Kultur am Wendepunkt

Kulturgenuss für alle

10. Juni 2023

Lesezeit: 4 Minute(n)

Laut Wikipedia ist ein Wendepunkt „ein Punkt auf einem Funktionsgraphen, an dem der Graph sein Krümmungsverhalten ändert: Der Graph wechselt hier entweder von einer Rechts- in eine Linkskurve oder umgekehrt.“ Das gilt für die Mathematik. Übertragen gesehen, deutet dieses Verhalten auf eine gewisse Flexibilität hin. Namensgebend für den Verein Kultur am Wendepunkt war die maximale Flexibilität in den härtesten Coronazeiten.
Text: Imke Staats

Als während des Lockdowns auch in Wuppertal fast gar nichts ging und Musikdarbietungen vor Publikum durch strenge Regeln zum Infektionsschutz fast unmöglich waren, kam ein Freundeskreis von Musikmenschen draußen, im Wendekreis des Wuppertaler Dietrich-Bonhoeffer-Wegs zusammen, um sich Lösungen auszudenken. Sie alle einte die Leidenschaft zur Alten Musik, zur traditionellen Musik und zu Zeitgenössischem sowie Spiel- und Experimentierfreude. Das Ziel: die Welt und sich selbst mit wunderbarer Musik zu erfreuen, also weiter Konzerte zu geben.

Normale Versammlungen waren nicht möglich, aber zehn findige Geister kamen auf einige Alternativen ohne Infektionsrisiko wie Konzerte via Zoom, im Freien, vor der Haustür. Einer von ihnen, der Multiinstrumentalist Matthias Schmidt, schlug die Gründung eines Vereins vor. Damit hätte man auch einen Status zur Verwendung von Fördergeldern, statt auf gelegentliche Almosen angewiesen zu sein. Neben weiteren Vorteilen könnten sich so noch mehr Interessierte mit tollen Fähigkeiten vernetzen.

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Das Duo Spirit & Pleasure im Hardt-Stübchen beim Sommerfestival 2022

Foto: Kultur am Wendepunkt e. V.

Gedacht, getan, und es ist ein tolles Team entstanden. Gefördert wird vor allem die Musikkultur, verknüpft damit sind aber auch soziale Ideen und Umweltziele. Das Thema Nachhaltigkeit und eine regionale Vernetzung liegen den Aktiven sehr am Herzen.
Nun ist Wuppertal nicht gerade ein kulturschwaches Gebiet. Man kennt das Tanztheater um Pina Bausch, es gibt moderne und klassische Kunst, Industriekultur, renommiertes Sprechtheater und ein Sinfonieorchester. Doch auch in der Hochkultur gibt es unbekanntere, seltenere Bereiche. Und Bedarf an neuen Ideen zu Präsentationsformen oder zur Teilhabe, die so noch nicht da waren. Wer sind die Menschen, die sich in ihrer Freizeit dafür einsetzen?

„Der Verein möchte Musik möglichst vielen und niederschwellig zugänglich machen.“

Kulturbeflissene, besonders in der Alten Musik und in der Klassik zu Hause, teilweise professionell – wie etwa Mitwirkende der Ensembles 33zwo und Nuovo Aspetto um die Schwestern Johanna und Elisabeth Seitz. Zudem sind die Gründungsmitglieder des Vereins in diversen anderen Bereichen bewandert (Physik, Medizin, Forschung, Technik …) und alle keine Neulinge mehr. Bei hoher Agilität und fast schon ungeduldigem Spielwillen haben viele von ihnen bereits ein reiferes Alter.
Kultur am Wendepunkt hat auch das Anliegen, Musik möglichst vielen niederschwellig zugänglich zu machen. Auch nach Corona gibt es da Verbesserungsbedarf. So bietet der Verein einen „mobilen Musikdienst“, also Hausbesuche bei Menschen, die sich nicht selbst zum Event bewegen können. Konzerte werden angeboten an ungewöhnlichen Orten, wie in Gärten, den hügeligen Parkanlagen des Hardtbergs oder in einer renovierten Firmenhalle. Geplant sind zudem Konzerte im Frauenhaus, auf Pflegestationen und im Kontext der Flüchtlingshilfe des Katholischen Frauenbundes. Nicht zuletzt veranstaltet der Verein am 8. und 9. Juli zum zweiten Mal ein Sommerfestival. Die Konzerte und ein Workshop finden diesmal in der Wuppertaler Bandfabrik statt, einem Industriekulturdenkmal. Die ehemalige Bandwirkerei wurde Ende der Neunziger zu einem Veranstaltungszentrum umgebaut und wird vom Verein Кultur am Rand geleitet.

Sommerfestival 2022, Konzert im Wendekreis u. a. mit Elisabeth & Johanna Seitz

Foto: Kultur am Wendepunkt e. V.

Generell knüpft man Netze zu anderen lokalen Vereinen und Gruppen. Zu den Mitmachkonzerten, an die gemeinsame Workshops gekoppelt sind, werden Laien und andere Profis eingeladen. Hierbei sowie beim Harfen-Café (entspanntes Jammen und Kaffeetrinken für alle) geht es auch darum, neues Publikum anzusprechen. Wenngleich die Presse schon positiv berichtete, werden die Veranstaltungen zunächst nur über die Website angekündigt.

Der Verein wächst auch eher auf diese direkte Weise, weniger über aktive Werbung. Mitmachen kann jeder, der 30 Euro im Jahr zahlt, aber mehr als fünfzig Mitglieder sollten es nicht werden, um den Verwaltungsaufwand überschaubar zu halten. Schließlich muss die Vereinspflege „nebenbei“ passieren.

Neben der Musik ist also eine Menge anderes zu organisieren. Zwar gibt es im Mitgliederpool bereits eine sinnvolle Aufteilung von Zuständigkeiten, um aber alle, auch Neue, effektiv zu integrieren, verlangt es nach einer ausgeklügelten Struktur. Eine weitere Herausforderung ist die Erreichbarkeit gewisser Orte. Denn die interessantesten Plätze haben meist keine geeignete Infrastruktur. Da sind wieder Energie und Flexibilität gefragt, am Wendepunkt in die andere Richtung zu denken.

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Aufmacherfoto:

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