25 Jahre Yiddish Summer Weimar

Gemeinsame Wurzeln entdecken

13. Juni 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Seit einem Vierteljahrhundert ist das Festival ein Hort der jüdischen Kultur in Europa. Mit einer besonderen Jubiläumsveranstaltung setzt das Organisationsteam um Alan Bern und Andreas Schmitges ein klares Zeichen gegen den wachsenden Antisemitismus und gegen Polarisierung.

Text: Erik Prochnow; Fotos: Shendl Copitman

„Ich staune immer wieder, wie viel jüdisches Leben es in Weimar gab und wie gut es heute hier hineinpasst“, sagt Alan Bern. Der renommierte US-Komponist und Kulturaktivist hat maßgeblichen Anteil daran, dass in der AfD-Hochburg Thüringen jüdische Kultur in Deutschland trotz wachsenden Antisemitismus mit neuer Kraft aufleben kann – ausgerechnet an einem Ort, der wohl wie kein anderer mit Goethe und Schiller sowie Buchenwald sowohl das Beste als auch das Furchtbarste der deutschen Kultur vereint. Vor 25 Jahren gründete der aus Bloomington im US-Bundesstaat Indiana stammende New-Jewish-Musiker hier das international angesehene Festival Yiddish Summer Weimar (YSW).

___STEADY_PAYWALL___
Alan Bern

 

Was 1999 mit einem Workshop begann, hat sich inzwischen zu einem fünf Wochen dauernden Magneten für rund 12.000 Teilnehmende und Besuchende entwickelt. „Das zentrale Element des Festivals ist unsere Summer School, denn wir sind eine Lerngemeinschaft und kein Einkaufszentrum, in dem man Kultur konsumiert“, betont der 70-Jährige. In den über hundert Veranstaltungen gehe es deshalb nicht nur um die Präsentation jiddischer Musik, sondern auch um ihre Erforschung, um Lehre und Neuschaffung.

„Das Einzige, was uns weiterbringt, ist der Erfahrungsaustausch über das, was uns vereint.“

„Das gemeinsame Lernen steht immer im Vordergrund“, unterstreicht auch Andreas Schmitges, der Kurator des YSW. Gemeinsam mit Bern sorgt er dafür, dass die international renommierten Dozierenden der Workshops immer Kulturschaffende sind, die bereits ihre eigene kreative Stimme entwickelt haben. „Sie sollen Vorbilder für die jungen Musikerinnen und Musiker sein, wie man gleichzeitig die traditionellen Wurzeln erkundet und eine neue Zukunft erschafft“, erläutert Schmitges. Dabei sehen sich die beiden Künstler nicht als Brückenbauer. Bern: „Ich lehne das Bild ab, denn es setzt getrennte Seiten voraus, die man verbinden muss. Und eine Brücke kann sehr leicht wieder zerstört werden.“ Mit ihren zahlreichen Projekten wie dem Caravan Orchester & Choir oder dem YAM Ensemble wollen sie nicht Transkulturelles erschaffen, sondern die Wurzeln sichtbar machen, die alle schon verbinden. Dabei ist auch immer viel Raum für Improvisationen.

Andreas Schmitge

 

Auch wenn die aktuelle politische Situation in Deutschland schwierig sei, lassen sich Bern und Schmitges nicht politisieren. „Das Einzige, was uns weiterbringt, ist der Erfahrungsaustausch über das, was uns vereint, und darüber, wie wir voneinander lernen können“, sagt Bern. Ein wichtiges verbindendes Element ist beim YSW in diesem Jahr die jiddische Sprache. Zum ersten Mal werden Workshops zu West- und Altjiddisch angeboten, die über tausend Jahre alt sind. Zudem gibt es Kurse zum jiddischen Lied und dessen Komposition oder zum chassidischen Jiddisch. Es gibt einen jiddischen Chor, Jiddisch für Musikschaffende mit dem Schwerpunkt auf einem Klezmerdialekt oder jiddischen Tanz. „Vor dem Holocaust gab es zehn bis zwölf Millionen Menschen, die Jiddisch gesprochen haben, und bis vor Kurzem hat man es als aussterbende Sprache bezeichnet“, weiß Bern, und fügt hinzu: „Heute sprechen wieder über eine Million Menschen Jiddisch, und die Zahl nimmt zu.“ Sogar die Sprachenapp Duolingo bietet inzwischen Jiddisch an, und auf Netflix gibt es einige Serien in denen chassidisches Jiddisch gesprochen wird. „Der Grund für deren Erfolg ist, dass sie die für alle Kulturen relevante Frage thematisieren, wie man in einer modernen Welt mit Religion und Tradition leben kann“, erläutert Bern.

