25 Jahre folker (1)

Sabine Froese – Konstruktive Inspiration

28. März 2023

Lesezeit: 6 Minute(n)

Der folker feiert Jubiläum. Statt des zu solchen Anlässen beliebten historischen Abrisses möchte die Redaktion die Hauptakteurinnen und -akteure dieser Jahre zu Wort kommen lassen, wie sie die Entwicklung des Magazins im Rahmen ihrer eigenen Biografien erlebten. Drei Personen hatten den Posten der Chefredaktion zwischen 1998 und 2020 inne (Michael Kleff, Sabine Froese und Cecilia Aguirre), bevor es 2021 mit einer sechsköpfigen Inhaltsredaktion zu einer Auflösung dieses traditionellen journalistischen Konzepts kam. Als Verleger fungierte von den Anfängen bis ebenfalls Ende 2020 Christian Ludwig. In jeder Ausgabe des Jahres 2023 findet sich ein Interview mit einer dieser vier Personen. In der Nummer 1.23 mit Sabine Froese.
Interview: Petra Rieß

Unser Gespräch heute hat einen schönen Anlass: Der folker feiert Jubiläum. 25 Jahre! Das bedeutet: ein Vierteljahrhundert schreiben und lesen über Folk, Lied und Weltmusik. Du warst viele Jahre dabei, zuerst als Journalistin und Redaktionsmitglied. Ab 2008 hast du die Rubrik „Heimspiel“ betreut und bist dann, in einem fließenden Übergang, Michael Kleff als Chefredakteurin nachgefolgt. Diese Position hattest du vier Jahre lang inne, von Heft 5/2014 bis Heft 3/2018. Wenn du jetzt speziell an diese Zeit zurückdenkst, welches Gefühl stellt sich dann ein?

Vor allem Dankbarkeit für diese Erfahrung. Und gerne denke ich an unser Zusammenwirken im Team, denn die Zusammenarbeit mit allen Kolleg:innen und dem Kernteam war außergewöhnlich gut, obwohl es kaum Möglichkeiten des unmittelbaren, persönlichen Austauschs gab. Die Atmosphäre im Redaktionsteam war immer lösungsorientiert, sich gegenseitig unterstützend, verständnisvoll.

Was war für dich als Chefredakteurin damals das wichtigste Ziel? Wie war dein Selbstverständnis?

Mein Ziel war, den folker zu modernisieren. So sollte es die Blauen Seiten nur noch online geben. Das war schwierig. Auch war mir ein Relaunch der Optik von Website und Heft wichtig. Inhaltlich war der folker immer ein hochwertiges Produkt, aber es war Zeit für ein neues Kleid. Letztendlich konnte aus Kapazitätsgründen und weil der damalige Verlag andere Vorstellungen und Prioritäten hatte, nicht alles umgesetzt werden, aber ein erster Schritt war getan. Ich freue mich sehr, dass der folker in Andrea Iven eine Verlegerpersönlichkeit gefunden hat, die die Anpassungen an die heutige Zeit voll mitträgt – obwohl mir dabei auch nicht alles gefällt, zum Beispiel die kürzere Artikellänge.

In einem deiner ersten Editorials 2014 erwähnst du deine frühen Afrikareisen nach Zaire und Guinea. Du hast dort einen neuen musikalischen Kosmos entdeckt, wie du schreibst, den du unbedingt teilen wolltest. Was genau war es, das dich damals so gepackt hat?

Ich hatte mehrere Jahre dort gelebt, von 1985 bis 1986 in Kinshasa und von 1989 bis 1992 in Conakry. Für mich war es die Entdeckung einer neuen Welt, Musik voller Energie, die um ihrer selbst willen existierte, die mitten ins Herz und in die Beine ging. So eine ausgeprägte Lebensfreude der Musiker:innen bei den Auftritten und der Menschen beim Tanzen hatte ich noch nie erlebt. Und das alles unter materiell sehr schwierigen Bedingungen: notdürftig reparierte Instrumente, natürlich keine Notenblätter, stundenlange Stromausfälle … Aber es hat gerockt bis zum Morgengrauen. Vor allem Kinshasa war extrem. Das Ausgehviertel Matonge hat für mich die damalige Clubszene von St. Pauli lässig getoppt. Und meine Heimatstadt Hamburg war damals für mich in Sachen Partys einzigartig in Deutschland. Schließlich gab es wie in Kinshasa viele Clubs, die nicht um fünf Uhr morgens schlossen, manche öffneten erst gegen ein Uhr nachts oder später. Ich stieß also auf eine riesige Party in Dauerschleife mit einzigartiger Musik – und konnte das niemandem zu Hause vermitteln, denn da fehlten die Vorstellungen und Erfahrungen, es gab ja noch kein Internet …

Du bist damals nicht sofort im Musikjournalismus gelandet. Wie hat sich dein Weg zum Schreiben über Musik entwickelt?

