Bernhard König: Musik und Klima.

oekom-Verlag

24. Januar 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Wie kommt man auf dieses Thema? Bei dem Musiker, Komponisten und Autor Bernhard König aus Bonn war es die Begegnung mit seinem früheren Ich, genauer einem jungen Mann, der so war, wie König vor Jahrzehnten, und zwar auf einer Fridays-for-Future-Demonstration. Ihm wurde bewusst, wie sein einstiger Idealismus der beruflichen Alltagsroutine gewichen ist. Und er stellte sich die Frage, welchen Einfluss Musik auf das Klima hat und haben kann, im Negativen wie im Positiven, und ob er als Musiker etwas für den Klimaschutz tun könne. Er begann zu recherchieren und grub sich hinein in Klimaforschung und Kultur-, vor allem Musikgeschichte und kam zu Zusammenhängen wie dem, dass die Herstellung von Vinyl und Plastik für Tonträger, das Streamen von Musik, die Reisen zu Konzerten und die Konzerttourneen der Musikschaffenden klimaschädlich sind. Er stellte sich die Frage nach einem Eigenwert von Musik und danach, ob man diesen gegen die Klimaschädlichkeit aufrechnen könne. Andere Überlegungen gehen der Frage nach, ob man Musik für den Klimaschutz machen kann, so wie es ja auch Musik für andere politische Bewegungen gibt. König versuchte auch, eine Sinfonie zu komponieren, brach dies aber ab. Die Beschäftigung mit der deutschen Musikkultur der Nachkriegszeit brachte ihn dazu, zu erkennen, welchen gesellschaftswandelnden Einfluss Musik haben kann, auch ohne, dass das direkt zielgerichtet vor sich geht. Und er kam zu dem Schluss, dass, wer Musik liebt, auch eine gesunde Welt lieben muss. Immerhin haben Wetterkatastrophen auch Musikstätten zerstört und so Musikkulturen geschädigt. Ehrfurcht vor der Schönheit der Musik und der Schönheit der Natur gehen seiner Meinung nach Hand in Hand. Und wenn man gemeinsam musiziere, pflege man Gemeinschaft und somit ein Verantwortungsgefühl füreinander. Selbst Musik zu machen, sei überdies klimaneutral.

Es gibt noch zwei weitere wichtige Inhaltsbereiche in diesem Buch. Der erste, dem König sich schon in den Neunzigern forschend näherte, ist ein musikgeschichtlicher Rückblick auf die Entstehung und Entwicklung der heutigen Konzert- und Opernkultur im 19. Jahrhundert. Diese ist für das Klimathema insofern wichtig, als die Erfindung der Dampfmaschine erst das Reisen in kurzer Zeit ermöglichte und somit sowohl Tourneen von Musikschaffenden, ja, von ganzen Orchestern und Ensembles und auch das Reisen des Publikums zu den Spielstätten möglich machte. Erst so, stellt er fest, begannen große Opernhäuser und Konzertsäle sich zu lohnen. Das an Macht und Geld zunehmende Bürgertum habe in dieser Zeit eine neue Art des Musikgenusses entwickelt, die die bis heute die übliche Weise eines Konzertbesuches bestimme: Man hört sitzend und still der Musik zu und beachtet dabei bestimmte Umgangsregeln. Dabei hätten die Musikschaffenden neue Standards entwickelt, denen man sich habe anpassen müssen, um im aufkommenden Konkurrenzbetrieb bestehen zu können. Das Publikum habe nun lieber die großen Meister gehört, die zu ihm kamen oder zu denen es gereist sei, statt den regionalen Musikschaffenden der zweiten und dritten Reihe. Das habe sich bis heute durch die Verwendungen von Autos, Bussen und Flugzeugen zu internationalen, ja, interkontinentalen Tourneen und Reisen zu Konzerten, Festivals und so weiter gesteigert. Wer heute als Musikprofi zur Spitze gehören wolle, müsse international gehört werden. Dieser Wettlauf habe aber zugleich den ökologischen Fußabdruck des Musikgeschäfts vergrößert.

Der zweite Themenbereich widmet sich einer möglichen Lösung des Problems, die König in einer neuen Wertschätzung regionaler Musik und auch der Laienmusik sieht. Ausgehend von der Überlegung, dass Musik die Welt schöner und nicht durch Klimaschädigung hässlicher machen solle und von vielen Erfahrungen in der Diakonie in Bielefeld-Bethel mit Musikprojekten mit Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen sieht König eine Chance darin, die großen Musikhäuser für unterschiedliche Gesellschaftsschichten zu öffnen, und zwar nicht nur als Publikum für das althergebrachte Programm, sondern als Mitwirkende an neuen Formen des Miteinandermusizierens. Dadurch würden zugleich die hohen Subventionen solcher Häuser auch allen Steuerzahlenden zugutekommen und nicht nur einer Minderheit von an klassischer oder neuer Musik Begeisterten. Was den Musiktourismus von Musizierenden und Publikum angeht, so will König diesen nicht abschaffen, aber reduzieren. Da schließt er sich der Idee des Degrowth an, also eines Endes der Wachstumsideologie, die seit (erst) zweihundert Jahren als alternativlos propagiert wird. Indes würde das eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung bedeuten, denn als Einzelner könne man zwar gegen den Strom schwimmen, aber nicht den Strom umlenken. Menschen, die die Chance hätten, sich kreativ einzubringen und mit ihren jeweiligen Eigenarten wertgeschätzt würden, würden sich auch eher verantwortlich für diese Welt fühlen als solche, die nur als zahlende Konsumierende betrachtet würden. Zugleich würde die Gesellschaft dadurch nicht nur klimafreundlicher und nachhaltiger, sondern auch sozialer und demokratischer.

So gesehen ist die Verbindung der beiden Themen Musik und Klima keineswegs mehr weit hergeholt, sondern Musik wird von König als schöner, bereichernder Teil des Lebens und der Welt gesehen, aber nicht als einer, der seinen Daseinszweck nur in sich selbst hat. Und damit schließt er an eine vormoderne Tradition an, in der Musik noch verbunden gewesen sei mit anderen Bereichen des Lebens wie mit Religion, mit Lebensabschnitten, mit höfischem Zeremoniell oder anderen, zu denen nun der Bereich der Verschönerung des Lebens durch Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit hinzukomme – und das ohne, dass „Klima“ explizit Thema der Musik sein müsse.

Man könnte das alles auch auf weniger als 500 Seiten beschreiben, aber König nimmt in die Entwicklung seines Erkenntnisweges mit, der eben nicht geradlinig verlaufen ist, sondern in Schleifen. So haben auch Redundanzen ihren Sinn. Und herausgekommen ist ein informatives, lehrreiches und inspirierendes Buch.

Michael A. Schmiedel

Bernhard König:

Musik und Klima. – München : oekom-Verl., 2024. – 518 S.

ISBN 978-3-949425-04-2 – 36,00 EUR

Bezug: www.oekom.de

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