Fiesta des Suds

Hundert Pferde für Bernard – Ein Festival mit Seele und Engagement

17. November 2023

Lesezeit: 4 Minute(n)

Vom 5. bis zum 8. Oktober fand in Marseille die 32. Ausgabe der Fiesta des Suds statt, deren Mitgründer und erster Direktor, Bernard Aubert, im Juni verstorben war.
Text und Fotos: Martina Zimmermann

Marseille. Hundert weiße Pferde aus der Camargue mitten in der Innenstadt, die traditionellen Viehhirten und -hirtinnen in ihren typischen Westen mit Hut reiten voran und führen die Wildpferde bis zum Alten Hafen und von dort wieder zurück bis zur Esplanade J4, wo das Festival vor dem Mucem-Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers mit Sicht auf das blaue Meer stattfindet. „Das war für Bernard“, erklärt Nathalie Solia, die heutige Direktorin des Festivals. „Bernard hatte immer so verrückte Ideen, damit immer und überall ständig gefeiert wird und eine gute Stimmung herrscht.“ Der frühere Leiter und Mitbegründer der Fiesta bestand darauf, dass dieses Festival keinem anderen ähneln solle. Seine Witwe und die Kinder und Enkel schauen gerührt den Pferden hinterher. Es ist, als ob seine Seele über der Fiesta wacht. Über dem Meer geht die Sonne unter, die Pferde formieren sich vor der Hauptbühne, ein Paar tanzt, und die Pferde schütteln im Takt die Köpfe.

Weiße Pferde in Marseille zu Ehren Bernard Auberts

 

Die Fiesta ist 2023 mit 300 Kulturschaffenden aus 20 verschiedenen Ländern, 25.000 Zuschauerinnen und Zuschauern, 45 Stunden Musik, 3 Nächten mit DJs und Tanz bis zum Morgen ein voller Erfolg. Erstmals geht das Fest bis Sonntagabend, am Sonntag ist der Eintritt frei. Kinder und Familien spazieren auf dem Gelände, picknicken an den Tischen und Liegestühlen auf der Esplanade und beklatschen die Gesänge der einheimischen Chöre. Darunter ein Kinderchor mit fünfzig Kids aus Brennpunktvierteln, sie präsentieren gemeinsam mit der Rockband Temenik Electric aus Marseille algerische Exilsongs. Acht Monate lang hat die Formation in den Schulen mit insgesamt 500 Kindern gearbeitet. „Ich bin selbst algerischer Herkunft“, sagt Sänger Mehdi Haddjeri. „Das war sehr wichtig für mich.“

Temenik Elektrik mit Kinderchor

 

Der krönende Abschluss der Gesänge findet mit dem Senegalesen Faada Freddy und seiner „Bio“-Musik statt: nur Stimmen und Töne, die Körper der Sängerinnen und Sänger ersetzen locker Bass, Schlagzeug, Trompete und andere Instrumente. Faada Freddy legt wieder einmal eine Megashow hin, tanzt, singt in allen Höhen und Tiefen Soul, Gospel, Hip-Hop und Afropop. „Der Austausch mit dem Publikum bringt mich in Trance“, verrät der Künstler. „Du bist nur der Kanal, durch den die Energie läuft.“ Das typische Marseiller Publikum mit Menschen jeden Alters und jeder Hautfarbe ist ganz nach seinem Geschmack. „Das ist die Familie, ich bin für die Vermischung.“ Faada Freddy predigt „one love“ und sagt zum Schluss unter einem Begeisterungssturm: „Wir alle sind lebendige Seelen und haben alle, egal wie alt wir sind oder wo wir herkommen, eines gemeinsam: die Menschlichkeit.“

 

Tiken Jah Fakoly

Fast alle Künstlerinnen und Künstler der Fiesta engagieren sich. „Das gehört zur DNS des Festivals“, so Nathalie Solia. Der ivorische Reggaestar Tiken Jah Fakoly zieht am Samstagabend das riesige Publikum in seinen Bann, alle werden zu Rebellen und Revolutionärinnen und heben die Faust gegen postkoloniale Strukturen („Françafrique“) und afrikanische Potentaten. Jah Fakoly unterstützt auch die „Ocean Viking“, das Schiff der Hilfsorganisation SOS Méditerranée, mit dem Geflüchtete aus dem Mittelmeer gerettet werden. Ein Stand ist auf dem Festivalgelände. Ob „Africa Wants To Be Free“ oder „Le Peuple A Le Pouvoir“ („Das Volk hat die Macht“), alle singen aus vollem Munde die Hits des Rastas aus der Elfenbeinküste. Auf den durch flotte Bläser unterstützten Reggae tanzt Marseille in dieser Nacht für Demokratie und Freiheit.

 

Rébecca M’Boungou von Kolinga

Anschließend heizen die Marseiller Dancefloor-Veteranen des Reggae-Hip-Hop von L’Entourloop mit einem magischen Mix aus Reggae, Electro, Dancehall, Hip-Hop und Dub ein. An den Platentellern auf der Hauptbühne stehen zwei DJs, davor zwei Rapper und ein Trompeter. Die Filmdokumente auf der Leinwand zeigen brutale Polizeieinsätze zwischen 1968 und heute, zum Schluss läuft einer mit einem fluoreszierenden Schild mit der Aufschrift „Peace“ über die Bühne.

DJ DouceSœur („Die weibliche Form ‚DJette‘ hört sich so schwach an“, meint sie) bringt Karibiksound auf die Fiesta, auch hier ist Platz für alle und jede Hautfarbe, jedes Alter und auch jedes Geschlecht: Auf den Dancehallmix der Afrofeministin tanzen auch Homosexuelle und andere queere Jugendliche.

Eindrücke von der Fiesta des Suds 2023

Afro-Electro-Punk-Mutanten aus Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo haben ein neues Musikgenre begründet: „Tekno Kintueni“ oder „Zague“. Das afrofuturistische Kollektiv KOKOKO! arbeitet mit Punk, Disco, New Wave, Techno oder Afrojazz.

Ruhigere Töne stehen auch auf dem Programm, ob Jazztrompeter Ibrahim Maalouf oder die Afro-Folk-Fusion Kolingas, einer französischen Band um Sängerin Rébecca M’Boungou, die zwischen flotten RnB-Rhythmen auch Kompositionen über ernsthafte Themen wie Depression singt.

An diesem sommerlichen Herbstwochenende hat Marseille wieder einmal gezeigt, dass die Stadt ein Hotspot der Weltmusik ist. Marseille feierte eine Fiesta des globalen Südens.

www.fiestadessuds.com

Teaser zur Fiesta des Suds 2023: www.youtube.com/watch?v=56nvfgTY7Bk

 

Faada Freddy

1 Kommentar

  1. Wieder ein gelungener Beitrag für den Frieden! Und ja, friedenstiftende Seelen leben weiter. Möge dieses Festival noch viele Jahre fortgeführt werden!

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