Meine Begeisterung für die afrikanischen Musiktraditionen und ihre Weiterentwicklung brachte mich in Conakry auf die Idee, einen Weg zu suchen, diese Musik nach Deutschland zu bringen. Ich fand zu Günter Gretz in Frankfurt, der das Label Popular African Music betrieb. Günter organisierte damals die erste Tour von Youssou N’Dour in Deutschland. Wir einigten uns, ein paar Aufnahmen vor Ort in Conakry zu machen, andere Sachen zu lizenzieren. Insgesamt habe ich bei ihm unter dem Namen jafits sechs CDs rausgebracht. Günter hatte Kontakt zu Nick Gold von World Circuit, weil er außerhalb von Deutschland einen Vertrieb für seine Sachen suchte und sich Nick anschließen wollte. Mittlerweile war ich zum Studium nach Berlin gezogen und habe neben der deutschsprachigen Promo für Günters und meine eigenen Sachen auch die von World Circuit übernommen. Ich fing also an, Pressetexte zu schreiben. Mitte der Neunziger lernte ich Michael Kleff kennen, kam so zum folker und schrieb hin und wieder über Musiker:innen aus Afrika. Später wurde ich Redaktionsmitglied.

Der folker nannte sich damals noch „Magazin für Folk, Lied und Weltmusik“ – heute lautet der Untertitel „song, folk & world“. Wie gefällt dir die englische Variante?

Für mich klingt der deutsche Untertitel antiquiert, der englische gefällt mir besser. Was nicht so ganz meins ist, ist die Kleinschreibung, auch von „folker“. Ich sehe das nicht begründet außer darin, dass „man das heute so macht“.

Was macht einen guten Song für dich aus? Was muss ein Lied haben, damit du es gut findest?

Es muss mich in der Tiefe berühren, auf einer Ebene, auf er mir erst mal die Worte fehlen. Wenn das passiert ist, regt sich der Geist irgendwann und gießt die Erfahrung in passende Beschreibungen.

In deinen folker-Texten geht es immer auch um den politischen Aspekt von Musik und ihre Einbettung in sozialpolitische Kontexte. Warum?

Ich habe für meine Editorials immer Themen aus dem folker-Kontext gesucht, die den Leser:innen Mut machen, sie zu konstruktiven Handlungen inspirieren sollten, damit wir aus der Schreckstarre und dem Lamentieren herauskommen. Denn das hilft nicht weiter – außer, dass Dampf abgelassen wird. Wenn wir uns nur als Opfer fühlen, geben wir unsere Macht ab.

„Wir brauchen den Mut, jeden Tag dazuzulernen.“

Stichwort Ukraine. 2014 begann auch der Krieg in der Ostukraine. Wie würdest du heute im folker über die Ukraine berichten (lassen)?

Diese Frage zu beantworten, fällt mir nicht leicht. Ich beobachte die Tendenz, dass sich unsere Gesellschaft zunehmend in Lager aufteilt und aufgrund von politischen und weltanschaulichen Differenzen Risse durch Familien und Freundschaften gehen. Wir können andere Meinungen nur noch schwer oder gar nicht aushalten und nicht mehr respektvoll und wertschätzend kontrovers diskutieren, uns aufrichtig für die andere Meinung interessieren. Es gibt aber keine einfachen Wahrheiten, und wir brauchen den Mut, jeden Tag dazuzulernen, also auch unsere Meinung, unsere Einschätzung zu erweitern, zu verändern. Dieser Krieg zerstört jeden Tag Leben und Infrastruktur und traumatisiert Generationen. Was eine Berichterstattung im folker anbelangt, würde ich versuchen, mit Hilfe von Fachleuten Wege zu suchen, wie wir aus dieser Gewaltspirale aussteigen können. Jetzt. Vielleicht würde ich für diesen Ansatz ein neues Format suchen außerhalb der Musikberichterstattung, zum Beispiel mit Autor:innen aus der Friedens- und Konfliktforschung.

Du warst die erste Frau als Chefredakteurin. War das etwas Besonderes? Wie wichtig war beziehungsweise ist dir der feministische Aspekt?

Für manche Kollegen – und auch für mich – war es eine unerwartete Herausforderung, dass nun eine Frau das letzte Wort hat. Ich musste lernen, mich durchzusetzen – das hatte ich so nicht erwartet –, was am Anfang nicht leicht war, mich persönlich aber hat wachsen lassen. Den feministischen Aspekt finde ich so lange wichtig, wie Gleichberechtigung unter den Geschlechtern noch nicht erreicht ist. Sprache ist dabei auch wichtig, aber nicht vorrangig und es muss sinnvoll umgesetzt werden.

„Ich habe viel gegeben und viel bekommen.“

Vor über einem Jahr hast du dich vom folker verabschiedet, um einen neuen beruflichen Weg einzuschlagen. Was hast du damals für dich mitgenommen?

Ich denke sehr gern an meine Zeit beim folker zurück, auch an die Anfänge. Ich habe viel gegeben und viel bekommen und hatte in Michael Kleff jemanden, den ich jederzeit fragen konnte – als frisches Redaktionsmitglied und später als seine Nachfolgerin. Als Chefredakteurin bin ich mit meinen Anliegen auch beim Kernteam immer auf offene Ohren gestoßen, Mike Kamp hat mich wunderbar unterstützt.

Welchen Jubiläumsgruß würdest du denn dem folker mitgeben wollen?

Klasse, was ihr bis heute mit fortes medien alles gewuppt habt. Ich wünsche euch ausreichend Abos und Anzeigen, die eure Arbeit dauerhaft auf ein solides Fundament stellen.

 

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