Auf den Punkt #1: Rainer Pirzkall, künstlerische Leitung Nürnberger Bardentreffen

„Die Musikwelt war die längste Zeit eine Scheibe.“

8. Dezember 2022

Lesezeit: 3 Minute(n)

Ist die CD in deinen Augen tot und überflüssige Verschwendung von Rohstoffen, wo man heute doch alles „online“ bekommt?

Tot ist die CD sicher nicht. Es wurden 2021 ja immer noch rund 25 Millionen davon in Deutschland verkauft. Klar ist aber auch, dass die Musikwelt die längste Zeit eine Scheibe war und Streamingdienste diese Welt neu vermessen. Denn zu den besten Zeiten vor rund zwanzig Jahren verkauften sich pro Jahr in Deutschland rund 130 Millionen CDs. Meine Prognose: Die Verkaufszahlen werden weiter sinken, aber es wird immer Liebhaber geben, die die CD als Medium hochhalten werden. So wie das seit einigen Jahren auch bei der Vinylplatte oder der Musikkassette der Fall ist. Ressourcenschonender ist sicher, keine CDs mehr zu produzieren. Aber das lässt sich auf alles übertragen: Autos, Handys, Bücher, Musikzeitschriften …

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Sind Streamingdienste wie Spotify, Youtube oder Deezer aus deiner Sicht ein willkommenes Marketingtool oder zu verurteilendes Teufelswerk, weil nur die Großen verdienen und die Kleinen meist leer ausgehen?

Die Crux ist, dass beides stimmt. Als unabhängiger Künstler oder als unabhängiges Label ist der Reiz groß, auf diesen Plattformen präsent zu sein. Wenn man da nicht gefunden wird, fühlt man sich nicht gehört. Das ist State of the Art und wird aus Sicht der Schaffenden wie Rezipierenden erwartet. Um von den Einnahmen dieser Plattformen alleinig zu überleben, müssen Musikschaffende jedoch entweder sehr bekannt sein oder einen Lebensstil ohne große Ansprüche pflegen, denn Spotify und Co. zahlen für einen Stream ja nicht mal einen Cent.

Welche Rolle spielt Digitalisierung für dich persönlich in der Ausübung deines Jobs? Hat sie deine Arbeit verändert? Welchen Stellenwert haben soziale Netzwerke inzwischen als Kontakt-, Info- und PR-Medium für dich und deine Arbeit, aber auch aus Sicht der Endverbrauchenden, der Musikschaffenden, der Veranstaltenden?

Digitalisierung spielt die zentrale Rolle in meinem Berufsalltag, denn entweder schreibe oder lese ich E-Mails, höre Musik, die mir per Mail geschickt wird, oder recherchiere im Internet. Wie war das früher, als man einen Brief am Montag versendete und mit einer Antwort nicht vor Freitag rechnen konnte. Ich gehöre zu den ersten Digital Natives und kenne daher keine andere Art der Arbeit, als ebendiese elektronisch-medial fokussierte innerhalb unseres musikkulturellen Betätigungsfeldes. Soziale Netzwerke sind ähnlich wie Streamingplattformen weitere Präsentationskanäle, die die Chance erhöhen, gehört zu werden. Weitere digitale Schaufenster hektischer, niemals ruhender digitaler Großstädte. Doch deren Dekoration ist aufwendig, das kostet Arbeit, Zeit, bindet Ressourcen, die beim kreativen Schaffensprozess fehlen. Die grauen Männer von Momo, die ihre Zeit verdampfen, lassen grüßen. Myspace, Facebook, Instagram, Tiktok … –wann kommt das nächste Ding, bei dem man seine Gefolgschaft wieder ganz von vorne aufbauen muss? Und was ist dann mit den x-Tausenden, die man sich über die letzten Jahre erarbeitet hat?

Was hältst du von der Option von Hybridkonzerten? Wäre es auch denkbar, bei größeren Veranstaltungen Musikerinnen oder Musiker per Videoleinwand als Gäste dazuzunehmen? Wie siehst du die Chancen und Möglichkeiten einer solchen Technologie?

Auch wenn es technisch möglich ist, ist es nicht immer sinnvoll. Rechtfertigt der große Aufwand den Mehrwert? Ich gehe auf ein Livekonzert, weil ich die Stimmung echter Musizierender auf der Bühne erleben will, sonst könnte ich mir das Konzert auch zu Hause ansehen. Ich bezweifle, dass sich das großflächig durchsetzen wird.

Wie hat Digitalisierung deine eigene Musikrezeption beeinflusst? Wie hörst du heute Musik, wie nimmst du sie wahr und über welche Medien? Welche Streamingdienste bevorzugst du und aus welchen Gründen?

Auch ich kaufe immer weniger CDs und habe selbst ein Monatsabo bei einer Streamingplattform. Für viele Musikhörende spielen Alben heute keine Rolle mehr, einzelne Songs oder Playlists haben das Konzept des Albums „entbündelt“. Ich halte allerdings noch am guten alten Albumkonzept fest. Ich suche am liebsten immer noch nach Künstlerinnen und Künstlern und deren Alben. Playlists interessieren mich persönlich nicht so sehr. Ich lasse mich aber gerne mal durch „Das-könnte-dir-auch-gefallen“-Vorschläge inspirieren. Ganz häufig nehme ich Musik jedoch noch über klassische Medien wie einen guten Radiosender – zum Beispiel Bayern 2 oder den Deutschlandfunk – oder Zeitungen und Musikmagazine wahr. Da gehört für mich als Fan von Musiken abseits des Mainstreams auch der folker dazu.

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