konzertreihe Feature-Ring, Dresden, Europäisches Zentrum der Künste Hellerau: www.youtube.com/watch?v=_HmfCGdBlj8
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