Gesangsworkshop beim YSW 2024

 

Eine Besonderheit des YSW sind die jeweils eine Woche dauernden, täglich sechsstündigen, intensiven Workshops. Viele Festivals bieten dagegen nur maximal neunzigminütige Veranstaltungen. „Wenn man Menschen zusammenbringen und gleichzeitig in die Tiefe gehen will, braucht man einfach mehr Zeit“, sagt Bern. Die Teilnehmenden lernen dabei mitunter mehr als in so manchem Studium. „Einmal ist sogar eine Kooperation mit einer Uni daran gescheitert, dass wir in einer Woche mehr unterrichten als die Hochschule in einem Jahr“, schmunzelt der Organisator. Dennoch ist in diesem Jahr eine Ausnahme geplant. „Nur diesmal werden wir auch dreistündige, modulare Workshops an Vor- und Nachmittagen durchführen“, sagt Schmitges. Da anlässlich des 25-jährigen Jubiläums deutlich mehr Themen angeboten werden, sollen Interessierte die Möglichkeit haben, so viele Veranstaltungen wie möglich besuchen zu können. Die meisten Kurse werden dabei verschiedene Leistungsniveaus vereinen.

Pianist Bern hätte nie gedacht, dass das Festival einmal diese Größe und Bedeutung erreichen würde. Ursprünglich war er 1987 nach Deutschland gekommen, um Deutsch zu lernen und zu schauen, was das Land, dessen Horror auch die Geschichte seiner Familien geprägt hat, mit ihm machen würde. Zwei Jahre zuvor hatte der in klassisch jüdischer Musik ausgebildete Künstler mit dem Klezmer aufgehört, weil er dafür in den USA keine kreative Zukunft mehr sah. Aber schon am dritten Tag in Deutschland wurde er von Andreas Karpen, einem Mitglied von Kasbek, der ältesten Folkband Berlins, erkannt und eingeladen, mit ihnen aufzutreten. Plötzlich war alles anders. „Statt Angst zu haben, fremd zu sein, waren auf einmal viele Menschen neugierig und wollten mehr über meinen kulturellen Hintergrund wissen“, erinnert sich Bern. Er blieb und wurde Begründer des YSW.

Tanz beim YSW 2023

 

2022 wurde er für seine Leistungen zur Förderung der jüdischen Kultur mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. „Ohne das gesamte Team und die vielen Freiwilligen wäre es aber gar nicht möglich, so ein Festival Jahr für Jahr auf die Beine zu stellen“, sagt Bern. Inzwischen sei er auch gar nicht mehr wichtig, es werde auch ohne ihn weitergehen. „Alle machen sich mit Herz und Seele dafür stark, dass die Ethik und Pädagogik des Festivals bewahrt bleibt, auch wenn es Veränderungen geben wird“, ist sich der Musiker sicher. Zunächst aber freut er sich erst einmal auf die diesjährige Ausgabe, die am 12. Juli startet und am 17. August mit einem großen Fest enden wird. Und vielleicht wird dann auch viel mehr Menschen außerhalb Weimars bewusst sein, wie bedeutend das Jiddische für die deutsche Kultur war. Sogar Goethe hat Jiddisch gelernt, und Schiller wurde als Held der jüdischen Aufklärung gefeiert.

www.yiddishsummer.eu/de

3
Instrumentalworkshop beim YSW 2024

Foto: Shendl Copitman

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Werbung

L
Überprüfe Steady-Status...

Script-Blocker verhindert Seite.

Bitte deaktivieren Sie Ihren Werbeblocker oder Script-Blocker für diese Website, um alle Inhalte anzuzeigen.

Laden Sie die Seite nach der Deaktivierung neu.