Seit Jahresanfang sind sie in Chemnitz: Matt Robinson, Marleen Kiesel und Mareike Peschau bilden mit dem Paper Lantern Collective das erste Community-Music-Kollektiv in Deutschland. Über die Ankunft, ihre ersten Erfahrungen und langfristigen Pläne erzählt Robinson exklusiv im Gespräch mit dem folker.
Interview: Peggy Luck
„Musik als Menschenrecht“, sagt Matt Robinson auf die Frage was Community Music für ihn bedeutet. „Mit allen zusammen, professionelle und nicht professionelle Künstler:innen, auf Augenhöhe. Kulturelle Teilhabe für alle. Eine Stadt der Künstler:innen bauen.“ Ein Traum? Eine Utopie? Für das Paper Lantern Collective ist es eher das: ihre tägliche Arbeit.
Als der Chemnitzer Verein inpeos von der Existenz dieser Sache namens „Community Music“ hörte, luden sie die damals noch am Konzerthaus Dortmund tätigen Musikschaffenden ein, ein festes Projekt im Osten zu starten. Robinson wusste damals nichts über den Osten, war allerdings auch schon ohne große Vorkenntnisse nach Dortmund gekommen. „Ich habe in den letzten Monaten viel Research gemacht“, erzählt er mit seinem englischen Akzent. Auf der einen Seite sei es schwierig, so neu in ein Gebiet zu kommen, weil das Gefühl, die Geschichte und die Kultur eines Ortes essenziell für die Communityarbeit sei. Auf der anderen Seite sei es ein Vorteil: „Ich bin hier mit ganz offenen Augen, ich bin offen für alle.“
Vorurteile hat er viele gehört, als er anderen Menschen davon erzählte, nach Chemnitz zu gehen. „Die Leute sagten: Oh Mann, warum? Es ist nicht sicher, und du bist Ausländer!“, erzählt er. Sein Fazit nach den ersten Monaten fällt allerdings völlig anders aus. „Ich habe viele Community-Music-Projekte gemacht in der ganzen Welt, und ich war nie so willkommen wie in Chemnitz!“ Am ersten Tag, als die drei angekommen waren, fragten sie sich, ob sie vielleicht in der falschen Stadt gelandet wären. „Alle waren so nett! Vielleicht ist es nur unsere Bubble, aber wenn, dann ist es eine supergroße Bubble.“
„Was fehlt hier? Lass uns das zusammen kreieren!“
Wenn Matt Robinson seine Arbeit als Community Musician beschreibt, fällt vor allem eins auf: Es geht weniger um das Selbermusikmachen als um das Zuhören und Fragenstellen, das Erkunden von Potenzialen und Möglichkeitsräumen. „Wir haben hier gerade fünf offene Projekte: das Seniorensingen, einen cokreativen Raum für Eltern und Babys, einen Chor, eine Street Band für alle Instrumente und deine eigene Idee – was sollen wir machen? Was fehlt hier? Lass uns das zusammen kreieren!“
Vor Kurzem starteten sie ihr regelmäßiges Workshop-Programm und waren überwältigt von der Resonanz. Gleichzeitig sind noch in der Phase, anzukommen und mit allen Menschen und Institutionen, die an einer Zusammenarbeit interessiert sein könnten. Das ist umso wichtiger, als das Kollektiv noch keinen eigenen Raum hat. In den nächsten ein bis zwei Jahren soll sich das ändern. „Es ist nicht einfach, denn es muss ein sehr großer, inklusiver und barrierefreier Raum sein, in dem alle Menschen zusammenkommen können“, erklärt Robinson.

