Community Music in Deutschland

Im Gespräch mit Alicia de Bánffy-Hall

26. Mai 2025

Lesezeit: 6 Minute(n)

Alicia de Bánffy-Hall gilt als eine der Pionierinnen der Community Music in Deutschland. Bereits im Jahr 2012 gründete sie die Münchner Community Music Aktionsforschungsgruppe und gehört zum Gründungsteam des bundesweiten Community Music Netzwerks. Mit dem folker sprach sie über die Prinzipien dieser Praxis und die wachsende Relevanz von Community Music in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.

Interview: Charlotte Daun, Daniela Höfele

Was ist Community Music?

Welche Ideen und Ziele stecken hinter dem Konzept der Community Music?

Die Grundidee ist, dass jeder Mensch das Recht hat, sich musikalisch auszudrücken und in der Gesellschaft den Raum dafür zu bekommen. Wichtig sind dabei einige Grundwerte und Grundprinzipien: das aktive Tun beziehungsweise Musizieren, Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit, Gastfreundschaft und Inklusivität. Und nicht zuletzt ist ein Grundprinzip und zugleich übergeordnetes Ziel das Ideal der kulturellen Demokratie, dem man sich versucht zu nähern. Die konkreten Ziele wiederum sind je nach Projekt immer unterschiedlich. Sie hängen davon ab, wer mit wem wo wie arbeitet. Das mag einfach klingen, ist aber sehr komplex. Die Ziele sind nicht vorgefertigt und folgen keinem Lehrplan oder Ähnlichem, sondern es geht um gemeinsam gestaltete Räume und entsprechend auch Ziele.

Wann gilt ein Community-Music-Projekt als erfolgreich?

Erfolg oder Qualität kann man sozusagen durch verschiedene „Brillen“ betrachten. Die Frage ist ja letztendlich: Was ist Erfolg? In der Community Music ist Erfolg die maximale Partizipation aller. Und das ist natürlich ein großer Unterschied dazu, wie ich Erfolg zum Beispiel in einem klassischen Konzertsaal messen würde. Der Musikethnologe Thomas Turino sagt, man kann diese beiden Ansätze als zwei verschiedene Kunstformen betrachten. Das bedeutet nicht, dass künstlerisch-musikalische Qualität in der Community Music keine Rolle spielen, weil alle Menschen sehr wohl wahrnehmen, wie etwas klingt, und dazu eine Meinung haben. Insofern ist die künstlerische Qualität wichtig, aber eben auch die Qualität der Beziehungen und die Qualität des sozialen und musikalischen Prozesses. Denn das Ziel, durch ein Community-Music-Projekt einen Raum zu schaffen, in dem sich alle ausdrücken können und sicher fühlen, ist nur durch einen sozialen Prozess zu erreichen.

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Der aktuelle Zertifikatslehrgang Community-Music der Landesmusikakademie NRW

Foto: Landesmusikakademie NRW

Community Music ist somit ja auch nicht an ein bestimmtes Genre gebunden. Gibt es dennoch universelle Elemente, die immer vorkommen?

Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, denn es gibt nicht die eine Definition von Community Music. Wenn man sich das Feld in Deutschland anschaut, kann man aber durchaus sagen, dass die Gemeinsamkeit solcher Projekte letztlich die Grundprinzipien sind, über die wir schon gesprochen haben. Aber auch da ist es wichtig, zu sagen: Das sind Ideale! Es gibt keine „Community-Music-Polizei“, die sagt, das ist nicht inklusiv genug und deshalb keine Community Music. In der realen Welt versucht man eben immer das umzusetzen, was im jeweiligen Kontext und mit den jeweiligen Rahmenbedingungen möglich ist.

Wie lässt sich Community Music in bestehende musikalische Traditionen wie etwa Volksmusik einordnen, bei denen es ebenfalls um gemeinschaftliches Musizieren geht?

