Plus One – ein Eurofolkprojekt

Zwei plus eins gleich sieben

7. März 2023

Lesezeit: 4 Minute(n)

Gudrun Walther und Jürgen Treyz sind sowohl im Irish als auch im Deutschfolk wohlbekannt mit Formationen wie Cara und Deitsch, als Mitorganisatoren des Sang-und-Klang-Onlinefestivals im Sommer 2020 oder als Beteiligte des Volksliedprojekts „Der Flug der Liebe“ beim Rudolstadt-Festival 2022. Nun haben sie ein neues Vorhaben in die Tat umgesetzt: Plus One.
Text: Michael A. Schmiedel

Schon länger spukte es den beiden in ihren Köpfen herum, mit einigen der Kollegen und Kolleginnen, die sie auf Festivals, Sessions, Workshops und so weiter kennen und schätzen gelernt haben, gemeinsam aufzutreten. Das passierte zwar bei Projekten oder wenn sie sich musikalische Gäste eingeladen hatten eh schon, aber jetzt wollten sie es anders machen. Und zwar war die Idee, als Duo gewissermaßen den konstanten Kern zu bilden, je einen Musiker oder eine Musikerin hinzuzuladen und so zu dritt – „plus one“ eben – ein Lied zu singen oder ein Instrumental zu spielen.

Gedacht, gesagt, getan: Fünf Musikschaffende aus fünf Ländern wurden es letztlich, mit denen Gudrun Walther und Jürgen Treyz in einer gemeinsamen Studiozeit ein Album aufnahmen und am 29. Oktober 2022 in Esslingen gemeinsam ein Konzert gaben. Zudem entstand daraus ein Videoprojekt, das man sich online ansehen kann. Bei den Beteiligten handelt es sich um die dänische Cellistin Kirstine Elise Pedersen, den österreichisch-deutschen Multiinstrumentalisten und Stimmakrobaten Albin Paulus, den englischen Akkordeonisten Andy Cutting, den schottischen Singer/Songwriter Aaron Jones und die irische Querflötistin Nuala Kennedy.

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Alle bringen sie die Klänge der jeweils eigenen Musikkultur mit in das Projekt. So streicht Pedersen etwa ein Menuett des färöischen Komponisten Jens Christian Svabo und Paulus jodelt. Cuttings Spiel auf dem diatonischen Akkordeon mutet indes eher französisch an, selbst wenn er deutsche Stücke darauf spielt. Jones’ englischer Gesang mit schottischem Akzent erinnert an das derzeit ruhende Bandprojekt Litha, bei dem er bereits mit Walther und Treyz zusammenarbeitet, und Kennedys Flötenspiel und Stimme an ein Cara-Konzert.

Dennoch klingt das Ganze zugleich und vor allem nach Gudrun Walther und Jürgen Treyz, was auch so gedacht ist, denn das Duo bildet für die beiden ihren „Dreh- und Angelpunkt, ihr persönliches sowie musikalisches Zuhause“, wie Walther es erklärt. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob es sich bei Plus One um eine temporäre Angelegenheit oder eine neue Band handelt, die jedoch eindeutig im Sinne der ersten Alternative zu beantworten ist. Im Unterschied zu den eingangs genannten Bands gehen die Beteiligten nach gemeinsamer Tournee oder Studiozeit wieder auseinander.

„Im besten Fall lernen alle Beteiligten voneinander und bewegen sich aufeinander zu.“

