„Am coolsten ist der Moment, wenn du sie dann abstimmst und merkst: Funktioniert und klingt gut!“ Florian Bader ist 27 Jahre jung, kommt aus dem Thüringer Wald und lernt genau dort, beim international bekannten Maultrommelbauer Andreas Schlütter, jene kleinen Klangwunder zu bauen. Wie es dazu kam.
Text und Fotos: Peggy Luck
Im Grunde war die Maultrommel im thüringischen Zella-Mehlis schon ausgestorben. Doch manchmal sind es die kleinen Momente, die Neugier, manchmal auch die Zurückhaltung, die eine Tradition wieder neu erwecken. Einige dieser Momente mussten sich aneinanderreihen bis zu diesem, in dem Andreas Schlütter Maultrommeln der alten Form nicht nur baut und in etliche Länder der Welt verschickt, sondern auch so etwas wie einen Lehrling hat.
Der Vater von Andreas Schlütter, Friedrich Schlütter, war ein Handwerker, der sich auch für Instrumente interessierte. Er baute die damals in der Region verbreiteten Hirtenhörner, eine Vorstufe des Alphorns, die früher zur Kommunikation unter den Hirten verwendet wurden. Als sich ein Kollektiv gründete, um in Zella-Mehlis einen Heimatverein aufzubauen, half er mit. In der Auflösung eines Großhandelsgeschäfts fanden sich verschiedene Sachen, mit denen niemand etwas anfangen konnte – darunter seltsam geformte, eher kleine Metallgebilde. Wenn Vater Schlütter ein Ausstellungsstück nicht identifizieren konnte, hatte er eine einfache Lösung: Trotzdem in die Vitrine legen, aber nicht beschriften. Erst ein Besuch des Ethnografen Ernst Stahl brachte Licht ins Dunkel: „Ich wusste gar nicht, dass ihr auch Maultrommeln habt!“ Tja – wussten sie selbst nicht. So begann Schlütter Senior, die Maultrommel kennenzulernen, zu spielen, nachzubauen und Schritt für Schritt zu verfeinern.
„Es ist auch die Freude am vergessenen Instrument.“
Maultrommeln gab es in der ganzen Welt, erzählt Andreas Schlütter und öffnet einen der Koffer mit seinen Sammlungen. In Asien wurden sie meist aus Bambus geschnitzt, hierzulande sind Objekte aus Stahl oder Eisen überliefert, gegossen oder geschmiedet. Das Prinzip ist simpel: Eine Feder schwingt an zwei Seitenteilen vorbei, und das Volumen des Mundes – sozusagen das „Maul“ an dem die „Trommel“ anliegt – liefert den Resonanzraum. Dieser ist veränderlich, und dadurch lässt sich auch der Ton in Höhe und Beschaffenheit variieren.
Friedrich Schlütter hat sich aus dem Instrumentenbau weitgehend zurückgezogen. Seit 2000 baut der Sohn nun auch gewerblich Maultrommeln in der Werkstatt seines Vaters. Neben dem Instrumentenbau und dem Konservieren einer Tradition ging es den Schlütters dabei auch um „die Innovation, das Weiterspielen, Weitertragen“, wie Schlütter Junior betont. Als Vater und Sohn zum Beispiel hörten, dass man in Österreich mit einer Maultrommel unverstärkt ganze Konzertsäle füllt, waren sie verdutzt. Mit dem kleinen Ding? Die Form die in Zella-Mehlis aufgetaucht war, ließ das nicht vermuten, war viel zu leise. Also probierten die beiden herum, um die Qualität zu erhöhen, und entdeckten schließlich einige Parameter, mit denen die Maultrommel lauter und präsenter wurde. Dreißig unterschiedliche Grundtöne – vom tiefen D bis zum zweigestrichenen G – werden heute in der Schlütter’schen Werkstatt angefertigt, jedes Modell liegt in seinem eigenen Kästchen. „Das ist noch nicht das Ende“, sagt Andreas Schlütter, „aber ab hier wird’s eben schwierig.“
Was macht nach 25 Jahren noch die Faszination am Maultrommelbau aus? Für Andreas Schlütter ist es das Unterwegssein auf den internationalen Messen, den Sommerfestivals in Frankreich oder Spanien, der Austausch mit erstklassigen Maultrommelspielern wie Anton Bruhin oder Albin Paulus. „Es ist auch die Freude am vergessenen Instrument“, sagt er, der bei der Familien- und Ortsband Thüringische Spielleut auch alle anderen Instrumente bedient, vom Hackbrett über die Waldzither bis zum Gesang. Auch den Brummtopf, den er inzwischen wieder vermehrt nachbaut.
