Community Singing

Die Stimme ist mehr als ein Instrument

8. Juni 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

folker präsentiert: Rudolstadt-Festival 2025

Community Singing ist ein Bereich der Community Music. Was gemeinschaftliches Singen in diesem Zusammenhang bedeutet und welche Rolle Leitung in singenden Gruppen spielt, erläutert Marion Haak-Schulenburg im Gespräch mit dem folker.

Interview: Christoph Schumacher

Wie unterscheidet sich Community Singing von Chören oder anderen singenden Gruppen?

Im Wesentlichen geht es bei Community Music darum, dass wir auf beziehungsorientierte Weise miteinander Musik machen. Was in den Beziehungen einer Gruppe, in der sozialen Dynamik passiert, ist genauso wichtig, wie die musikalische Entwicklungsarbeit. In der Community Music benutzen wir den Begriff „Facilitator“, statt von Lehrer oder Leitung zu sprechen. Als Facilitator von Community Singing versuche ich, es leicht zu machen, dass Menschen miteinander singen und dabei auch ihre gegenseitigen Beziehungen entwickeln können. Das Repertoire ergibt sich aus den Möglichkeiten, die die Leitung mitbringt, und den Wünschen der Gruppe.

In welchem Werterahmen bewegt sich hier das gemeinsame Singen?

Die Organisation, von der ich in der Community Music am meisten gelernt habe, sind die Musicians Without Borders, die nach fünf Arbeitsprinzipien handeln, an denen ich mich orientiere. Das erste ist für mich Sicherheit. Das heißt, wenn ich mit Gruppen arbeite, versuche ich sowohl durch meine eigene Ausrichtung als auch durch die Art, wie ich führe, einen sicheren Raum zu schaffen. Das heißt, Menschen können sich sicher sein, dass sie weder physisch noch emotional bedroht sind, indem sie öffentlich vorgeführt oder bewertet werden. Dann geht es um das Prinzip von Augenhöhe. Die Grundidee ist, dass wir alle gleich würdig sind. Ich versuche, so kollaborativ oder partizipativ wie möglich zu arbeiten. Wichtig ist mir dabei, dass ich als Facilitator für den Rahmen und die Atmosphäre verantwortlich bin. Also, je unerfahrener eine Gruppe, desto mehr Anleitung wird sie brauchen. Je erfahrener eine Gruppe, desto weniger Impulse wird sie von mir brauchen. Die nächste Leitschnur ist Inklusion. In meinem Verständnis bedeutet dies, dass ich grundsätzlich jeden Menschen für musikalisch halte, wenn auch nicht jede und jeden gleichermaßen für musikaffin, aber alle im Kreis sind willkommen und finden mit dem, was sie beitragen, einen guten Platz in der Gruppe. Meine Aufgabe als Facilitator ist es auch, Kreativität entstehen zu lassen. Wir arbeiten viel mit improvisatorischen Elementen, mit gemeinsamen Arrangements oder Gruppensongwriting. Zuletzt ist auch das Prinzip „Qualität“ wichtig, da wir ästhetisch wahrnehmende Menschen sind. Daher ist es wichtig, dass die Gruppe ihr Potenzial auch klanglich ausschöpfen kann.

Wie kann ich mir das praktisch vorstellen?

Wenn ich den sozialen und den musikalischen Prozess gleichermaßen in den Blick nehme, bedeutet dies, dass ich in der Auswahl meines Repertoires und in der Art und Weise, wie ich dann anleite, Sorge trage, dass Begegnung zwischen den Gruppenmitgliedern ermöglicht oder gefördert wird. Wo ich früher in einem Chor nur ein Begrüßungslied gesungen hätte, sorge ich nun dafür, dass sich die Gruppenmitglieder begegnen, also nicht nur zusammen singen. Bei Erwachsenen kann es sein, dass ich ein Begrüßungslied nutze und in kurzen Pausen die Teilnehmenden ihre Namen, ihre Lieblingsmusik oder irgendetwas voneinander erzählen lasse.