Die eine Perspektive ist die der Intervention – dabei wird Community Music gezielt eingesetzt, um etwas zu bewegen. Aber das ist nur die eine Seite. Den Teil von Community Music, bei dem es einfach um gemeinschaftliches Musizieren von Communitys geht, gibt es natürlich schon immer. Menschen haben schon immer miteinander Musik gemacht, ohne dass sie dafür in die Schule gehen mussten oder Unterricht genommen haben. Wobei auch regelmäßige Aktionen wie beispielsweise Jodeln im öffentlichen Raum, das ich früher in München miterlebt habe, Interventionen sein können: um bestimmte musikalische Traditionen und das Interesse für sie am Leben zu erhalten.

„Jeder Mensch das Recht hat, sich musikalisch auszudrücken und in der Gesellschaft den Raum dafür zu bekommen.“

In meiner Forschung zur Community Music wurde häufig erwähnt, dass Musik wieder mehr Teil des Alltags werden soll und nicht nur sozusagen „abgekapselt“ in der Schule oder anderen Institutionen stattfindet.

Die Entwicklung der Community Music in Deutschland

Du hast gerade deine Forschung angesprochen, lass uns hier gerne zunächst noch einen Schritt zurückgehen: Wie bist du zur Community Music gekommen, und was fasziniert dich daran so sehr, dass du dich bis heute für sie einsetzt?

Ich bin in München aufgewachsen und habe in meiner Jugend an vielen Musiktheaterprojekten mitgewirkt, die ich rückblickend im Bereich der Community Arts verorten würde. Besonders prägend für mich war ein Musical für Mädchen und Frauen unterschiedlichster Hintergründe, an dem ich als Teenagerin teilgenommen habe. Dieses Projekt hat mich sehr bewegt, und mir wurde klar: Ich möchte eine Arbeit, die Menschen mit Musik verbindet. Im Jahr 2000 habe ich dann vom Studiengang „Performing Arts/Community Arts“ am Liverpool Institute for Performing Arts (LIPA) erfahren – und das war der absolute Volltreffer. Mit zwanzig Jahren bin ich dorthin gegangen und hatte das große Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein: Das Studium war sehr praxisorientiert und sogar kostenfrei, da es von der EU finanziert wurde. In England wurde Kultur als Mittel zum sozialen Wandel von der damaligen Labour-Regierung unglaublich gefördert. Nach meinem Abschluss konnte ich mir deshalb meinen Lebensunterhalt nur mit Community-Music-Praxis verdienen. Ich hatte einen Kofferraum voller Instrumente und Materialien und habe über zehn Jahre lang freischaffend Workshops und Projekte an Schulen, Familien- und Jugendzentren sowie mit Museen, Orchestern und Tanzorganisationen in Liverpool gemacht. Irgendwann kam der Wunsch auf, zu promovieren, um die wissenschaftlich-theoretische Perspektive der Community Music zu erforschen – ich hatte bis dahin ja rein praktisch gearbeitet. Hierfür bin ich 2012 zurück nach Deutschland an die Hochschule für Musik und Theater München gegangen.

 

 

Du gehörst zu den Personen, die Community Music – unter diesem Begriff – mit nach Deutschland gebracht haben. Wie hat sich das Feld deiner Wahrnehmung nach seither entwickelt?

Meine Promotionsforschung habe ich mit der Frage begonnen: Wo ist hier in Deutschland Community Music zu verorten? Denn dass es die Praxis an sich gibt, nur eben nicht unter diesem Namen, wusste ich ja aus eigener Erfahrung. Ich habe dann die Münchner Community Music Aktionsforschungsgruppe ins Leben gerufen, um aus Perspektiven von Kulturverwaltung, Musikpädagogik, Musik in der sozialen Arbeit, Community Arts, freier Musik, Forschung und Praxis das Feld gemeinsam zu bearbeiten. In den drei Jahren Forschungsarbeit mit der Gruppe hat sich dann sehr viel in Gang gesetzt im Raum München: Die Münchner Philharmoniker und das Kulturreferat griffen das Thema auf, und es entstanden Projekte wie ein Community-Music-Orchester, das es bis heute gibt. 2015 veranstalteten wir dann eine internationale Tagung zum Thema Community Music mit rund einhundertfünfzig Personen aus dreizehn Ländern, im Anschluss entstand das erste deutschsprachige Buch über Community Music.

