Wir leben in einer anstrengenden Welt. Dauernd muss man sich herumstreiten, nichts darf man behaupten, alles muss man begründen, und wenn dann noch die falsche Anrede reinrutscht – dann gnade dir.
Früher war alles besser, sagt der Folksmund – vor allem das Vertrauen in die Zukunft. Saß man in der Sch…, war klar, es kann nur aufwärts gehen. Erklärte einer, er wolle auf einem Seil über den Weser-Ems-Kanal laufen, zuckten alle arglos mit den Schultern – ja klar, Alter, mach ma’, wer, wenn nicht du! Es gab keinen Grund, an der redlichen Absicht zu zweifeln, war der Typ doch die Integrität in Person. Vor fünf Jahren hatte er verkündet, er wolle in zehn Jahren aufhören zu saufen. Nun, fünf Jahre später, säuft er immer noch. Und das völlig zurecht, er hat ja noch fünf Jahre Zeit.
Heute ist es schlecht bestellt um die Grundgewissheiten. Alles und jedes wird hinterfragt. Nichts zum Dranfesthalten. Hat das Pariser Urmeter wirklich die Länge eines Meters? Könnte nicht einer in einem unbeobachteten Moment dranrumgefeilt haben? Unmöglich, heißt es, das Teil werde rund um die Uhr bewacht. Gut und schön, aber vielleicht hat der Urmeterwächter nachts auf seiner E-Gitarre gemetert und die Sicherung durchgehauen. Wodurch der Kühlschrank, der das Urmeter mit x Grad Kelvin auf exakte Länge runterkühlt, den Geist aufgegeben haben könnte und das gute Stück binnen 0,000 nüscht um 0,001 nüscht gedehnt. Was für eine Katastrophe! Wie soll man je wieder messen?
Früher maß ich am Zollstock 29,7 cm und hatte prompt die Länge eines A4-Bogens. Aber ergeben 3,367 aneinandergereihte A4-Blätter wirklich noch die Länge eines Urmeters? Was, wenn unser blind balancierender Waagehals sich in der Länge seiner E-Saite vermessen hat und ins Leere tritt? Würde das Navi des Rettungswagens seine Absturzstelle finden, bevor er sich aufgerappelt hat und fußläufig davongehinkt ist? Wir, die wir Gewissheiten brauchen, würden sagen: Ja. Aber wären wir – die konstruktiv veranlagten Ja-Sager*innen – auch Masse genug, um die kritische Mehrheit zu erlangen?
HEAVE AWAY – HAUL AWAY
Zugabe Folker 4/24
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