Zum Tod von Sinéad O’Connor, der viele Menschen auch in unserer Szene bewegt, veröffentlichen wir noch einmal online die Titelstory über die Musikerin aus Folker! 5/2007. Mag der Beitrag nur eine Momentaufnahme sein, so wirft er dennoch einen spannenden Blick auf ihr Leben und Wirken zu dieser Zeit sowie auf vorausgegangene Ereignisse und musikalische Ausflüge.
Für alle, die es noch nicht wissen: Sinéad O’Connor ist zurück. „Wie bitte?“, werden jetzt gewiss manche sagen, hatte sie doch 2003 ihren Rückzug aus dem Musikgeschäft verkündet und an der Endgültigkeit dieser Entscheidung seinerzeit keinen Zweifel gelassen – sogar eine Abschieds-DVD gab’s für die Fans. Aber Sinéad O’Connor wäre wohl nicht Sinéad O’Connor, wenn dies die letzte Überraschung gewesen wäre, die sie der Öffentlichkeit zu bieten hatte. Legte sie doch 2005 mit Collaborations und dem in der Fachwelt mit viel Beifall bedachten Reggae-Album Throw Down Your Arms bereits wieder zwei neue Longplayer vor. Wenn das nicht jeder mitbekommen hat, dann liegt es nicht zuletzt daran, dass es insgesamt deutlich ruhiger um die mittlerweile vierzigjährige Musikerin geworden ist, deren Auftritte in der Vergangenheit stets ein gefundenes Fressen für die Medien waren. Das öffentliche Ausbreiten ihrer schwierigen Kindheit, das Zerreißen eines Papstfotos während einer Fernsehtalkshow in den USA, die Weigerung, bei einem Konzert aufzutreten, das mit der US-amerikanischen Nationalhymne eröffnet werden sollte (Frank Sinatra wollte ihr deshalb in den Körperteil treten, an dem Männer gewöhnlich ihr Portemonnaie tragen), die Berufung zur Priesterin einer unabhängigen Glaubensgemeinschaft innerhalb der katholischen Kirche und, und, und … Die Reihe der Provokationen und Wunderlichkeiten ließe sich beliebig fortsetzen. Allerdings läuft man dabei Gefahr, jene Sinéad O’Connor in den Hintergrund zu drängen, die eigentlich im Vordergrund stehen sollte: die außergewöhnliche Musikerin.
Text: Markus Dehm, Fotos: Kevin Abosch
Sinéad O’Connor ist noch immer ein Star, wenngleich die Verkaufszahlen und Chartplatzierungen ihrer letzten Alben dies nicht unbedingt unterstreichen, dafür waren diese Arbeiten wohl zu wenig dem Mainstream zugeneigt. Aber reden möchten dennoch alle mit ihr – seien es US-amerikanische Topentertainer, der bekannteste Talkmaster des irischen Fernsehens oder auch das deutsche ZDF. Sie alle laden O’Connor ein, um mit ihr über ihr jeweils neuestes Album und ihre Musik zu sprechen. In Wirklichkeit hoffen sie allerdings wohl hauptsächlich auf die nächste Grobschlächtigkeit der Irin gegenüber Politikern, Musikerkollegen oder einfach nur auf eine Schlagzeile, die sich aus einer ihrer Äußerungen heraustrennen lässt. Denn mit spektakulären Äußerungen und Verlautbarungen hat sie vor allem Journalisten immer wieder gut zugearbeitet, und sie sagt deshalb nicht zu Unrecht, aber auch mit einem Hauch von Verbitterung, dass mit ihr doch immer ganz gut Geld zu verdienen war. Dabei tat Sinéad O’Connor selbst fast alles, um in der Öffentlichkeit ein Bild von sich zu zeichnen, das sie stets angreifbar machte, das sie zuweilen sogar zum Gespött werden ließ. Die Irin hatte immer ein Problem damit, ihre sehr ernst gemeinten Thesen, Spekulationen, Meinungen, An- und Einsichten einer Öffentlichkeit zu vermitteln, die in ihr nur den Popstar sah und sehen wollte. Zu wirr, zu unstrukturiert und häufig auch zu impulsiv trug sie das vor, was ihr zum jeweiligen Zeitpunkt wichtig war. Ungeschminkt und ohne je wirklich auf PR-Berater zu hören, hat sie ein Publikum mit gesellschaftspolitischen Aussagen konfrontiert, das doch eigentlich nur „Nothing Compares 2 U“ hören wollte, ihren Megahit aus dem Jahr 1990, der ihr auf ewig einen Spitzenplatz innerhalb einer Musikrichtung sicherte, die eigentlich nie die ihre war. Denn, so betont sie immer wieder, als Popstar habe sie sich zu keiner Zeit ihrer Karriere gesehen und das wollte sie auch nie sein. Und dennoch war sie einer.