„In der Community Music ist Erfolg die maximale Partizipation aller.“

Ein weiterer Meilenstein war dann 2017, als das bundesweite Community Music Netzwerk gegründet wurde, das aus der Arbeit der Aktionsforschungsgruppe hervorging. Außerdem gibt es immer mehr Qualifizierungsangebote: Im gleichen Jahr startete die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt ihren Masterstudiengang „Inklusive Musikpädagogik/Community Music“, an der Musikhochschule Würzburg gibt es einen Master „Community Music“, und seit zwei Jahren gibt es an der Landesmusikakademie Nordrhein-Westfalen nun auch den sehr intensiven Zertifikatslehrgang „Community Music“. Es kommen inzwischen also jedes Jahr neue qualifizierte Menschen dazu. Seitdem gibt es immer mehr Projekte, die sich als Community Music definieren, und eine steigende Nachfrage nach Vorträgen und Fortbildungen. Auch institutionell wird das Feld immer häufiger verankert, beispielsweise am Konzerthaus Dortmund oder in der Stadtbibliothek München, aber auch in meiner Professur an der Hochschule Düsseldorf, die die erste deutsche Professur mit der Denomination „Community Music“ ist und wiederum in der Kultur- und Sozialwissenschaft angesiedelt ist. Es gibt also eine stark steigende Zahl an Ausbildungsformaten, Projekten, Institutionen, Veröffentlichungen, die sich dem Feld Community Music widmen, und das nach nur etwas mehr als zehn Jahren.

 

Die Zukunft der Community Music in Deutschland

In welchen Bereichen siehst du weiteres Potenzial für die Community Music in Deutschland?

Ich glaube, gerade die Bereiche Gesundheit und Wohlbefinden wachsen aktuell sehr. In der Musiktherapie beispielsweise beschäftigt man sich mehr und mehr mit präventiven Ansätzen wie der Community Music Therapy. Außerdem sehe ich großes Potenzial in der Musikpädagogik sowie in der Ausbildung professioneller Musizierender an Musikhochschulen. Für viele Studierende könnte die Community Music abseits der oft begehrten klassischen Orchesterstellen sicher ein ergänzender, erfüllender und auch gesellschaftlich wichtiger Bereich sein, um musikalisch wirksam zu sein. Für mich gehört Community Music sogar auch in die allgemeinbildenden Schulen. Und ganz allgemein sehe ich weiteres Potenzial auch an dem Punkt, an dem wir aktuell gesellschaftlich stehen, beispielsweise im Hinblick auf unsere Wahlergebnisse. Community Music und darüber hinaus Community Arts halte ich für einen absolut essenziellen Bereich – dahingehend, dass wir merken, dass Musik und Kunst eine große Rolle spielen darin, wie wir als Menschen mit anderen Menschen oder Musiken umgehen, wie und ob wir einander zuhören und uns öffnen für neue Perspektiven, auf die Welt zu blicken. Gleichzeitig soll das jetzt nicht so klingen, als würde nicht bereits sehr viel passieren – denn meiner Wahrnehmung nach gibt es gerade überall Entwicklungen in genau diese Richtung, und es ist toll zu sehen, dass das Interesse und die Vernetzung wachsen.

Alicia de Bánffy-Hall hat am Liverpool Institute for Performing Arts das Fach „Performing Arts/Community Arts“ studiert und ist Professorin für „Musik in der Sozialen Arbeit/Community Music“ an der Hochschule Düsseldorf. Sie zählt zum Gründungsteam des Community Music Netzwerks und fungiert dort als erste Vorsitzende. www.aliciadebanffyhall.blogspot.com

Das Community Music Netzwerk ist 2017 aus der Arbeit der Münchner Community Music Aktionsforschungsgruppe entstanden. Der gemeinnützige Verein sieht sich als Plattform für Dialog, Diskussionen und Informationsaustausch über Community Music in Deutschland, veranstaltet unter anderem Workshops, Fortbildungen, Konferenzen und setzt sich als Interessensvertretung für Community Musicians ein. www.communitymusicnetzwerk.de

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Alicia de Bánffy-Hall

Foto: privat

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