Lieblingsort für alle

Fünf Jahre Kulturbahnhof Leisnig

6. Juni 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Die besten Projekte entstehen oft nicht aus einer Idee, sondern aus einem tiefen Bedürfnis. So auch der Kulturbahnhof Leisnig, der aus dem Wunsch heraus entstand, einen Ort zu haben, an dem Musikerinnen und Musiker einfach sein, proben und jammen können, ohne ständig neue Räume suchen oder auf die Nachbarschaft Rücksicht nehmen zu müssen. „Von Musikern für Musiker“ lautete das Motto von Anfang an. Fünf Jahre ist das inzwischen her – Zeit für einen Blick zurück.

Text: Ronja Lutz; Aufmacherfoto: Elias Treugut

Ein alter Bahnhof als Neuanfang

2020 suchten Kathryn Döhner, Alireza Rismanchian, Christoph Schönbeck und damals noch Ofer Löwinger nach einem Raum, der mehr sein sollte als nur eine Probenmöglichkeit. Erst dachten sie an ein Café in Berlin, doch schnell wurde klar: Sie brauchten Platz – und einen Ort, der inspiriert. Also starteten sie eine deutschlandweite Suche nach Immobilien unter 100.000 Euro. Das Bahnhofsgebäude in Leisnig in der Nähe von Leipzig stand auf der Liste, wirkte auf den Bildern aber wenig einladend. „Da wir sowieso in der Gegend waren, sind wir trotzdem vorbeigefahren“, erzählt Schönbeck etwas verschmitzt, „und haben uns sofort verliebt.“

Der Bahnhof von 1867 war alt, heruntergekommen – aber voller Möglichkeiten. Das hohe Dachgebälk, die verwitterten Mauern, die schräg einfallende Nachmittagssonne: Es war nicht schwer, sich hier eine Bühne, Proberäume, ein Festivalgelände vorzustellen. Vor allem Rismanchian, der als gelernter Architekt die bauliche Leitung des Projekts übernommen hatte, sah sofort das Potenzial des Geländes.

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Das Gründerteam, v. l. Christoph Schönbeck, Kathryn Döhner, Alireza Rismanchian

Foto: Elias Treugut

Leben auf der Baustelle

Die ersten Jahre waren eine Herausforderung. Die Musikschaffenden stellten andere Projekte zurück, lebten in Baustellenstaub und unfertigen Räumen. „Es nimmt einen mit, wenn nichts seinen Platz hat und alles im Wandel ist“, sagt Kathryn Döhner. Und Christoph Schönbeck erinnert sich an die Winter ohne Wärmedämmung, an Atemwolken in den eigenen vier Wänden.

Aber Musik gab es von Anfang an. Im September 2020 gründete sich das Bahnhofsorchester, ein spontanes Ensemble aus befreundeten Musikerinnen und Musikern. Zwischen Bauschutt und Kabelrollen wurde musiziert, improvisiert, gefeiert. Die Anwohnenden waren von Anfang an dabei, halfen, kamen zu Konzerten, musizierten mit – gar nicht das Klischee der Kleinstadt, die fremden Projekten misstraut. „Uns war schnell klar: Wir können nicht einfach hier sein, ohne die Leisniger mit einzubeziehen“, sagt Christoph Schönbeck und erklärt: „Wir haben festgestellt, was wir wirklich wollen, ist Verbundenheit durch Musik – nicht nur mit den Musikschaffenden, die hierherkommen, sondern mit allen.“

„Folk hat eine ganz besondere Kraft, Gemeinschaft herzustellen.“

Diese Verbundenheit hat den Bahnhof zu dem gemacht, was er heute ist: ein Ort, der nicht nur Musikschaffende aus ganz Europa anzieht, sondern auch tief in der Region verwurzelt ist. Heute ist der Bahnhof eine feste Kulturinstitution – mit Konzerten, Workshops, Festivals und Kulturschaffenden aus aller Welt, darunter einigen Größen der Folkszene.

Mehr als nur Musik

Wie wichtig ist dabei die Ausrichtung auf Folk? „Sie ist erst einmal für das Projekt wichtig, weil sie uns wichtig ist“, sagt Kathryn Döhner. „Folk hat aber auch eine ganz besondere Kraft, Gemeinschaft herzustellen. Hier muss niemand erst ‚gut genug‘ sein – alle sind von Anfang an willkommen.“ Bei Konzerten und Jams gibt es keine Trennung zwischen Jung und Alt, Einheimischen und Gästen. Wer sich für „nicht musikalisch“ hält, singt plötzlich im Orchester mit. Im Sommer wird der Biergarten zum Treffpunkt, Nachbarn und Durchreisende gesellen sich dazu, die Grenzen zwischen Publikum und Musikschaffenden verschwimmen.

„In der heutigen Zeit ist es selten, dass so viele verschiedene Menschen auf diese Art zusammenkommen“, sagt Christoph Schönbeck. Diese Offenheit ist es, die den Bahnhof so besonders macht – und die ihn auch von anderen Kulturorten unterscheidet.

Das Bahnhofsorchester

Foto: Mirko Joerg Kellner

Ein Jahr des Feierns – und des Bangens

Am 27. Juli feiert der Kulturbahnhof sein fünfjähriges Bestehen – mit Konzerten, Jamsessions und hoffentlich vielen bekannten und neuen Gesichtern. Aber 2025 ist auch ein Jahr der Unsicherheit.

Das Gebäude bedarf dringend der Sanierung. Das Team hat schon einige Arbeiten fertiggestellt, an Dach, Fußboden, Heizungsanlagen. Aber die Dämmung ist unzureichend, viele Räume sind im Winter kaum nutzbar. Die Einnahmen aus Konzerten und Veranstaltungen decken gerade die laufenden Kosten, weswegen das Team ein Crowdfunding startete, um die benötigten 150.000 Euro Eigenbeteiligung für eine öffentliche Förderung aufzubringen.

Im Lauf der Kampagne im März und April sammelte das Team gut 90.000 Euro, womit einige größere Räume inklusive Fassade und Fenster fertig saniert und die Elektroarbeiten abgeschlossen werden können – kleinere Büro- und Besprechungsräume müssen aber vermutlich hintenanstehen. Sobald aber die Bauarbeiten abgeschlossen sind, könnte der Bahnhof das ganze Jahr über genutzt werden – für Unterricht, Workshops, Artists in Residence. Bands könnten hier Probenphasen verbringen, Kulturschaffende sich zurückziehen und kreativ arbeiten. „Wir haben diesen Ort aus einem Bedürfnis heraus geschaffen“, sagt Kathryn Döhner. „Und genau dieses Bedürfnis gibt es immer noch. Vielleicht sogar mehr denn je.“

Fünf Jahre nach dem ersten Besuch in Leisnig hat sich eines nicht geändert: die Überzeugung, dass Musik Orte und Menschen verändern kann. Bleibt zu hoffen, dass dieser Bahnhof noch lange ein Lieblingsort für Musikschaffende bleibt – und für alle, die ihn brauchen.

www.bahnhof-leisnig.de

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Kulturbahnhof Leisnig

Foto: Elias Treugut

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