Es ist schon spannend, einer Persönlichkeit zu begegnen, die es im Laufe einer über zwanzigjährigen öffentlichen Karriere verstanden hat, Freund wie Feind vor den Kopf zu stoßen, die an sich selbst vermutlich ebenso oft zerbrochen ist, wie an der öffentlichen Meinung über sie. In den Medien wird sie häufig als sprunghaft dargestellt, als jemand, der selbst nicht so recht weiß, was er will. Und sie bestätigt dieses Bild natürlich, in dem sie nach außen hin ein Leben führt, das „Lieschen Müller“ mindestens ein verständnisloses Kopfschütteln abverlangt. Vier Kinder von vier verschiedenen Männern – da wird die bürgerliche Moral natürlich auf das Empfindlichste gereizt.
In München machte die Musikerin für einen Tag im Rahmen einer Promotiontour Station, um der Presse ihr neues Album vorzustellen, das den programmatischen Titel Theology trägt. Auch dem Folker! wurde Audienz gewährt, und verfolgt man O’Connors Karriere, so kann man allerspätestens seit der CD Sean-Nós Nua aus dem Jahre 2002 sagen, dass genau in diesem Magazin auch der richtige Platz für ihre Musik ist.
Man hat Sinead O’Connor einen Raum in einem noblen Hotel reserviert, der aussieht, als sei er für die irische Staatspräsidentin hergerichtet. Barfüßig sitzt sie auf dem edlen Sofa, vor sich eine Schachtel Zigaretten und eine Tasse Kaffee. Das Ganze hat durchaus etwas Unwirkliches. Die Szenekneipe um die Ecke wäre der wohl passendere Ort gewesen, allerdings lassen sich dort Interviews, schon wegen der Geräuschkulisse, meist schwieriger führen. Bei der Begrüßung hatte man zunächst das Gefühl, sie wirke etwas abwesend, vielleicht sogar desinteressiert. Allerdings täuschte dieser Eindruck, denn die Irin entpuppte sich als sehr angenehme und aufmerksame Gesprächspartnerin.
„In der irischen Musik gibt es Lieder von unglaublicher Intensität und Kraft.“
Würdest du dich als eine von der irischen Musiktradition geprägte Musikerin bezeichnen oder war da einfach nur die Liebe zur Musik, ganz egal welcher Art?
Die Liebe zur Musik ganz allgemein, denn, ob du es glaubst oder nicht, mir war irische Musik eigentlich bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr gänzlich fremd, ich hatte überhaupt keine Berührung damit. Als ich aufwuchs, war es absolut uncool, irische Musik zu hören, es war sogar uncool mit einem irischen Akzent zu singen. Mit vierzehn hörte ich dann bei einem Konzert die Fureys spielen. Und dieser Konzertabend veränderte wohl mein Leben für immer. An diesem Abend hörte ich den Song „The Lonesome Boatman“ und war total überwältigt von diesem Lied.
Wurden die Fureys dann so etwas wie musikalische Idole für dich?
Nein, es war nicht die Band, es war dieser spezielle Song, der mein Interesse an traditionellen irischen Liedern weckte. Wenngleich ich nicht wirklich an dieser Musik interessiert bin, es sind einfach nur einzelne Songs. In der irischen Musik gibt es Lieder von unglaublicher Intensität und Kraft. Deshalb habe ich auch dieses Album mit irischer Musik gemacht [die Rede ist von Sean-Nós Nua; Anm. d. Autors].
Kannst du dir vorstellen, ein weiteres Album wie dieses zu machen: Sean-Nós Nua, Volume 2?
Nein, ziemlich sicher nicht. Ich habe wirklich die Lieder herausgepickt, die eine besondere Bedeutung für mich haben, und das war’s dann auch.
Wenn man dich in eine Kategorie stecken wollte. In welcher musikalischen Schublade würdest du deinen Platz sehen? Würde der Begriff Weltmusikerin auf dich zutreffen?
Ich bezeichne mich eigentlich selbst als „Songhure“. Was ich damit sagen will, ist, dass ich mir einfach Songs nehme, die mir gefallen. Wobei mir völlig egal ist, wo sie ihre Wurzeln haben. Es geht mir immer nur um Songs, weniger um Musikrichtungen. Ich finde es auch ein bisschen schade, wenn man sich einem bestimmten Stil unterordnet. Das raubt ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit.