Am meisten beschäftigt ihn allerdings die Maultrommel. Selbst nach Jahren erfährt er immer wieder Neues über das kleine Metallding, das damals im Heimatverein aufgetaucht war. „Zum Beispiel, dass es Konzerte für Maultrommel und Orchester gibt, etwa von Johann Georg Albrechtsberger!“ Außerdem ist es eine gewisse Unberechenbarkeit in der Herstellung des Instruments, die Schlütter und seinen Azubi faszinieren. „Du machst alle Schritte exakt gleich, misst aufs Hundertstel genau aus, und trotzdem ist nie so richtig klar, warum eine Maultrommel gut wird“, beschreibt er den Prozess. „Es ist echt viel Tüftelei und Knobelei dabei“, stimmt Florian Bader zu.
Seit Mai 2024, also bald ein Jahr, kommt der junge Zella-Mehliser einmal in der Woche zu Schlütter und lernt das Handwerk von ihm. Ursprünglich aus einer unmusikalischen Familie stammend, geriet er in ein musikalisches Umfeld, das sich rund um die Folksessions in den stromlosen Berghütten der Gegend erhalten hat. „Wenn du da Musik haben willst, musst du sie halt spielen!“ Dort lernte er auch die Maultrommel kennen. Nach der Schule absolvierte Bader eine Buchhändlerlehre in Jena, wurde jedoch von Corona in der Jobsuche gestoppt und entschied sich 2020, bei einem großen Musikfachhandel anzufangen. Instrumente faszinieren ihn seit seiner Begegnung mit Folkmusik, besonders mit dem Südthüringer Musiker und Banjobauer Nico Schneider und dessen Band Seldom Sober Company. Zunächst wollte er Dudelsack lernen. Als Elfjähriger rief Florian bei Schlütters an und fragte, ob Andreas ihm das Spielen beibringen könnte. „Das war neu, da war er erst mal ein bisschen überfordert“, erzählt dieser. Am Ende stieg Florian Bader aufs Banjo als Hauptinstrument um, bedient aber gerne auch mal Waschbrett oder Singende Säge. Mit fünfzehn begann er, sein Instrument zu Feiern mitzunehmen, inzwischen spielt er in der Band Friendsbranntwein Bluegrassmusik. In Bamberg, wo er heute lebt, hat er eine Session gegründet und damit eine Kneipe quasi zur Musikkneipe gemacht. Die Verbindung zur Musikszene der Heimat ist geblieben.
Als Andreas Schlütter im Frühjahr 2024 aus gesundheitlichen Gründen jemanden suchte, der ihn beim Trümpi-Festival im schweizerischen Corcelles vertreten könnte, fragte er auch bei Florian Bader an. Der sagte Ja, und inzwischen ist bereits von seiner möglichen Übernahme der Werkstatt die Rede, wenn Schlütter sich zurückzieht.
Hoch konzentriert, ein Auge zugekniffen, misst der Auszubildende das fast fertige Instrument unter der Lupe aus, probiert einen Ton, ist noch nicht zufrieden, bessert nach. Der Abstand zwischen Feder und Seitenteilen muss so klein wie möglich sein. Natürlich muss die Feder trotzdem schwingen können, ohne irgendwo anzuschlagen. Nach zwei Durchgängen ist er zufrieden und legt die Maultrommel in die Kiste zu ihren Grundton-Artgenossen. Andreas Schlütter holt sie wieder raus und gibt sie ihm, verschränkt erwartungsvoll die Arme. Endabnahme. Florian Bader schlägt die Feder an, der Klang erfüllt die Werkstatt. Der Meister nickt. Wieder ist eine neue Maultrommel fertig geworden.
Videolinks:
Tutorial „Maultrommel lernen für Anfänger“ mit Anja Schlütter: www.youtube.com/watch?v=NRCOkaDgvWw
Maultrommeltechniken für Atmung und Anschlag mit Anja Schlütter:
www.youtube.com/watch?v=kCxH0ygitHo
Liedbeispiele zur Verwendung der Maultrommel mit Andreas und Anja Schlütter:
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