Matt Robinson und Marleen Kiesel in Aktion
Foto: Moritz Küstner
Die Musik ist im Namen „Community Musician“ das präsenteste Merkmal, allerdings betont er, dass es vor allem darum gehe, Gemeinschaft zu erzeugen, einander und den Ort zu feiern – mit allen Mitteln der Kreativität. „Wir wollen eine Community bauen, in der alle willkommen sind – das ist so leicht gesagt und so schwer zu machen“, erzählt er. „Wir ignorieren die Probleme und die Angst nicht, aber wir fragen: Was ist für uns alle zusammen nützlich?“ Manchmal bedeutet das: Kaffee und Kuchen! „Und wir machen das mit Musik, weil sie eine so große Power hat und alle Musik machen können!“
Robinson kam mit sechzehn Jahren zum ersten Mal mit Community Music in Berührung – in seiner nordenglischen Heimatstadt Morecambe. Ein Community Musician kam vorbei und fragte, ob er in einem Projekt mitmusizieren wollte. Eine Woche später stand er in der Birmingham Symphony Hall vor zweitausend Menschen auf der Bühne und spielte Klarinette. „Es war eine ganz andere Welt für mich“, sagt er. Ein Erlebnis, das ihn dazu brachte, wieder die Schule zu besuchen und anschließend Klarinette und Community Music zu studieren, unter anderem am Leeds Conservatoire. Es folgten große internationale Projekte in Hongkong und Norwegen, Dortmund und nun in Chemnitz.
„Natürlich hat die Stadt auch Probleme“, sagt Robinson mit Blick auf die zuvor angesprochenen Vorurteile. „Es gibt viel Angst, viele politische Sachen und Meinungen ‚gegen alles‘, aber alles ist sehr klar, sehr präsent, und das liebe ich ein bisschen.“ Bisher sah er keine Schwierigkeiten im gemeinsamen Umgang mit Musiken und Liedern, zum Beispiel auch aus der DDR. „Wenn jemand sagt, ich will dieses Lied aber singen, dann sagen wir: Okay, warum dieses Lied? Was ist das? Wir ignorieren die gelebte Erfahrung der Leute nicht, wir gehen damit um. Es hat Wert.“ Der Angst und der Politik setzen Matt Robinson und das Paper Lantern Collective ihren inklusiven und lebensfroh-kreativen Ansatz entgegen. Ihre Arbeit, die vor allem den Stadtteil Sonnenberg und das Zentrum in den Fokus nimmt, setzt darauf zu feiern, was ist. „Die Welt kann beschissen sein, aber hier, wo es so viele großartige Menschen gibt, kann sie großartig sein.“
Heute wird er wohl nicht mehr dazu kommen, besonders lang auf seiner Klarinette spielen. Noch ist viel zu planen, sind Workshops vorzubereiten für die Kitagruppe. Danach will er Material für eine große Skulptur kaufen – die Menschen des Stadtteils werden gefragt, was für ein Tier Sonnenberg wäre, wenn es eins wäre. „Ich muss vorausahnen, was die Community sagen könnte, ohne sie zu beeinflussen!“
Für die Zukunft des Projekts hat Matt Robinson nur ein paar kleine Wünsche. „Ein Cargobike würde helfen, und – zusätzlich zur Projektförderung durch die Beisheim Stiftung und die Deutsche Bank Stiftung – eine langfristige strukturelle Unterstützung, um zu wissen, wie es nach den zwei Jahren weitergeht. Aber das ist ganz normal in Deutschland.“ Das Konzept ist im deutschsprachigen Raum noch nicht vollständig etabliert, mit unterschiedlichsten Interpretationen und auch Falschdarstellungen von Community Music, was die Fördermittelakquise zäh macht. Der Wunsch des Neu-Chemnitzers: „Statt Förderung für 200 nur für 190 Konzerte und ein Community-Music-Projekt. Wir sind ganz billig und haben ganz viel Impact!“
Das Paper Lantern Collective ist 2025 auch in das Chemnitzer Kulturhauptstadtprogramms eingebunden (www.chemnitz2025.de/community-music-in-chemnitz), ansonsten aber nicht nur in Chemnitz, sondern in ganz Deutschland und Europa aktiv. Weitere Informationen finden sich unter www.paperlantern.eu und www.communitymusicchemnitz.de.

Songwritingsession beim Paper Lantern Collective
Foto: Jan Felber
0 Kommentare