Kommen wir zu deinem neuen Album. Ein Thema taucht bei dir immer wieder auf. Und jetzt hast du diesem gewissermaßen eine ganze CD gewidmet. Die Rede ist von Theologie, von Religion. Nutzt du bei dem neuen Album die Musik als Vehikel, um religiöse Themen zu transportieren, oder ist die Musik für dich eher ein Ventil, um deine Emotionen, deine Gefühle und Gedanken rauszulassen?
Letzteres trifft zu. Ich lasse meinen Gedanken hier einfach freien Lauf.
„Es geht mir immer nur um Songs, weniger um Musikrichtungen.“
Aber es ist schon deine Absicht, die Menschen teilhaben zu lassen an deinen Gedanken?
Nicht unbedingt. Man muss das auch ein bisschen pragmatisch sehen. Wir müssen alle unsere Rechnungen bezahlen, also müssen wir arbeiten. Ein Album zu machen und ein Album zu vermarkten, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Und ich möchte mein Geld eben mit Dingen verdienen, die eine Bedeutung für mich haben, die mir guttun. Die Rock- und Popmusik war nicht gut für mich. Wenn ich ein Album aufnehme, dann möchte ich einfach etwas Schönes tun. Es dann auf den Markt zu bringen, heißt, Geld damit zu verdienen. Dieses Album ist aber auch ein Stück weit gedacht, um mich zu bedanken.
Bei wem zu bedanken?
Nun, wie immer man ihn nennen mag … (sie zeigt hierbei mit dem Zeigefinger nach oben in Richtung „Himmel“)
Du möchtest also keine Botschaften loswerden?
So ist es. Wenn jemand eine Botschaft für sich darin erkennt, dann ist das okay. Aber ich glaube, dass man gerade bei religiöser Musik sehr vorsichtig sein muss, was das Verbreiten von Botschaften angeht, denn ich denke, dass niemand das Recht hat, zu bevormunden und Leuten zu sagen, dass sie gefälligst an das zu glauben haben, woran man selber glaubt. Aber wenn das Album Denkanstöße gäbe, dann wäre das natürlich schön.
Von der katholischen Amtskirche hältst du wohl nach wie vor nicht viel. Dennoch ist es der christliche Glaube und hier vor allem das Alte Testament, dem in hohem Maße dein Interesse gilt. Hast du nie daran gedacht, zu einer anderen Weltreligion zu wechseln?
Ich lasse mich auch durch andere Religionen inspirieren. Grundsätzlich aber meine ich, dass Gott und Religion zwei unterschiedliche Dinge sind.
Du sagst, Gott sollte vor der Religion gerettet werden. Was meinst du damit?
Die Religion gibt Regeln vor und richtet damit Mauern auf. Das hat trennenden Charakter und sperrt die Idee von Gott gewissermaßen ein. Und ich glaube nicht, dass Gott dem zustimmen würde. Gott grenzt niemanden aus. Die Aufgabe der Religion ist es eigentlich, den Menschen einen Weg der Liebe aufzuzeigen, aber das tut sie häufig nicht. Bei der Religion hat man zuweilen den Eindruck, dass sie selbst gar nicht an Gott glaubt. Die Religion muss deshalb permanent daran erinnert werden, dass es einen Gott gibt.
Theology, so sagst du, sei ein Versuch, einen Ort des Friedens in Zeiten des Krieges zu schaffen. Und du bezeichnest das Album als deine Antwort auf die berührenden Ereignisse in der Welt seit dem 11. September. Heißt das, du suchst die Antworten auf politische Fragen in der christlichen Religion, denn die Texte zu den meisten Songs beziehen sich auf Bibelstellen?
Im Wesentlichen ist das Album, wie ich bereits gesagt habe, eine Art, meine Gefühle auszudrücken und mich zu bedanken. Aber die Texte beschäftigen sich schon auch mit der Gewalt in unserer Welt, vor allem seit besagtem 11. September. Wie man versucht, Konflikte zunehmend mit Gewalt zu lösen und verschiedene Religionen beziehungsweise Gott für die Sache der Gewalt auch noch zu instrumentalisieren, das findet meinen entschiedenen Widerspruch.
Wir kennen natürlich auch eine andere Sinéad O’Connor. Jene, die politische Statements lautstark oder durch symbolische Handlungen in Talkshows oder auf der Konzertbühne verkündet hat. Gehört diese Sinéad O’Connor der Vergangenheit an?
Ich habe diese Handlungen eigentlich nie als politische Statements gesehen, eher als künstlerische. Ich glaube nicht, dass ich mich diesbezüglich verändert habe, ich halte lediglich den Weg des Sichausdrückens durch Songs für effektiver. Das Songwriting als Ausdrucksmöglichkeit, so wie ich das bei Theology getan habe. Natürlich haben die Lieder auch politische Inhalte, aber eben nicht so offensichtlich.