Eine andere Frage, nämlich die, ob es bei dem Projekt mehr um die unterschiedlichen Musikkulturen oder um die Entstehung einer neuen, europäischen Folkmusik geht, beantwortet Gudrun Walther so: „Uns reizt beides – es sind ja letztlich verschiedene Seiten derselben Medaille. Natürlich muss man erst einmal nach Gemeinsamkeiten suchen, um überhaupt musikalisch einen Ausgangspunkt zu haben. Diese Gemeinsamkeiten können sowohl im Grob- als auch im Feinbereich liegen, zum Beispiel bei gemeinsamem Repertoire oder gemeinsamen Bezugspunkten. Es kann aber auch einfach die Art sein, wie man mit jemand zusammenspielt – Phrasierung, Empathie oder ähnliche Vorstellungen von Dynamik. Sobald man die Gemeinsamkeiten lokalisiert hat, kann man darauf aufbauen, indem man sich auf die Unterschiede konzentriert und die Ohren spitzt: Was war das für eine Verzierung? Warum klingt das ‚typisch skandinavisch‘? Was ist der Unterschied zwischen einer englischen und einer irischen Hornpipe? Und so weiter. Im besten Fall lernen alle Beteiligten voneinander und bewegen sich aufeinander zu, immer mit dem Ziel, gemeinsam etwas zum Klingen zu bringen, was größer ist als die Summe der einzelnen Bestandteile.“

Klar wird beim Hören des Albums, dass hier durchaus etwas Neues entsteht, eine grenzüberschreitende Folkmusik, die sich aus verschiedenen Wurzeln nährt, aber dennoch eine gemeinsame Krone zu bilden beginnt. Das Projekt ist natürlich nicht alleiniger Urheber dieser Entwicklung, sondern sie verdankt sich schon vielen früheren Begegnungen mit wechselseitiger Beeinflussung. So kommt einem manchmal der kritische Unterton zu Ohren, die deutsche Volksmusik etwa ihrer Band Deitsch klinge dem einen oder der anderen zu irisch. In der Tat ist die Praxis, Tanzmelodien zwischen den Strophen eines Liedes zu spielen oder einen Reel im Stil aus Quebéc im Deutschfolk beheimaten zu wollen, eines der Markenzeichen des pfälzisch-schwäbischen Duos, das andere ansteckt. Die oft beschworene Symbiose von Tradition und Moderne zeigt sich bei Walther und Treyz nicht, indem sie Folkrock oder Folkpop produzieren, sondern indem sie durch Europa reisen, Folkmusikern und -musikerinnen in ihren eigenen Ländern begegnen, Freundschaften schließen, und so fast wie von selbst Fusionen hervorbringen. Eine gemeinsame europäische Musiktradition finden sie dabei auch in der Klassik, in der einige der Beteiligten professionell ausgebildet sind.

Außer den beiden Coverversionen „When I’m Gone“ von Phil Ochs und „Aragon Mill“ von Sí Kahn sind alle Lieder auf Deutsch, gesungen von Gudrun Walther und/oder Albin Paulus, sodass der Deutschfolkanteil überwiegt, was die Texte angeht. Die dänischen, schottischen, englischen und irischen Anteile liegen eher in der Instrumentalbegleitung oder eben den Instrumentalstücken. Aber auch diese tragen sehr deutlich die Handschrift von Walther und Treyz, sodass sich die Musik harmonisch in die ihrer anderen Bands und Projekte einfügt. Am ehesten repertoireerweiternd dürfte das Jodeln sein. Das hört sich geradezu am Exotischsten an, obwohl von der geografischen Herkunft her am wenigsten weit entfernt von der süddeutschen Heimat der beiden. Albin Paulus ist hier zwar der Meister, aber auch Jodelschülerin Gudrun Walther merkt man es nicht an, dass es eine für sie neue Gesangstechnik ist.

Schließlich gibt es auf dem Album zwei Ensembleaufnahmen, bei denen alle zusammenspielen. Die eine davon, „Falkenlied/Ziemetshauser Nr. 33“, ist ein Lied mit Zwischenspiel, teils traditionell, teils von Walther und Treyz geschrieben. Dieses Zusammespiel klingt schon, als sei es eine Band. Man darf gespannt sein, was noch aus dem Projekt erwächst.

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walthertreyz.com/plus-one

Album:

Plus One (Artes Records, 2022)

 

Videos:

Trailer zu Plus One: www.youtube.com/watch?v=bTmdoT4xOyk

Einzelvideos der Aufnahmen: www.youtube.com/artesrecords

Aufmacherfoto:

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