„Es gibt keinen falschen Ton.“

Das heißt, ich integriere Elemente, die eigentlich nicht musikalisch sind, in ein musikalisches Geschehen. Eine andere Möglichkeit liegt im Innermusikalischen. Ich suche nach Repertoire, das einer Gruppe zeigt, dass sie individuelle Mitglieder sind und gleichzeitig einen Gesamtklang erzeugen, zum Beispiel im Clustersingen. Das bedeutet, es gibt keinen falschen Ton. Es entsteht ein Klanggebilde, das seine Schönheit aus der Vielfalt der Stimmen kreiert. Selbst Menschen, die glauben, sie sind gar nicht musikalisch, merken plötzlich, dass ihre Stimme zum musikalischen Gesamtklang beiträgt. Das funktioniert zum Beispiel, indem alle durch den Raum laufen. Das heißt, es kommt zu Augen- und Klangkontakten, und das sorgt für eine Verbindung auf einer tieferen menschlichen Ebene, die ohne den Klang gar nicht existieren könnte.

Marion Haak-Schulenburg

Foto: Tatjana Dachsel

Wie bringst du Menschen zum Singen?

Ich arbeite gerne mit Leuten, die Lust haben zu singen, sich das aber nicht zutrauen. Ich nutze dann für das Einsingen emotionale Ruflaute des Erstaunens, des Erschreckens, der Freude, des Jubels, die nicht tongebunden sind. Erstaunlicherweise ist es so, dass gerade Leute, die glauben, sie würden überhaupt keinen Ton treffen, auf diesen nicht tonfokussierten Impuls reagieren, indem sie das mikrotonal genau wiedergeben. Ich starte mit der Sprechtonlage und einem entspannten „Hmm“, also einem Summlaut, der für eigentlich alle Menschen sehr leicht erreichbar ist. Diesen baue ich dann aus in einen etwas länger durchgezogenen Ton. Das ist so ein bisschen ein „Ins-Singen-Hineinverführen“. Sobald man merkt, dass man denselben Ton wie alle anderen singt, ist diese Schwelle überwunden und die Arbeit mit dem Instrument Stimme kann erweitert werden, zum Beispiel um Rhythmus und Sprache wie Rap oder Ähnliches.

Du sprachst gerade von Stimme als Instrument?

Die Community Music nimmt den ganzen Menschen in den Blick und reduziert die Stimme nicht nur auf ein Instrument. Die menschliche Stimme ist zum einen das, was die Person zum Ausdruck bringt, aber zum anderen auch das, was sie über die Person zum Ausdruck bringt. Für mich ist das Schöne an meiner Arbeit, dass wir an eine Selbsterfahrung, ein Selbsteinfühlen, ein Auf-sich-selbst-Einschwingen kommen können. Diese Arbeit braucht eine Menge Sensibilität und Achtsamkeit in der Ansprache, weil sie so eng verbunden mit der Person ist.

Marion Haak-Schulenburg ist Community Musician mit einem Fokus auf Stimme und Body Percussion. Sie arbeitet seit vielen Jahren mit verschiedensten Institutionen der Erwachsenenbildung und Musikorganisationen zusammen und gibt dort Kurse und Seminare zu ihren Schwerpunktthemen. Nach einem „Training of Trainers“ ist Marion Haak-Schulenburg seit 2016 selbst als Trainerin für Musicians Without Borders in Deutschland aktiv. Musicians Without Borders nutzt die Kraft der Musik für sozialen Wandel und Friedensarbeit. Gemeinsam mit lokalen Musikschaffenden und Organisationen arbeitet die Initiative in Gemeinschaften auf der ganzen Welt, die von Kriegen und bewaffneten Konflikten betroffen sind. haak-schulenburg.de, musicianswithoutborders.org

folker präsentiert:

Community Singing beim Rudolstadt-Festival 2025

Freitag, 4.7.2025, 12.00 Uhr – Altes Rathaus

Tune Learning – ein offenes Musizierformat zum Mitmachen

mit Gregor Schulenburg

Tunes und Lieder lernen nach Gehör – singend, spielend, tanzend. Arrangieren passiert beim Jammen. Und die Flipchart hilft mit unbekannten Texten. Teil der Musik werden und sie Teil von uns.

Klangwelt Stimme – Community Singing

mit Marion Haak-Schulenburg

Samstag, 5.7.2025, 13.00 Uhr – Altes Rathaus

Sich hereintrauen in die eigene Stimmklangwelt! Gemeinsam sollen verschiedene Ansätze des Community Singings ausprobiert werden. Das bedeutet: mit viel Spaß, Neugier und Offenheit gemeinsam in einer Gruppe zu singen – ohne Noten, ohne „richtig“ und „falsch“, dafür mit überraschend leichten Wegen zu gemeinsamen Stimmklängen.

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Marion Haak-Schulenburg bei ihrer Arbeit als Community Musician

Foto: Archiv

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