„Niemand hat das Recht, zu bevormunden und Leuten zu sagen, dass sie gefälligst an das zu glauben haben, woran man selber glaubt.“
Dein Reggae-Album Throw Down Your Arms war ja in gewisser Weise auch ein religiöses Album, denn Rastafari ist eine Lebensweise mit stark christlichen, alttestamentlichen Bezügen.
Ja, absolut. Rastafari ist zwar keine Religion, aber der religiöse Kontext ist zweifellos vorhanden.
Schon mehrfach hattest du die Nase voll vom Musikgeschäft, und 2003 musste man fast sicher sein, dass uns nur noch die „alten Platten“ bleiben würden. Aber du kamst zurück. Brauchst du die Bühne? Warum die Rückkehr mit all den Schattenseiten des Starrummels, den du so wenig magst?
Der Grund, weshalb ich aufhören wollte, war, dass ich einfach die Last nicht mehr tragen konnte, die dieser Starrummel, dieses ganze Popbusiness mit sich brachte. Ich habe da nicht reingepasst. Andererseits habe ich rasch nach meinem Rückzug begriffen, dass da eine Kreativität in mir ist, die ich nicht unterdrücken kann und auch nicht unterdrücken will, denn das wäre sehr schlecht für mich. Also suchte ich nach Wegen, dieser musikalischen Kreativität wieder Raum zu geben, ohne erneut in die Rock- und Poparena steigen zu müssen. Als ich Theologie studierte [Sinéad O’Connor studierte am Milltown Institute in Dublin; Anm. d. Autors], kam mir die Idee, was ich tun könnte. Eines Tages las ich in unserem Kurs eine Bibelstelle aus dem Alten Testament, und da kam dieser wunderbare Priester herein und sagte: „Du solltest ein Lied darüber machen.“ Und ich habe herausgefunden, dass dieser Weg der richtige für mich ist. Ich könnte mir beispielsweise auch vorstellen, Lieder für Schulchöre zu schreiben und in einem solchen Umfeld zu arbeiten. Dabei sage ich nicht, dass ich nur noch solche Dinge machen möchte, aber ich brauche ein Umfeld, in dem ich mich wohl fühle, das mich respektiert.
Auswahldiscografie:
I Do Not Want What I Haven’t Got (Ensign/Chrysalis, 1990)
Universal Mother (Ensign/Chrysalis, 1994)
Sean-Nós Nua (Hummingbird Records, 2002)
Collaboration (Capitol Records, 2005)
Throw Down Your Arms (Chocolate and Vanilla, 2005)
Theology (Rubyworks, 2007)
Theology
(Rubyworks RWX5OP, www.rubyworks.com)
CD 1 (Dublin Sessions): 11 Tracks, 40:57
CD 2 (London Sessions): 11 Tracks, 50:02
Sinéad O’Connor mag es offenbar, ihre CDs im Doppelpack zu servieren, denn bei ihrem 2005 erschienen Album Throw Down Your Arms hat sie dies ebenfalls getan. Das kommt davon, wenn man sich nicht entscheiden kann, mit welcher Version man lieber auf den Markt gehen möchte. Uns Hörern soll es recht sein. Die „Dublin Sessions“, die Akustikvariante, ist gewissermaßen die CD für die Puristen, für die Liebhaber minimalistisch produzierter Musik. Als Produzent zeichnet hier der Gitarrist Steve Cooney verantwortlich, der neben Sinéad O’Connor als einziger Musiker mit im Studio war. Die „London Sessions“ wurden von Ron Tom produziert, und der Hörer bekommt hier das volle Instrumentenprogramm geboten, von Schlagzeug über Harfe bis hin zu Cello. Welche Version die Schönere ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Beide CDs beinhalten acht neue Songs aus der Feder von Sinéad O’Connor, zum Großteil die gleichen. Als „Texthilfe“ hat sie sich die Bibel genommen. Sorgfältig wählte sie unter anderem Psalmen aus, wie zum Beispiel Psalm 33, der dem entsprechenden Lied auch gleich seinen Titel gab. „Whomsoever Dwells“ lehnt sich an Psalm 91 an und „Dark I Am Yet“ ist dem „Lied der Lieder“, dem Hohelied Salomos entnommen. Der bekannteste Titel auf beiden CDs dürfte aber wohl jener sein, der seine Wurzeln in einem biblischen Loblied aus Psalm 137 hat – „Rivers Of Babylon“. Ja, richtig – der Boney-M.-Song. Neben diesem Mitsingtitel findet sich noch ein weiterer „Bekannter“: „I Don’t Know How To Love Him“, aus dem Musical Jesus Christ Superstar. Fazit: ein hochinteressantes, außergewöhnliches Album!
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